Unerklärliche Geschichten. Gisela Schäfer

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Unerklärliche Geschichten - Gisela Schäfer

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wir uns wieder auf den Weg.

      „Lass uns noch zum Friedhof fahren, Fritz. Die Blumen auf dem Grab der Großeltern brauchen bestimmt Wasser. Wir fahren den anderen Weg zurück, durch den Tunnel.“

      „Okay, ich fahre schon mal los. In diese Richtung kenne ich mich aus“, erwiderte mein Bruder und schwang sich auf sein Rad Richtung Eisenbahnunterführung.

      „Vorsicht, nicht so schnell, warte an der Kreuzung auf mich!“, rief ich ängstlich hinterher.

      Aber Fritz rauschte schon den kleinen Berg hinunter und entschwand aus meinem Gesichtsfeld. Ich beeilte mich, ihn einzuholen, doch ich schaffte es nicht. Als die Kreuzung in mein Blickfeld kam, hörte ich gleichzeitig ein Reifenquietschen. Jemand hatte wohl eine Vollbremsung durchgeführt. Mich durchfuhr ein eisiger Schauer, und ich brabbelte laut vor mich hin: „Bitte, Gott, lass nichts passiert sein, ich flehe dich an!“

      Schweißnass kam ich an der Kreuzung an und sah die Bescherung. Fritzens Rad lag mitten auf der Straße, davor stand mit offener Fahrertür ein VW-Käfer. Etliche Leute versperrten mir die Sicht. Wo war mein Bruder? Zittrig und aufgeregt suchte ich, hektisch um mich blickend, die Umgebung ab und fand ihn am Straßenrand sitzend. Er schien gesund zu sein, es gab keine sichtbaren Verletzungen, aber sein Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. Der Schrecken saß ihm noch in den Gliedern. Ich drängelte mich zu ihm durch, nahm ihn in den Arm und fragte einige Passanten, was geschehen war.

      „Der Autofahrer hat wohl den Jungen übersehen. Außerdem fuhr er viel zu schnell.“

      „Den Kleinen trifft keine Schuld … Der hat super reagiert, ließ das Rad fallen und sprang zur Seite … Gut, dass der Junge das Rad über die Straße geschoben hat. Da hatte er wirklich einen Schutzengel …!“

      Mit einem stillen Gebet dankte ich allen Engeln, dass sie meinen Bruder beschützt hatten. Als wir später am Grab der Großeltern beteten, meinte Fritz ganz unvermittelt:

      „Jemand sagte mir, ich soll das Rad loslassen und zur Seite springen. Ich hab’s genau gehört. Aber eigentlich war ich doch allein. Verstehst du, was das war?“

      Nachdenklich und mit großen Augen sah mich mein kleiner Bruder an, auf eine Antwort wartend.

      „Es wird wohl dein Schutzengel gewesen sein. Manchmal spürt oder hört man ihn, auch wenn man ihn nicht sehen kann.“

       Es gibt sie wirklich,

       die Engel!

       Ohne ihr Eingreifen

       wären wir schon oft

       verunglückt oder gar

       gestorben …

       Birgid Krause

      Urlaubsfahrt nach Bayern

      Anfang der achtziger Jahre war es wieder einmal so weit. Mein Mann und ich planten einen Urlaub in Bayern, um meine Verwandten und unsere Freunde zu besuchen. Seit ich nach Berlin geheiratet hatte, musste so eine Fahrt mindestens einmal jährlich stattfinden. Die Sehnsucht nach den zurückgelassenen Menschen, die alle einen Platz in meinem Herzen hatten, wurde so stark, dass ich sie nicht mehr bei Seite schieben konnte. Ich musste ihr nachgeben. Glücklicherweise gab es keine Schwierigkeiten, mich mit meinem Partner auf das Urlaubsziel zu einigen. Denn er als gebürtiger Berliner liebte die bayerische Landschaft, die würzige Luft und den Menschenschlag sehr.

      Wir stellten uns also darauf ein, mindestens acht Stunden unterwegs zu sein. Von Haustür zu Haustür ergab die Strecke ungefähr sechshundert Kilometer. Berlin war damals noch eine geteilte Stadt, der westliche Anteil, der zur BRD gehörte, von einer unüberwindbaren Mauer umgeben. Durch die DDR (Deutsche Demokratische Republik) durfte man auf Autobahnen niemals schneller als 100 Kilometer pro Stunde fahren. Diese Geschwindigkeit musste peinlich genau eingehalten werden, denn sonst lief man Gefahr, eine empfindliche Strafe aufgebrummt zu bekommen. Auch wenn man links und rechts der Straße keine Menschenseele sah, so konnte man sich einer Überwachung doch sicher sein.

