In der Falle. Jan Eik

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In der Falle - Jan Eik

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Bei nur zwei Kindern pro Familie hätte Deutschland auf Albrecht Dürer, Friedrich den Großen, auf Kant, Bismarck und Richard Wagner verzichten müssen.

      Auf Hermann Kappe nicht, denkt er beruhigt. Nach seinem Bruder Oskar ist er der Zweitgeborene. Pauline ist vier Jahre jünger, und schon in ihrer Kindheit hatte Oskar gelästert: Wenn Schwestern notwendig sind - warum hat der liebe Gott dann keine? So weit geht Hermann Kappe nicht. Er mag Pauline und ihren Mann, den Koch Hans Achtow, auf seine Art. Nur dass die beiden neben der hübschen Tochter Hildegard einen Dumpfbeutel wie den Sohn Max gezeugt haben, ist unverzeihlich. Kappe schüttelt sich, wenn er an den ebenso aufgeblähten wie dämlichen Neffen denkt, der ihm zuletzt in SS-Uniform begegnet ist. In manchen Familien genügen wirklich zwei Kinder!

      HANNA UND BRUNO kennen sich seit einem Jahr. Bruno Lietz, der noch zu Hause bei Muttern in SO 36 wohnt, hat Maurer gelernt und Arbeit bei einer Firma gefunden, die in Karlshorst eine Pionierschule errichtet. Hanna, eine rotblonde Schönheit mit aufregenden Beinen, war ihm ein paar Mal morgens in der S-Bahn begegnet, bis ihre Blicke ihm genug Mut eingeflößt hatten, sie anzusprechen. Seitdem fahren sie jeden Morgen gemeinsam mit der S-Bahn, wobei Bruno gerne einen Umweg in Kauf nimmt, um schon an der Jannowitzbrücke zu ihr in den verabredeten Wagen zu steigen und nicht erst an der Warschauer Brücke. Hanna wohnt am Hackeschen Markt und arbeitet in der Eisfabrik in Rummelsburg. Wenn Bruno sie an sich drückt, hat er eher das Gefühl, er wärme sich an einem Backofen, aber das kann auch daran liegen, dass er für sie glüht.

      Hanna ist neunzehn, Bruno zwei Jahre älter. Jeden Tag muss er damit rechnen, dass ihn die Wehrmacht einzieht und er seine Hanna nicht mehr regelmäßig sehen kann. Sein Chef versucht, ihn zu beruhigen: «Wir bauen hier fürs Militär, da wird jede Hand gebraucht.»

      Über Ostern hatten sie eigentlich wegfahren wollen, irgendwohin aufs Land, wo man in einem Heuschober übernachten konnte, doch das kalte Wetter hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun sind sie am Sonntag zur Wassersportausstellung am Funkturm gefahren und haben sich am Abend mit Hannas Freundin Edith und deren Verlobten Erwin getroffen, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Erwin, der in Charlottenburg zu Hause ist, hat zum Entzücken der Mädchen vorgeschlagen, in der Waldschenke am Bahnhof Grunewald tanzen zu gehen. Bruno musste notgedrungen zustimmen, obwohl er alles andere als ein begnadeter Tänzer ist.

      Die Stimmung im Bahnhofsrestaurant ist ausgelassen, nur die Musik könnte nach Erwins und der Mädchen Geschmack etwas weniger altdeutsch sein. Bruno ist das einerlei, solange er seine Hanna fest an sich pressen und mit den Händen tief über ihre Rückenpartie fahren kann. In dem Gewimmel auf der Tanzfläche fällt das kaum auf, zumal wohl die meisten Pärchen auf das Gleiche aus sind, egal ob Rheinländer, Schmalztango oder Foxtrott gespielt werden.

      Viel zu früh kündigt Berthold Wurzbacher, der Wirt, den letzten Tanz an. Sperrstunde, da kennt die Polizei auch hier draußen keinen Spaß. Beamte laufen genug herum, die meisten in Zivil. Dass im Grunewald keine Holzauktion stattfindet, sondern die Räuber umgehen, weiß jeder.

      «Die sollen mal kommen!», sagt Bruno lachend und spannt die kräftigen Schultern. Er hat keine Angst vor Räubern, schon gar nicht nach den fünf, sechs Bier, die er intus hat.

      Der Alkohol verleiht auch dem schmalschultrigen Erwin Mut.

      «Ich denke, die sind jetzt abgehauen in den Osten», meint er. «Jedenfalls werden die wohl kaum jemanden direkt hier an der S-Bahn überfallen.»

      Der Meinung sind auch die Mädchen. Dass man den angebrochenen Abend noch nutzen muss, ist ausgemachte Sache.

