Blind am Rande des Abgrundes. Fritz Krebs
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5. Die Klugen und die Törichten
Die Mitgliederstärke im Deutschen Jungvolk und in den anderen Gliederungen der Hitlerjugend wuchs jetzt ständig. Uniformen begannen das Stadtbild zu prägen, weil immer häufiger umhermarschiert wurde. Dazu dienten auch die ins Leben gerufenen Feste und Feiern. Es gab jetzt genügend Anlässe, uns, - die „Zukunft der Nation“ -, allen Leuten vorzuführen. Noch hatte sich in mir nicht jener dumme Stolz eingestellt, Teil einer in militärischer Exaktheit funktionierenden Marschkolonne zu sein. Wir zogen hinter den phantasievoll gestalteten Fahnen und Wimpeln unserer Einheiten her, wobei wir unsere Landsknechts - und Fahrtenlieder sangen. Es waren aber auch schon einige neue Lieder hinzugekommen. Wir Küken vom Jungzug 4 hatten manchmal noch unsere Mühe damit, die zu kurzen Beine in den Marschtakt einzupassen, den die voranziehenden Landsknechts Trommler angaben.
Die Regierung rief bereits im Juni 1933 erstmalig zum „Fest der Jugend“ auf. Äußerer Anlass dazu wurde künftig die Sommersonnenwende am 24. Juni. Daran nahmen 1933 letztmalig auch die Scharnhorstjugend, die Turnerjugend und die Christliche Jugend teil bevor sie dann bald danach aufgelöst wurden. Wie stark bereits zu dieser Zeit versucht wurde, die Schulen in das Erziehungsprogramm der Hitlerjugend zu integrieren, zeigen einige Zitate aus der Altenburger Landeszeitung zu dieser Veranstaltung:
Sonnabend, 1. Juli 1933
Heute Fest der Jugend … Leiter und Vorsitzender der Veranstaltung ist Pg. Studienrat Otto, Träger der Veranstaltung ist die Hitlerjugend … Sie beginnt um 8 Uhr (Anm.: 20 Uhr) … Es treten an: Sämtliche Jugendverbände bis inkl. Schulen.
Montag, 3. Juli 1933
Glänzender Verlauf des Festes der Jugend … Das Sonnenwendfeuer auf der Kampfbahn … Auf der Hindenburgpromenade sammelte sich die Schuljugend, die von der Siegerverkündung auf der Kampfbahn zurückgekehrt war, die Hitlerjugend, Scharnhorst, Turnerjugend und Christliche Jugend, ferner die SA und der Stahlhelm zum Werbemarsch durch die Stadt. … Auf der Kampfbahn (Anm.: Sportstadion vor dem Herzog-Ernst-Wald) war unterdessen ein mächtiger Holzstoß aufgetürmt worden, um den herum sternförmig die am Umzug beteiligten Verbände Aufstellung nahmen. Ihre Zahl dürfte mit 4000 nicht zu hoch geschätzt sein. Dazu kommt die Riesenzahl der Zuschauer, die sich ringsherum angesammelt hatten. Mit dem Liede „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“ wurde die Feier eröffnet. Darauf wurde das Manifest der Gebietsführung Thüringen der Hitlerjugend verlesen, in dem es u.a. heißt: Die Form , in der sich die deutsche Jugend zusammengefunden hat zum Feuerfest, ist nicht die Form der Bünde und Grüppchen, sondern die Form der großen Volksgemeinschaft, wie sie die Staatsjugend des Deutschen Reiches erlebt, die mit vollstem Bewusstsein den Namen des Führers und Kanzlers führt ….Unter den Klängen des Liedes „Flamme empor!“ wurde dann der Holzstoß in Brand gesetzt, dessen heller Schein die Umgebung in ein zauberhaftes Bild verwandelte. Kreisleiter Panzer hielt eine Ansprache … Die Feuersprüche der Hitlerjugend, des Bundes Deutscher Mädchen, der Stahlhelm-Scharnhorstjugend, des Notwerkes der deutschen Jugend, der Christlichen Jugend und der Turnerjugend … Zum Schluss sprach die Hitlerjugend den Rütlischwur. Nach dem Liede „Wir treten zum Beten“ sprach Studienrat Otto, der Leiter des Festes der Jugend. Er führte aus, dass sich die Jugend selbst ehrt, wenn sie die gefallenen Brüder und Väter nicht vergisst …
An jenem Tage erlebte ich erstmals eine Sonnwendfeier. Verstand ich die gehaltenen Reden auch nur bruchstückhaft, so imponierte mir umso mehr der riesige brennende Holzstoß, der die mir bekannten Lagerfeuer in seiner Flammengewalt um ein Vielfaches übertraf. Von da an erlebte ich viele solche archaische Riten mit Feuersprüchen und dem anschließenden Durchspringen der kleiner gewordenen Flammen. Solche Veranstaltungen machten nicht klüger aber gefügiger. Wir erlebten etwas und waren immer zur Stelle wenn man uns rief. Auch im Festumzug zum Erntedankfest marschierten die Hitlerjugend, das Jungvolk und der Bund Deutscher Mädel als zukunftweisende Werbeträger der neuen Machthaber fröhlich durch die Stadt.
