Allmächd, scho widder a Mord!. Werner Rosenzweig
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Widerwillig und nur ihrer Mutter zuliebe hatte sich Nelli ein, zwei Mal mit Justus unterhalten. Es waren jedes Mal die gleichen grauenhaften Erfahrungen, die sie sammelte. Der junge Mann kannte nur zwei Themen: Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch und Präzedenzfälle. Andere Themen interessierten ihn nicht. Er hörte keine Musik, fuhr nicht in den Urlaub, las ausschließlich Fachbücher, und politische Themen hasste er sowieso grundsätzlich. Am liebsten saß er zuhause, von Rechtsliteratur umgeben. In ihren wenigen, holprigen Gesprächen mit ihm fiel Nelli auf, dass er mit der Zunge immer wieder an seinen weit auseinanderstehenden Schneidezähnen anstieß und dabei fürchterlich lispelte. Auch das noch.
Nellis Gedanken schweiften wieder in die Gegenwart zurück. Noch immer hielt sie das Bürgerliche Gesetzbuch in den Händen, um sich auf die nächste Klausurarbeit vorzubereiten. Sie klappte das Buch zu und schmiss es in die Ecke, stand auf und betrachtete sich in ihrem hohen Wandspiegel. Es gefiel ihr, was sie sah: eine junge, hochgewachsene, schlanke Frau, mit ebenen Gesichtszügen, eingehüllt in lockige, naturblonde Haare, welche ihr wie eine Löwenmähne bis auf die Schultern fielen. Ihr Busen war gut ausgebildet, aber nicht zu dominant. Gerade richtig. Viel zu schade für einen pickeligen, langweiligen Juristen. Nur mit ihren hellblauen Augen war sie nicht zufrieden. Irgendetwas fehlte. Sie hatten keinen Glanz, keine Lebensfreude. Sie waren da, aber sie wirkten stumpf. Trostlos eben, irgendwie von Hoffnungslosigkeit geprägt. Ihr graute vor den bevorstehenden Feiertagen. Sie fühlte sich wie eingesperrt. ‚Raus, raus hier. Einfach mal ausbrechen‘. Panische Gedanken purzelten ihr durch den Kopf. Abrupt griff sie sich ihr iPhone und wählte die Nummer ihrer Freundin Kathie. Das Freizeichen ertönte.
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„Kathie Schreiber hier“, meldete sich nach geraumer Zeit eine schwer atmende Stimme.
„Hallo Kathie, ich bin‘s, Nelli. Störe ich gerade?“
„Hi Nelli. Wie würdest du es bezeichnen, wenn du beim Bumsen angerufen wirst und der Anrufer hartnäckig in der Leitung bleibt?“
„Oh, Entschuldigung, ich wusste nicht, dass …, tut mir leid, das war nicht meine Absicht, dich zu …“
„Ist schon okay, nicht so schlimm. Schön, dass du dich mal wieder meldest. Was gibt es denn?“
Nelli druckste herum und war sich in keinster Weise mehr sicher, ob es der richtige Zeitpunkt war, Kathie jetzt mit ihrem Frust und ihren Sorgen zu belasten.
„Na komm, raus mit der Sprache“, forderte Kathie sie auf. „Da bringst du mich mit deinem Anruf um meinen wohlverdienten Orgasmus, und dann bist du stumm wie ein Fisch! So geht das nicht. Also, nun sprich endlich mit mir!“
Nelli konnte ihre Gefühle nicht mehr zurückhalten. Sie weinte und sie ließ ihren Frust ab. Kathie hörte aufmerksam zu und unterbrach sie kein einziges Mal. Eine Stunde telefonierten die beiden Freundinnen miteinander. „Du musst einfach mal raus aus deinem Alltagstrott“, riet ihr Kathie. „Du lebst wie im Schloss von Dornröschen, aber ein schöner Prinz wird nicht von selbst vorbeikommen, glaube mir. Höchstens ein lispelnder, mit Pickel und Pomade im Haar. Pass auf, du kommst Silvester zu mir und übernachtest hier. Tom gibt mit seiner Band ein Konzert in Straubing. Ich bin sowieso allein. Komm, wir machen uns einen schönen Abend und quatschen über alles. Außerdem habe ich etwas ganz feines zuhause. Das wird dich umhauen.“
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Die Weihnachtsfeiertage waren schnell vorüber. Pünktlich um achtzehn Uhr klingelte Nelli bei Kathie Schreiber, Am Europakanal 165. Der Türöffner summte und Nelli fuhr mit dem Aufzug in das fünfzehnte Stockwerk hoch. „Komm rein, Nelli“, begrüßte Kathie sie, nachdem sie die Wohnungstür geöffnet hatte, „schön, dass du gekommen bist. Komm, leg ab. Ich habe uns beim Italiener zwei Pizzen bestellt, Quattro Staggioni und Ai Funghi, müssten in einer Stunde da sein. Komm, setz dich und mach es dir bequem. Ich hole uns eine Flasche Chianti.“
Die Stunden verrannen wie im Flug. Die Pizzen waren hervorragend, die Wanduhr zeigte kurz vor dreiundzwanzig Uhr an, und Kathie Schreiber öffnete die dritte Flasche Rotwein. „Nun kommt das Beste!“, verkündete die Hausherrin mit inzwischen schwerer Zunge, „unser Nachtisch sozusagen. Der wird uns wieder aufmuntern.“ Sie wankte zu einem Sideboard und entnahm der linken unteren Schublade ein kleines Fläschchen, in welchem sich ein kristallenes Pulver befand. Dann holte sie aus der Küche ein Päckchen Würfelzucker, ein Glas halb voll Wasser und einen Teelöffel. Zurück am Sofa konzentrierte sie sich, gab eine winzige Menge des Pulvers auf den Teelöffel, löste es mit wenigen Tropfen Wasser auf und schüttete die Flüssigkeit vorsichtig über ein Stück Würfelzucker. Nelli verfolgte neugierig die Zeremonie. „Was ist das?“, wollte sie wissen.
„Tz, tz, tz, wer lang fragt, geht lang irr“, antwortete Kathie. „Mund auf!“, wies sie Nelli an. „Zweihundert Mikrogramm dürften für dich genügen. Ich nehm mir etwas mehr“, kicherte sie.
Nachdem Nelli gehorsam den Würfelzucker aufgelutscht hatte, wiederholte Kathie die Prozedur und steckte sich ebenfalls ein Stück Würfelzucker in den Mund. „LSD“, erklärte sie. „Keine Sorge, macht nicht süchtig, aber total high. Frisch aus Hongkong eingetroffen. Das Beste, was es derzeit auf dem Markt gibt, du wirst staunen.“
Die beiden jungen Frauen setzten ihre Unterhaltung fort, schlürften dabei den Rotwein und schwelgten in Erinnerungen an die alten, gemeinsamen Schulzeiten. Nach einer weiteren halben Stunde meinte Nelli Bieber: „Ich meine, dein Superstoff ist ein Flopp. Scheint gar nicht zu wirken. Da hast du dir aber was andrehen lassen.“
Doch da täuschte sich die Jurastudentin gewaltig. Das Lysergsäurediethylamid war bereits voll unterwegs. Es dauerte noch exakt sieben Minuten, bis die synthetische Chemikalie im limbischen und retikulären Systems ihres Gehirns ankam – dort wo die emotionalen Reaktionen auf äußere Sinnesreize gesteuert werden – und seine volle Wirkung zeigte. Das LSD explodierte regelrecht in Nellis Kopf, wie eine Unterwasserbombe in der Nähe eines getauchten U-Boots. Ihr Gehirn wurde durcheinander geschüttelt. Ihre Pupillen vergrößerten sich schlagartig. Sie kicherte wie eine Zwölfjährige beim ersten Kuss, während ihr Energiespiegel raketenartig anstieg.
Ihre Freundin Kathie glotzte sie mit tellergroßen Augen über den Couchtisch hinweg an und drehte ihren Kopf wie ein Uhu in alle Richtungen. Dort, wo sonst ihre Nase saß, war ihr ein gelber Hakenschnabel gewachsen. „Hi, hi, du siehst aus wie eine Eule“, wieherte Nelli.
„Ich bin eine Eule, ich bin eine Eule“, uhute Kathie zurück, stieg auf einen Stuhl und schlug mit den Armen. „Ich kann fliegen.“
Nelli überfiel ein plötzlicher, heftiger Schweißausbruch. Das Zimmer schien sich zu drehen, und Justus von Weihersbach schritt aus einer dichten Nebelwand. Hinter ihm folgte ihre Mutter aus dem weißen Dunst. Justus war seltsam gekleidet. Auf seinem Kopf thronte ein kanariengelber Zylinderhut. Sein schmächtiger Körper steckte in einem lilafarbenen Smoking mit weißen Flecken. Er sah aus wie die Milka-Kuh auf der Alm. In seinem Gesicht blinkten die Pickel wie tausend rote Ampeln. Ihre Mutter sang ständig: „Hosianna, Hosianna“ und trug ein weißes Kissen vor sich her, auf welchem zwei Trauringe lagen. Wie aus dem Boden gezaubert stand plötzlich ihr Uni-Professor, der alte Hubertus Jennerwein vor ihr, hielt das Strafgesetzbuch in der Hand und rezitierte mit seiner dünnen Fistelstimme: „Paragraph eins: Juristen sollst du keine freien, wirst es dir sonst nie verzeihen.“
„Hosianna, Hosianna“, klang es aus dem dichten Nebel.
„Paragraph zwei“, erklang die Fistelstimme wieder, „Wer