Blind am Rande des Abgrundes. Fritz Krebs

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Blind am Rande des Abgrundes - Fritz Krebs страница 18

Blind am Rande des Abgrundes - Fritz Krebs

Скачать книгу

für seine Ziegen dürfte aber durch uns kaum geschmälert worden sein und der Mann hatte wohl auch Rücksicht auf einige ihm wohlbekannte Rabauken nehmen wollen. Die Dungers Buben hatten, im Gegensatz zu mir, im elterlichen Hause sehr viele Pflichten zu erfüllen. Manchmal musste von ihnen noch ein Tafelwagen mit Mais oder anderem Körnerfutter zu einem Kunden gefahren werden, ehe wir mit unseren eigenen Unternehmungen beginnen konnten. Ich half ihnen dann den schweren Wagen die bergigen Straßen der Stadt hinanzuschieben, damit der lästige Zeitaufschub so klein als irgend möglich blieb. Es war schon mitunter ein ziemlicher Plack und wir schwitzten bei warmem Wetter ganz gewaltig dabei. Ich sah wohl, dass ich es diesbezüglich mit meinem eigenen Zuhause recht gut getroffen hatte. Die Dungers kannten es nicht anders, als dass sie tüchtig mit anpacken mussten wenn das elterliche Geschäft laufen sollte. Sie waren geduldig und zähe. Wir konnten mancherlei voneinander lernen. Johannes ist leider aus dem Krieg nicht wieder heimgekehrt. Erich, der den Krieg überstand, zog von Auerbach weg. Wir haben uns nie wieder gesehen aber ich denke, auch er wird sich noch mit Schmunzeln an die Zeit der Schulferien in Auerbach erinnert haben.

      Einen Freund ganz anderer Art gewann ich durch meinen Schulwechsel in das Realgymnasium. Eines Tages kam ein neuer Schüler in unsere Klasse, gerade als wieder einmal die Schulferien zu Ende waren, die ich in Auerbach verbracht hatte. In meiner Schultasche befand sich eine Tüte Bonbons, wie ich sie jedes Mal von meiner Großmutter mit auf den Weg nach Altenburg zugesteckt bekam.

      Unsere Zirkustruppe in Dungers Garten (Erich Dunger 2. v. rechts, Johannes Dunger 5. v. rechts), Foto um 1937/38

      In der Pause bot ich davon, wie üblich, den mir zunächst sitzenden Klassenkameraden an. Da der Neue einen Platz schräg hinter mir besetzt hatte, war auch er unter den Glücklichen, die in meine Tüte langen durften.

      Damit war für mich die Angelegenheit eigentlich erledigt. Günter Rottmann, so hieß der Neue, schien aber meine Freigebigkeit so beeindruckt zu haben, dass er sich bei der nächsten Sitzverteilung um den Platz neben mir bewarb, was auch tatsächlich gelang. So wurden wir Banknachbarn und nach und nach gute Freunde für die ganze weitere Dauer unserer gemeinsamen Oberschulzeit. Dieses Ereignis fiel etwa in die Zeit, als sich die Wege von Hans Fedoroff und mir wegen dessen beginnender Berufsausbildung zu trennen begannen. Mit Günter Rottmann spielte ich in der Freizeit die Periode der Trapper- und Indianergeschichten zu Ende. Er kam aus einem mir bis dahin einigermaßen fremden Milieu. Sein Vater arbeitete als Oberingenieur beim Aufbau des Schwelwerkes in Regis. Seine Mutter, eine ehemalige Sängerin, war nicht mehr berufstätig. Die Familie bewohnte in der Leipziger Straße eine für meine damaligen Vorstellungen riesengroße Wohnung. Ich betrat sie mit der seinerzeit üblichen Ehrfurcht von Kindern kleiner Leute, die Zutritt in ein Villengrundstück bekommen. Günter hatte noch zwei jüngere Brüder, mit denen ich wenig zu tun bekam. Er selbst war schon daran gewöhnt mit Erwachsenen Konversation zu machen, konnte höflich und sehr geschickt verhandeln und schrieb seine Aufsätze, ohne viel am Ausdruck zu feilen, sehr flüssig aufs Papier. Das beeindruckte mich ebenso wie die Zuverlässigkeit, mit der er fortan mit mir verbunden war. Bei Herrn Studienrat Löbe, unserem Klassen- und Deutschlehrer hatte er einen besonderen „Stein im Brett“. Sein Redetalent befähigte ihn übrigens sogar dazu, selbst über Themen reden zu können, von denen er nicht viel wusste. Das unterschied uns wesentlich voneinander. Einmal sollten wir irgendein Drama zu Hause lesen und zur Diskussion im Deutschunterricht vorbereiten. Günter kam zur nächsten Deutschstunde völlig unvorbereitet und hatte das Pech, als Erster aufgerufen zu werden. Er schoss aus der Bank hoch und begann ohne Stocken mit allgemeinen Vorbemerkungen, während er mit nervösen Handbewegungen auf meine aufgeschlagene Literaturbroschüre deutete. Indem ich ihm ständig einige Stichworte daraus lieferte, gelang ihm das Husarenstück, ununterbrochen zu reden. Er erhielt die Note „sehr gut“. Wie immer Freundschaften begründet werden mögen, sie haben auch mit gegenseitiger Vorteilsnahme zu tun, was mir recht spät in meinem Leben wirklich klar wurde. Wir halfen uns jedenfalls gegenseitig in schulischen Angelegenheiten so gut das möglich war. Günter war ein großzügiger und fairer Kamerad. Durch den Umgang mit ihm wurde ich erstmals aus den mir vertrauten Verhältnissen meines Wohnumfeldes heraus an die Welt des sozial bessergestellten und kulturell anspruchsvolleren Bürgertums herangeführt. Dabei erkannte ich, dass trotz Proklamierung eines angeblich nationalen „Sozialismus“ und der vielbeschworenen Gleichstellung der Menschen im Dritten Reich, große Standesunterschiede vorhanden waren. Im selben Ausmaß wie sich diese Erkenntnis bei mir festigte, beherrschten mich mitunter eine ziemliche Unsicherheit und innere Hemmnisse. Als wir sechzehn Jahre alt wurden und traditionsgemäß die Schülertanzstunde der bekannten Altenburger Tanzschule Schaller zu besuchen war, musste mir zum Beispiel Günter Rottmann sehr ins Gewissen reden, dass ich mich dort anmeldete. Ich habe es nicht bereut, dass wir dort außer den Tanzschritten bei Tango, Foxtrott, Rheinländer und Walzer auch mancherlei über manierliches Verhalten in der Gesellschaft lernen konnten. Von unseren Tänzerinnen kamen viele aus gutsituierten Verhältnissen. Wir kannten sie mehr oder weniger gut aus den Hitlerjugendveranstaltungen und vom Altenburger Freibad. Manche waren zickig, andere waren sehr liebenswert. Mit meiner Tanzstundendame hatte ich Glück. Ruth Lindig stammte zwar aus begütertem Hause aber sie war ein durch und durch natürliches Mädchen. Ich kannte sie schon als Führerin einer Jungmädelschar. Bei ihr habe ich meinen ersten Hausball erlebt, mit Küsschen auf dem im nächtlichen Dunkel liegenden Balkon. Ihr Passbild habe ich später mit noch einigen anderen in meiner Uniformjacke durch die schrecklichsten meiner Jahre getragen.