      Ziemlich früh am Morgen eines Herbsttages begannen wir unsere Reise in meine Heimatstadt. Allerdings kamen wir zunächst nicht sehr weit, denn an der Berliner Stadtgrenze, dem „Kontrollpunkt Dreilinden“, gab es den ersten großen Stau. Wer per Bus, Motorrad oder Pkw die Stadt verlassen wollte, musste an einem Kontrollhäuschen seine Reisedokumente vorzeigen und abgeben (Personalausweis oder Reisepass plus Erlaubnisschein für den Transit durch die DDR). Die Dokumente wurden akribisch geprüft, dann durch eine lange Röhre geschickt, an deren Ende ein zweites Kontrollhäuschen stand; dort erhielt man einen Tagesstempel; vorausgesetzt, die Papiere waren in Ordnung. Demzufolge war man im Vorfeld gezwungen, die Dauer der Reise genau festzulegen. Wir kamen nur ganz langsam vorwärts. Zwei, drei Autos wurden abgefertigt und genauestens überprüft. Danach trat wieder eine längere Pause ein. Nichts geschah. Man konnte nur geduldig sein und warten. Und die Zeit verging … Die erste Stunde der geplanten Reisezeit neigte sich bereits ihrem Ende zu.

      „Hoffentlich hat diese Warterei auch irgendwo einen tieferen Sinn”, sagte ich zu meinem Mann und war überzeugt davon, dass es tatsächlich so wäre. Er lächelte nur und vertiefte sich weiterhin in die Betrachtung der zahlreichen Fahrzeuge und Insassen, die um uns herum ebenfalls warten mussten.

      Endlich kam Bewegung in die Autoschlange. Ein Vopo (Volkspolizist) aus dem Kontrollhäuschen winkte uns zu sich heran. Er hatte unsere Ausweise parat und fixierte uns durch das offen stehende Wagenfenster auf der Fahrerseite. Wir bemühten uns nach Kräften, ihn freundlich anzublicken. Als er sich sicher war, dass wir diejenigen waren, welche auf den Fotos der Reisedokumente zu sehen waren, gab er sie uns zurück, wünschte uns eine gute Fahrt und stellte die Ampel auf grün. Jetzt konnte es also weitergehen.

      Relativ entspannt lehnten wir uns in den Sitzen zurück und legten nun das vorgeschriebene Tempo vor – nicht schneller als 100 Kilometer pro Stunde! Mein Mann saß am Steuer und versuchte, bei der stets eintönigen Geschwindigkeit nicht schläfrig zu werden. So war es an mir, ihn ein wenig aufzumuntern. Ich erzählte ihm allerlei aus meiner Kindheit und Jugend oder aus meinem Berufsleben. Er hörte aufmerksam zu, stellte auch ein paar Fragen, die ich ihm bereitwillig beantwortete.

      Plötzlich überkam mich eine innere Unruhe. Mein Redefluss versiegte, ich rutschte auf meinem Sitz hin und her und fühlte mich ziemlich unwohl. Heiner nahm das wahr, sah mich von der Seite an und fragte mich: „Was ist denn los? Wieso wetzt du so herum?”

      Ich konnte nichts sagen, starrte nur geradeaus durch die Windschutzscheibe. Meine Hände hatte ich krampfhaft unter die Schenkel geklemmt. Ich hörte in mich hinein, weil ich glaubte, innerlich etwas zu spüren. Mein Mann hatte zwischenzeitlich einen Parkplatz angefahren und ermunterte mich, kurz auszusteigen und mich zu entspannen. Ich saß aber noch immer wie erstarrt auf dem Beifahrersitz und konnte nicht sprechen. Alle Muskeln waren total angespannt. Das Aussteigen war mir nicht möglich. Heiner redete erneut auf mich ein. Irgendwie nahm ich ihn nur von sehr weit entfernt wahr. Als er mich an der Schulter berührte, löste sich endlich die Verspannung; ich war wieder in der Lage zu sprechen. „Kann ich bitte etwas zu trinken haben?”

      Mein Mann gab mir Mineralwasser aus unserer Kühltasche. Nach einem kräftigen Schluck des erfrischenden Getränks ging es mir wieder besser und ich nahm wieder meinen Normalzustand ein.

      „Was war denn das eben? Ich habe mir richtig Sorgen um dich gemacht, denn du warst plötzlich käseweiß!”

      „Ich

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