Blind am Rande des Abgrundes. Fritz Krebs

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Blind am Rande des Abgrundes - Fritz Krebs

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… Gedenkfeier mit Pfarrer Löbe auf dem Heldenfriedhof.

      Es war bei unserer Erziehung kein Wunder und auch nicht zu übersehen, dass wir Jungen beim Anblick paradierender Soldaten in Begeisterung gerieten. Solch ein Ereignis kannten wir ja nur von Bildern. Die Machthaber nutzten diese Gelegenheit geschickt aus, um die Jugend noch fester auf den Kurs der Militarisierung einzuspuren, wie die folgende Zeitungsnotiz zeigt:

       Dienstag, 19. März 1935

       Der thüringische Minister für Volksbildung, Fritz Wächtler, hat am 18. März folgende Anordnung erlassen: „Der Führer und Reichskanzler hat mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die deutsche Wehrfreiheit wieder aufgerichtet ….Unter dem Eindruck dieser großen geschichtlichen Wende … ordne ich folgendes an: Bis zum Ende des laufenden Schuljahres ist in allen mir unterstellten Schulen vom 6. Schuljahr ab, das Reichsgesetz für den Aufbau der Wehrmacht vom 16. März 1935 in den Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts zu stellen … Es muss in der Jugend das tiefbeglückende Bewusstsein wachgerufen werden, dass ihr das Erleben größter und welthistorischer Entscheidungen beschieden ist …“

      Diese „welthistorischen“ Entscheidungen waren damit verbunden, dass bereits im Juni zur Musterung der Jahrgänge 1914 und 1915, also der 20- und 21-Jährigen aufgerufen wurde. Im gleichen Monat verordneten neue Gesetze die Arbeitsdienst - und die Luftschutzpflicht. Altenburg wurde auch bald wieder eine Garnisonstadt. In seine Kasernen an der Leipziger Straße zog, wie schon im zweiten Deutschen Kaiserreich, die Infanterie ein. Das Leben der Menschen in der Stadt verband sich von nun an immer enger mit dem Leben der hier stationierten Soldaten. Wie alles Neue, zog uns Kinder dieses Geschehen an. Wir rannten anfangs überall hin wo Soldaten übten und marschierten. Das ließ mit der Zeit wieder etwas nach, wie alles was zur Gewohnheit wird. Zur Gewohnheit wurden auch bald das Knattern der Platzpatronen auf den Wiesen vor der Stadt, das Marschieren der zur täglichen Übung ausrückenden Marschkolonnen und ihr lauter Gesang in unserer Straße. Das Interesse der heiratsfähigen jungen Mädchen blieb groß. An den Wochenenden sah man immer mehr von ihnen mit ihrem schmucken Soldaten spazieren gehen. Größere Militärveranstaltungen zogen allerdings auch die übrige Bevölkerung in ihren Bann. Die Uniform als Repräsentation höchster Macht im Staate hatte unter den Deutschen leider noch nichts von ihrer Faszination eingebüßt.

      Hierzu wieder ein paar Notizen aus der Altenburger Landeszeitung, die zeigen, dass man dieses Interesse wachzuhalten gewillt war:

       Montag, 1. Juli 1935

       Rückkehr des II. Bataillons … Von unserem II. Bataillon erhalten wir die Nachricht, dass die Übungen auf dem Truppenübungsplatz beendet sind. Das Bataillon wird einen Teil des Rückweges, und zwar von Mittweida bis Altenburg im Fußmarsch zurücklegen.

       Dienstag, 24. September 1935

       Willkommen im neuen Standort! Die Ankunft der IV. Abteilung des Artillerieregiments Naumburg. Gestern sind zwei Batterien des Art. Rgt. Naumburg in Altenburg, ihrem neuen Standort eingetroffen. Die offizielle Begrüßung wird am 30. September stattfinden.

      Das war etwas für uns Jungen. Es gab nun auch noch Kanonen in unserer Stadt. Für die Artillerie war in Altenburg eine Erweiterung des Kasernenkomplexes vorgenommen worden. Außerdem hatte man eine ehemalige Fabrik im Ortsteil Kauerndorf für die zu Kurzübungen einberufenen Reservisten der Infanterie eingerichtet. Das war jenes oben genannte II. Bataillon. Sie hießen bei allen Leuten nur „die 8-Wochen-Soldaten“. Aus der Reichswehr der Weimarer Republik wurde die Deutsche Wehrmacht. Die Presse jubilierte:

       Donnerstag, 7. November 1935

       Die neuen Flaggen der Wehrmacht … Altenburgs Rekruten schwören Treue der Reichskriegsflagge …