Ständig war in Altenburg etwas los. Einen besonderen Eindruck hinterließen bei vielen Menschen die Altenburger National- und Heimatfestspiele, die in den Monaten Juni und Juli 1933 mit großem Aufwand durchgeführt wurden. Die Betonung der nationalen und regionalen Geschichte beim großen Festumzug mit all den vorbeiziehenden glänzend ausstaffierten Fürsten, Rittern und Trachten versetzten nicht nur uns Jungen in einen Zustand heller Begeisterung. Auf dem Schlosshof hatte man eine Freilichtbühne errichtet, um die Geschichte vom „Prinzenraub zu Altenburg“ aufzuführen. Das vor der prächtigen Kulisse des Schlosshofes von Schauspielern des hiesigen Landestheaters dargebotene Stück wurde in vielen Wiederholungen aufgeführt. Wir Kinder verfolgten das Geschehen voller Spannung und innerer Erregung. In den Schulpausen, zu Hause und auf der Straße gab es in diesen Tagen unter Jungen meines Alters nur ein Thema: Ritter, ihre Burgen und Waffen .Natürlich wurde intensiv über den Ritter Kunz von Kauffungen diskutiert. Wir hatten ihn während der Freilichtaufführung hoch zu Ross über den Hof des gleichen Schlosses reiten gesehen, aus dem er vierhundert Jahre zuvor die kurfürstlichen Prinzen geraubt hatte, um die Einhaltung eines vom sächsischen Kurfürsten gegebenen Versprechens zu erzwingen. Wer von uns schon Mitglied im Deutschen Jungvolk war, wusste, dass er als Altenburger zum Jungstamm „Kauffungen“ gehörte. Kein Wunder, wenn man da schon ein Wenig stolz darauf war, in der Tradition eines solchen Kämpen zu stehen. Mit einem so abgeklärten Satz wie: „Torheit und Stolz wachsen auf einem Holz“, sofern man ihn auf das Erwachen eines kindgemäßen Nationalstolzes überhaupt anwenden konnte, hätte uns in diesem Zusammenhang niemand beeindrucken können.
Am Festumzug waren auch die Handwerkerinnungen und viele örtliche Vereine beteiligt. Auch mein Vater nahm daran mit seinen Sportsfreunden vom Deutschen Schäferhundeverein teil, verkleidet als mittelalterlicher Jäger und mitsamt seinem Hund Alf. Für die historisch passende Einkleidung aller Mitwirkenden hatte das Altenburger Landestheater gesorgt.
Von der Stimmung der Altenburger und den Eindrücken dieses Ereignisses mag die Wiedergabe eines Ausschnittes aus dem Bericht in der Altenburger Landeszeitung einen treffenderen Eindruck vermitteln als ich ihn aus meiner Erinnerung heute noch zu geben vermag:
Montag, 3. Juli 1933
Altenburger National- und Heimatfestspiele … Der Sonntag brachte den großen historischen Festumzug, ….Fanfarenbläser ritten dem Zug voraus; ein Reiter, der die Standarte des Kurfürsten trug, folgte. Stadtpfeifer, Musikanten in den schönen Trachten geleiteten den Wagen des kurfürstlichen Hofes durch die Stadt …. Ritter, Reisige, … die Gruppe der Köhler. Die Gruppen der Richter, der Geschworenen, der Nonnen und Mönche beschlossen den ersten Teil des Zuges. Der zweite brachte die Innungen in den alten Trachten … Fleischer, Schmiede, …Schneider, …Schuhmacher..die Bäckerinnung. Die Jäger kamen zu Fuß und zu Pferd und brachten ihre laut kläffende Meute mit. Die Falknerin saß zu Pferde … Der dritte Teil des Zuges brachte hinter den Spielleuten Kunz von Kauffungen und schließlich den Wagen, auf dem die Burg Kauffungen zu sehen war. Die Freunde und Verwandten des Kunz von Kauffungen saßen vor dem Tore ihrer Burg. Der Wagen hinterließ einen sehr guten Eindruck … Zum vierten Teil des Festzuges, der die Mitwirkenden des Festspieles „Deutschlands Erwachen 1813“ vorführte, ritt hinter den Kapellen Oberst Bauer …
Wie klug hätte wohl ein einfacher Bürger dieser Stadt sein müssen, um zu erkennen, dass auch hinter einem solch bunten und fröhlichen Heimatfest die nüchterne Berechnung politischer Machthaber an den Fäden zog. Die kritischen Stimmen waren damals wohl schon sehr leise geworden. Ich hörte sie nirgends. Vielleicht hatte die Mehrheit der Menschen einfach keine Lust mehr, sich ihre erwachenden Hoffnungen auf ein besseres Leben zerstören zu lassen. Jedenfalls billigten in der Volksabstimmung am 12. November 1933 95,1 % der Deutschen durch ihr „Ja“ die Politik der Nationalsozialisten. Von den 4,9 % klügeren Neinsagern las man manchmal negative oder warnende Berichte in der Zeitung wie beispielsweise diesen: