Blind am Rande des Abgrundes. Fritz Krebs
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Koepke Max, wie wir sagten, war Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg gewesen. Wir erfuhren bald aus seinem Erzählen, dass ihn ein Granateinschlag sehr schlimm im Bauchraum verletzt hatte. Obwohl man ihn schon fast aufgegeben hatte, war er im Lazarett doch einigermaßen wieder hergestellt worden. Danach hatte er Zeichnen und Kunstgeschichte studiert und wurde schließlich ein ausgezeichneter Pädagoge auf diesem Gebiet. Als wir etwas älter waren, erfuhren wir allmählich, dass sein Körper als schlimmste Folge seiner Kriegsverletzung irreparable Schäden im Unterleib davongetragen hatte. Seine Ehe blieb deshalb kinderlos und voller Probleme. Dieser Mann war äußerst sensibel, temperamentvoll und fantasiereich. Ich hatte diesen Lehrer sehr gern. Sein Unterricht war sehr abwechslungsreich. Manchmal erzählte er selbsterfundene Geschichten, aus denen wir dann nach freier Wahl Bilder malen sollten. Seine Geschichten hatten gewöhnlich einen düsteren - geheimnisvollen Schluss. Heute neige ich zur Ansicht, dass dieser Lehrer als schlimmstes Übel aus dem Krieg auch noch eine Gemütserkrankung mitgebracht hatte. Er war übrigens ein leidenschaftlicher Verehrer seines Führers. Seine Bemerkungen über Hitler hatten schon manchmal etwas Skurriles an sich, besonders wenn er so tat, als kenne er die geheimsten Überlegungen unseres Kanzlers. Eines Tages, schon mitten im zweiten Weltkrieg, fand man ihn erhängt auf dem Boden unserer Schule. Ich sehe ihn heute als ein spätes Opfer des ebenso sinnlosen Ersten Weltkrieges.
Wie Herr Koepke, so waren noch viele unserer Lehrer als junge Männer in den Ersten Weltkrieg gezogen. Die meisten von ihnen trugen davon zumindest irgendwelche Schrullen mit sich herum, über die wir gelegentlich lachen konnten. Da war zum Beispiel Oberstudienrat Dr. Doelle, ein mächtiger Mann als Vertreter des Direktors, als souveräner Mathematiklehrer und auch von seiner Statur her. Wir nannten ihn „Bobby“. Im Ersten Weltkrieg hatte er bei der schweren Artillerie gedient. Wenn wir es schafften, ihn davon erzählen zu lassen, dann mussten wir uns mächtig das Lachen verkneifen. In seinem Bericht triumphierte über den Feind gewöhnlich die Fähigkeit zu genauer mathematischer Berechnung einer Geschoßbahn. Der Clou kam für uns immer dann, wenn sein Bericht den Punkt erreicht hatte wo Bobby als Ballonbeobachter aufsteigen musste, um die Stellung eines französischen Eisenbahngeschützes ausfindig zu machen, die gerade durch Verlegen von Eisenbahngleisen eingerichtet wurde. Vor unseren tränenden Augen stieg Bobby in seiner derzeitigen Gestalt in den Korb des Ballons und ließ das Luftgefährt gefährliche Schwingungen vollführen. Wenn dieser Bericht den zielgenauen Einschlag der von einem Elefantengroßen Ballonbeobachter gesteuerten Artilleriesalve mit dem sächsisch singenden „… genau uff de Weiche!“ beendete, hatten wir alle aufgeblasene Backen. Im Gemüt eines alten Turnlehrers, der schon während meiner Unterstufenzeit in den Ruhestand ging, hatten sich die Soldatenjahre in der Gestalt von Marschliedern verhakt. Bei ihm begannen die Turnstunden jedes Mal damit, dass wir in der Turnhalle herummarschieren und Marschlieder singen mussten. Immer kam dabei das Lied des früheren Altenburger Regiments zum Einsatz: „Wir sind die Füsiliere, des Königs Grenadiere, wir ziehen in das Feld, …hurra, hurra, hurra 153 Regiment.“