       10. Zwei Mädchen vom Jahrgang 1929

      Im Jahre 1936 wurde meine Schwester Elfriede eingeschult. Sie ist mein einziges Geschwisterkind und ich kann sagen, wir haben uns meistens recht gut miteinander vertragen. Zur gleichen Zeit stand in dem nordwestlich von Altenburg gelegenen Ort Wintersdorf ein anderes kleines Mädchen, namens Jutta Thurm, vor der großen Schultür, um ebenfalls die Zuckertüte in Empfang zu nehmen. Sie sollte viele Jahre später meine Frau werden, weshalb ich sie hier schon einmal erwähnen möchte, da sie ja doch noch eine bedeutende Stelle in meiner Biographie einnehmen wird.

      Zunächst aber sei von meiner Schwester die Rede. Als sie geboren wurde, hatte ich mich eigentlich damit abgefunden einziges Kind zu sein. Deshalb und weil das winzige Wesen damals so plötzlich bei uns auftauchte, wollte ich sie lieber wieder an den Klapperstorch zurückgeben. Da aber solche Erzeugnisse von Umtausch oder Rückgabe ausgeschlossen sind, gewöhnte ich mich langsam an sie. Wie ein Kinderpsychologe vielleicht feststellen wird, war ich möglicherweise schon in der Gefahr ein ichbezogenes Einzelkind zu werden. So kann ich noch von Glück sagen, dass dies durch das Erscheinen meines Schwesterleins noch rechtzeitig korrigiert wurde.

      Elfriede war ein zutrauliches und sehr anhängliches Kind. Als großer Bruder war ich für sie der Unterhalter und Leithammel. Da ich bereits durch die von mir verlassene Else Walther in das Puppenspiel eingeführt war, konnte ich bald mit meiner Schwester recht gut umgehen. Sie ließ sich beispielsweise von mir mitsamt ihrer Puppenstube unter den Küchentisch setzen, während ich auf der Tischplatte sitzend, als Kapitän eines Passagierdampfers nach Amerika fuhr. Ich führte sie mit dem Puppenwagen aus und landete samt Schwester und Zubehör in einer sumpfigen Wiese. Sie ertrug es ohne Jammern und freute sich, etwas zu erleben. Ich arrangierte Theateraufführungen für sie, die lange Vorbereitungen für Kulissenbau und Herstellung von Marionettenfiguren erforderlich machten. Immer hatten wir Beide unser Vergnügen. Je älter wir wurden, umso weniger Zeit fand ich allerdings für sie. Es blieben uns dann vor allem noch die regnerischen und kalten Tage, an denen wir in Mutters warmer Küche zusammensaßen.

      Als ich später dann zum Wehrdienst einrücken musste, war Elfriede zwölf Jahre alt. Sie erhielt von mir aus allen Gegenden, in denen ich herumkam, ihren eigenen Brief neben dem an meine Mutter. Ich denke, auch sie hat um mich die ganze Zeit gebangt und gehofft, dass ich wieder gesund nach Hause kommen möge. Sie war dabei, als mich meine Mutter im Arbeitsdienstlager Bad Sülze besuchte und auch in der Infanteriekaserne von Neustrelitz als ich, kurz nach meiner Vereidigung,

Скачать книгу