      Die Auerbachstraße mündet nach kaum hundert Metern in den Uferweg am Hundekehlensee. Links liegen die Tennisplätze, am Ufer stehen Bänke, und so kalt ist es nun auch wieder nicht. Bruno lässt sich auf die nächste Bank fallen und zieht Hanna auf seinen Schoß. Vom Wasser her weht es kühl, doch das spüren sie nicht.

      Edith und Erwin sind ein Stück weitergegangen und hinter den Uferbüschen verschwunden, da nähert sich von der Auerbachstraße eine dunkel gekleidete Gestalt. Bruno und Hanna sind viel zu beschäftigt miteinander, um sie wahrzunehmen. Erst als der Mann direkt vor ihnen steht und ihnen der Taschenlampenstrahl in die Augen sticht, reagiert Bruno.

      «Mach die Funzel aus, aber dalli!», murrt er und schiebt sicherheitshalber Hanna von seinem Schoß.

      «Halt’s Maul! Geld her, oder es kracht!» Tatsächlich zeigt der Kerl im Lampenschein eine Pistole.

      Bruno ist nicht bei jeder Gelegenheit der Schnellste. Diesmal jedoch fährt er sofort hoch und stürzt sich auf den Mann. Der ist etwas kleiner als er und hat die Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen. Mit dem werde ich allemal fertig, denkt Bruno. Bis ein Schuss kracht.

      Hanna schreit laut auf.

      «Hau ab!», ruft Bruno ihr zu. «Hol die Polizei!»

      Hanna verschwindet in der Dunkelheit.

      Bruno holt zu einem neuen Schlag gegen den Räuber aus, da knallt es ein zweites Mal. Er sinkt zu Boden. Dass der heimtückische Schütze seine Taschen durchwühlt, spürt er nicht mehr.

      Zwei Minuten später hat der düstere Wald den Mann verschluckt. Er kennt sich hier aus. Der Kleine Stern, wo die Spandauer Straße auf die verlängerte Koenigsallee trifft und sich mit dem Weg von Paulsborn zum Großen Stern kreuzt, ist nur einen Kilometer entfernt. Aber dahin will er nicht. Allzu oft haben sie dort Beute gemacht. Da liegen die Bullen auf der Lauer. Der Mann zieht die Mütze vom Kopf, wickelt das Portemonnaie und die Pistole darin ein. Das Päckchen muss er loswerden, dazu die übergezogene Arbeitskleidung. Ihm bleibt nicht viel Zeit. Das Mädel braucht zum Bahnhof nur Minuten, dort gibt es eine Telefonzelle. In zehn Minuten werden die Grünen ausschwärmen wie die Hornissen.

      Wie immer hat er an alles gedacht. Unter einer Baumwurzel ist ein Versteck vorbereitet. Hunde könnten ihm gefährlich werden. Also hat er Pfeffer verstreut. Jetzt muss er nur noch ungesehen die Bahngleise kreuzen und dann die Avus und den Königsweg.

      Auf der anderen Seite liegen die Sportplätze der Berliner Hochschulen, da könnte er sich über Nacht einquartieren, wäre heute nicht ein Feiertag, an dem möglicherweise Studenten dort feiern oder nächtigen. Er muss weiter in Richtung Teufelssee und Heerstraße. Da wird ihn keiner vermuten. Er ist gut zu Fuß, und der nächtliche Wald schreckt ihn nicht.

      Als er auf der Westseite von Avus und Koblenzer Bahn zwischen den Stämmen verschwindet, grient er vor sich hin. Mal sehen, ob am Dienstag was in der Zeitung steht. Max wird staunen, die alte Pfeife. Ohne ihn ist der ein Nichts. Dem geht bei jedem Ding der Arsch auf Grundeis, und der Polizeiwagen in Friedrichshagen hat ihm den Rest verpasst. Er hört ihn schon jammern: Du hast einen Polizisten erschossen. Und jetzt vielleicht noch einen jungen Burschen. Das wird uns den Kopf kosten!

      Dazu müssen sie uns erst mal kriegen, wird er antworten. Das haben die in zweieinhalb Jahren nämlich nicht geschafft! Der junge Kerl hätte sich ja nicht wehren müssen. Hätte er sich vielleicht von dem verhauen lassen sollen? Und der Polizist? Was hätte der gesagt, wenn er in der Ledertasche nur Lumpen gefunden hätte?

      Dabei war der Plan perfekt gewesen. Kam ein Lieferwagen, wollte er die Geldtasche einfach auf die Straße legen, so als hätte sie jemand verloren. Hielt die Karre, war das Übrige ein Kinderspiel, selbst für einen einzelnen Mann. Abschließend ein Schuss in die Reifen - und weg in den Wald. Er hätte die Kleidung und das Zeug vergraben und wäre irgendwo harmlos in die nächste Straßenbahn gestiegen.

      Angefangen hatte alles eher wie ein Spaß. Dass sich allabendlich ein paar reiche Säcke mit ihren Damen rund um den

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