Auch unser langjähriger Deutsch- und Klassenlehrer Herr Studienrat Löbe hatte als Offizier am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Von ihm hörten wir kaum etwas über diese Zeit. Er war ein nationalgesinnter Mann, den wir recht gern hatten. Zu den Nationalsozialisten zog es ihn nicht hin. Er trug kein Parteiabzeichen. Seine Neigung zur Milde im Umgang mit uns nutzten wir kaum einmal wirklich aus. Sein Bruder war Pfarrer an der Altenburger Brüderkirche. Wie diese Beispiele zeigen, war die ältere und mittlere Generation unserer Lehrer vom Erleben des Krieges mehr oder weniger geprägt, manchmal auch davon gezeichnet. Unter den Lehrern der jüngeren Generation hob sich unser späterer Turn-, Biologie- und Erdkundelehrer als forscher Pädagoge des neuen NS-Typs heraus. Wir nannten ihn Winnetou. Diese respektvolle Bezeichnung war aus unserer Sicht berechtigt denn er scheute sich im Turnunterricht nicht, uns jede Übung auch selbst vorzuturnen. Dafür konnte er einem Angsthasen ganz schön zusetzen wenn dieser sich vor einem Turngerät scheute. Als wir etwa 15 Jahre alt waren, ließ er uns zum Beispiel eines Tages beim Schwimmunterricht im Städtischen Freibad in einer Reihe antreten und hintereinander die Treppe zum Sprungturm hinaufklettern. Ohne es vorher besprochen oder gar geübt zu haben, musste jeder in der Reihenfolge wie er über die Treppe heraufkam zum Ende des Dreimeterbrettes treten, sich mit dem Rücken zur Wasserfläche stellen und von dort einen Abfaller rückwärts in das Becken machen. Winnetou stand im Sprungturm am vorderen Ende des Sprungbrettes und sagte jedem, er solle die Arme hochnehmen und ein Hohlkreuz machen. Tat er das nicht und sah sich nur ängstlich um, trat Winnetou auf das Brett, bis dem armen Kerl nichts weiter an Platz übrigblieb und er notgedrungen rückwärts ins Wasser musste. In diesen Fällen war die Mutprobe verfehlt und endete sehr schmerzhaft. Das sah ich sehr schnell ein und ließ mich lieber von selbst fallen. Ein Erlebnis mit Bauchkribbeln, ein sich drehender Wolkenhimmel und ein Plumps ins Wasser, der nicht schmerzte, war die Belohnung. So lernten wir, dass Mutig Sein weniger Schmerz bereitet als Feige Sein. In Winnetous Biologieunterricht wurden wir ebenso hart herangenommen. Wir bekamen dadurch ein recht ordentliches Fachwissen, natürlich auch in den Grundlagen der Vererbungslehre. Von den Mendelschen Gesetzen gerieten wir leider auch, wie im Lehrplan vorgeschrieben, zur nationalsozialistischen Rassentheorie. Ich kann diesem Lehrer zwar nicht persönlich die grauenhaften Folgen des Rassenwahns vorwerfen aber zweifellos legte er durch seinen im Übrigen guten Biologieunterricht in unseren Köpfen eine scheinwissenschaftliche Basis für unsere Kritiklosigkeit gegenüber der diesbezüglichen Tagespropaganda.
Mein erster Klassenlehrer in der neuen Schule war Herr Heimerdinger. Für ihn gab es keinen Spitznamen, vielleicht hatte er keine beachtenswerten Schwächen. Seine Stärke lag vermutlich in seiner Gewissenhaftigkeit. Er führte uns auch in die Grundlagen der französischen Sprache ein. Ich hatte dieses Fach bald recht gern und bekam auch zunächst gute Noten. Studienrat Heimerdinger verkörperte den Typ eines humanistisch gebildeten Pädagogen, von denen es noch mehrere gab. Auch Studienrat Löbe gehörte dazu. Ich bin sehr froh, dass ich meine Schulzeit unter dem Einfluss von Deutsch- und Sprachlehrern der alten Schule verbringen konnte. Als Schüler war ich zu solchem Urteil natürlich nicht fähig und versuchte, wie übrigens fast alle meine Klassenkameraden, den Schmerz des Lernens so gering als möglich zu halten. Trotzdem ist zum Glück noch genug Wirkung des Einflusses dieser Männer geblieben.
Unser Verhältnis zu den Lehrern hing sehr von ihrem eigenen Können ab. Den meisten brachten wir die gebotene Achtung entgegen, wobei auf die Trix und Schabernacks bei kaum einem Lehrer verzichtet wurde. Ein Lehrer, den wir in späteren Jahren vorübergehend einmal bekamen, ist davon auszunehmen. Es war ein phrasenhaft und lautstark die Ideologie der NSDAP vertretender Mann. Wir merkten sehr bald, dass er nur sehr dünne Fachkenntnisse besaß und nahmen ihn nicht ernst. Das brachte ihn eines Tages so auf, dass er quasi entschuldigend aber lautstark erklärte:
Heimweg von der Schule
„Während andere in Ruhe studierten haben wir für Deutschland gekämpft!“ Er blieb für uns ein unbeliebter Lehrer.
Ich denke, dass bei aller Indoktrination der herrschenden