      Von der Entwicklung Deutschlands zu einem Militärstaat blieb keine Organisation der Partei unberührt. Damit ging auch für das Deutsche Jungvolk die Phase des romantisch eingefärbten Jugendlebens zu Ende. Es verschwanden bald die bunten, selbst entworfenen Wimpel und Fahnen .Die farbig geflammten Landsknechts Trommeln wichen den einheitlich schwarz-weiß geflammten. Außerdem erhielten wir Dienstgrade und Rangabzeichen. Der Dienst wurde straffer, es wurde geschult und gedrillt. Wir versuchten beim Exerzieren mit der Wehrmacht zu wetteifern. Die Leute sahen uns alsbald mit Staunen durch die Straßen ziehen. Manch alter Frontsoldat wird in den folgenden Jahren die Disziplin unserer Marschkolonnen mit Wohlgefallen betrachtet haben. Ja, es war so - diese Jugend tat in ihrer Mehrzahl mit Hingabe, was man von ihr erwartete. Sie bereitete sich darauf vor, „Den aufhaltsamen Aufstieg und Fall des Arturo Ui“ mit all ihren Kräften zu vollenden. Wir glaubten wirklich, es diene alles zum Besten unseres Landes. Als Zeitdokument möchte ich dazu wieder die Altenburger Landeszeitung zitieren:

       Dienstag, 9. Juli 1935

       Neue Dienstränge in der HJ … Als neuer und unterster Dienstrang wird bei der Hitlerjugend der Rottenführer eingeführt. Entsprechend erhält das Deutsche Jungvolk den neuen Rang des Hordenführers. Als Kennzeichen trägt der HJ-Rottenführer eine silberne Litze auf beiden Schulterklappen, der DJ-Hordenführer einen silbernen Winkel auf dem linken Unterarm.

       Sonnabend / Sonntag, 10. / 11. August 1935

      Das Führungsorgan der nationalsozialistischen Jugend „Wille und Macht“ bringt in seinem Heft vom 1. August einen Aufsatz „Der Soldat von morgen“. Er umreißt die Gestalt des Offiziers, des Unteroffiziers und des Dienstpflichtigen … In dem Dienstpflichtigen erkennt Helmcke (Anm.: Verfasser des Artikels) den Mann, der weiß, worum es geht. „Den Willen zum letzten soldatischen Einsatz ist diese Jugend entschlossen, der Welt zu zeigen“. Der Aufsatz …wird gerade in der Hitlerjugend ein gutes Echo finden, weil hier zum ersten Male das Gesicht des Soldaten von morgen gezeigt wird, der Vorbild der Nation ist.

       Mittwoch, 28. August 1935

       Jungvolklager Thräna. Mit dem 1. September wird das Führerlager Thräna wieder in Betrieb genommen werden. Dort werden jede Woche 50 Jungenschaftsführer und Hordenführer des Deutschen Jungvolks körperlich und geistig geschult. Aller 14 Tage finden Lehrgänge für Jungzugführer statt …

      In dieser Zeit begann mein Aufstieg über die Leiter der Dienststellungen und Rangstufen im Deutschen Jungvolk. Im Grunde war ich überrascht, als man mir sagte, ich solle den Dienst eines Hordenführers übernehmen. Das war weiter nichts, als bei fünf bis sechs Jungen, die in meiner Nachbarschaft wohnten, den Beitrag zu kassieren und Benachrichtigungen für den Dienst zu überbringen. Ich tat es so gewissenhaft wie ich es konnte. Das war anscheinend gut genug, um mich eines Tages in jenes Führerlager nach Thräna zu schicken, damit ich mir den dazugehörenden Dienstrang mit dem Silberwinkel am Ärmel erstrampeln konnte. Das hielt ich damals für einen Vertrauensbeweis und eine Ehre. Was mich und die mit mir dort angereisten Kameraden erwartete, war so strapaziös , dass mir der zuständige HJ-Arzt bei der abschließenden Untersuchung riet, ich solle mich wegen meines Herzens in ärztliche Nachkontrolle begeben. Wir wurden dort von einem äußerst unsympathischen Jungvolkführer bis zur Erschöpfung geschliffen. Es war das erste Mal, dass ich gegen einen Jungvolkführer eine tiefe Abneigung empfand. Das barackenähnliche Backsteingebäude für dieses Führerlager war bereits im September 1933 dem Altenburger Jungbann von den Niederlausitzer Kohlenwerken zur Nutzung übergeben worden. Es gehörte bis dahin zum Braunkohlentagebau - und Brikettfabri k- Komplex in Thräna und lag an der sächsisch - thüringischen Grenze. Ein Tagebauloch lag direkt vor unserer Führerschule. Wenn irgendetwas nicht klappte, jagte uns jener Sadist von Ausbilder mit dem Befehl: „In den Tagebau marsch-marsch!“ über den Schräghang des oberen Abraums. Das geschah mitunter mehrmals hintereinander, so dass wir zum Schluss mit zitternden Knien und völlig k.o. wieder den oberen Tagebaurand

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