Mit den Normannen nach England. Uwe Westfehling

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Mit den Normannen nach England - Uwe Westfehling

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in mehreren Formen zeigt: Förderung von Klöstern und anderen kirchlichen Institutionen durch das Herzogshaus gehört dazu, ebenso wie stabile familiäre Verknüpfungen und die hervorgehobene Rolle einzelner Personen aus dem Klerus bei Hofe, schließlich auch die Bedeutung, die man den Kontakten zum Papsttum zumisst. Bei solchen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, dass die zentrale Dominanz kirchlicher Belange umgekehrt auch zur Instrumentalisierung der Geistlichkeit und ihrer Wirkungsmacht führt, indem religiöse Prinzipien und Strukturen ohne Bedenken benutzt werden, um politische Ziele zu erreichen. Denken wir nur an die Bedeutung, welche Wilhelm „der Eroberer“ einer päpstlichen Parteinahme im Konflikt um die englische Krone beimessen wird (S. 57)! Und dann: Wie klar gerade dieser Herzog den Zusammenhang zwischen geistlichen Stiftungen und der Erreichung persönlicher Ziele vor Augen hat, zeigt das Vorgehen bei der Kontroverse um seine (nicht zuletzt politisch motivierte) Eheschließung (S. 46). Übrigens: Einer der wichtigsten Historiographen, die uns Berichte über die Ereignisse von 1066 liefern, ist zugleich Geistlicher am Herzogshof. Die Formulierung von Ansprüchen ebenso wie die Selbstdarstellung des Herrschers sowohl für die eigene Zeit als auch für die Nachwelt sind auf diese Weise klar in das Netz klerikaler Verbindungen eingebettet.

      Und schließlich darf in diesem Zusammenhang ein weiterer Gesichtspunkt keinesfalls unterschätzt werden, mit dem wir uns noch befassen müssen: Die neuen Entwicklungen in der sakralen Baukunst (S. 111), die aus der Normandie wichtige Impulse erhalten, unterstreichen deutlich sichtbar, mit welchem Nachdruck im Herzogtum Wilhelms „des Eroberers“ und später auch in seinem Königreich die religiöse Sphäre mit dem herrscherlichen Handeln bzw. mit dem Verwaltungsapparat und dadurch mit allen gesellschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen verbunden ist.

      Den zweiten Pfeiler herzoglicher Macht bildet – auch dies keineswegs überraschend – die Aristokratie. Diese Führungsschicht ritterlicher Prägung beansprucht in der Normandie traditionell gewisse Freiheiten. In den entscheidenden Punkten und vor allem bei der Gefolgschaftstreue im Krieg zeigt sich aber eine grundsätzliche Loyalität des Adels zum Herzogshaus. Das verhindert freilich nicht, dass es immer wieder zu Rivalitäten und Positionskämpfen, zu Aufbegehren und sogar zu tatsächlichen Rebellionen käme. Auch in dieser Hinsicht werden wir gerade an der Lebensgeschichte Wilhelms des Eroberers und ganz besonders bei Betrachtung seiner frühen Jahre ein drastisches Bild zu sehen bekommen (S. 44). Die Herren geben nicht gerne den eigenen Willen und die eigenen Ambitionen auf. Dennoch: Als es darauf ankommt, stehen sie ihrem Herzog zu Gebot und dieser versteht es, ihnen klar zu machen, dass er ihnen den Weg zu Beute, Ruhm und Aufstieg bietet.

      Was ist „Normannitas“?

      Ist all das zusammengenommen „Normannitas“? Vielleicht. Etwas Neid mag bei solcher Einschätzung auch mit im Spiel sein. Und wohl auch ein gewisses Quantum durchaus angebrachter Vorsicht …

      Aufbruch zu neuen Ufern

      Nach einigen Generationen Sesshaftigkeit auf fränkischem Boden hat sich die normannische Herrschaft im Norden Frankreichs weit genug gefestigt, dass dem Land echte Heimatgefühle entgegengebracht werden. Die Normannen haben sich akklimatisiert, obwohl es auch weiterhin sowohl zu inneren als auch zu äußeren Spannungen kommt, und sie sind so entschieden mit der Sprache und den Lebensbedingungen des Königreichs verwachsen, dass es gelegentlich heißt, sie seien „französischer als die Franzosen“.

      Dennoch lebt in manchen von ihnen immer noch etwas von der Unruhe und vom Wandertrieb früherer Zeiten. So kommt es wohl, dass einige von ihnen aufs Neue von Unternehmungslust gepackt werden und sich in der Welt umschauen, ob es nicht neue Gelegenheiten gebe – für ungeahnte Perspektiven und große Taten.

      So reit fast in derselben Zeit wie der Plan zur Eroberung Englands auch eine andere Idee, deren Kühnheit, ja Waghalsigkeit man als „typisch normannisch“ bezeichnen mag. Die Chance zu einem neuen „großen Wurf “ bietet sich im Mittelmeer: Der Süden Italiens steht unter dem Einfluss des Byzantinischen Kaiserreichs, das aus dem östlichen Teil des römischen Imperiums hervorgegangen ist; sein Zentrum in der alten Kapitale Konstantinopel („Ostrom“) hat und einen großen Teil des Mittelmeers beherrscht. Dieses Reich ist griechisch-orthodoxen Glaubens. Die große Insel Sizilien ist weitgehend in Hand der muslimischen Mauren, die sich auch auf dem Festland Italiens festgesetzt haben. Beide Mächte, Mauren und Byzantiner, bedrängen die Stellung von Rom und der Papst sowie auch die deutschen Kaiser sehen sich durch diese Gegner herausgefordert. Außerdem sind die ursprünglich germanischen und später vor allem im Norden Italiens verwurzelten Langobarden (Lombarden) auch im Süden sesshaft geworden. So ergibt sich im „Mezzogiorno“ ein unübersichtliches Mächtespiel mit wechselnden Positionen, das auch für weitere Teilnehmer günstige Aussichten bietet. Für unternehmungslustige und durchsetzungsfähige Streiter ein höchst verlockendes Betätigungsfeld!

      So kommt es, dass erst eine kleine Gruppe und bald schon eine größere Anzahl normannischer Ritter den Entschluss fasst, sich dem „Schauplatz Mittelmeer“ zuzuwenden. Besonders ist es die Adelsfamilie des Tankred von Hauteville von der Halbinsel Cotentin, die sich bei diesem Unternehmen hervortut, aber sie steht mit ihren Ambitionen keineswegs allein. Es wird sich in diesem Bereich eine für das ganze Abendland bedeutsame Entwicklung ergeben. Bestimmt wird sie von hoch aktiven normannischen Kämpfernaturen wie Robert „Guiskard“ (um 1015 – 1085) und Roger (1031 – 1101), zweien der Söhne des Tankred von Hauteville; der eine steigt zum Herzog von Apulien und Kalabrien auf, der andere erringt sogar die Herrschaft über Sizilien. So wird es zur Gründung eines normannisch-sizilianischen Königreiches kommen, das vor allem unter Roger II. (1095 – 1154) eine Zeit kultureller Blüte erlebt und wo sich eine ungewöhnliche religiös-gesellschaftliche Koexistenz von Christen, Juden und Muslimen entwickelt.

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