Blind am Rande des Abgrundes. Fritz Krebs
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Landesverräter im Gewand der „Bibelforscher“. Die verbotenen „Bibelforscher“ hatten anlässlich dieser Wahl unter den bedauernswerten Anhängern die Parole verbreitet, nicht an der Wahl teilzunehmen.
Noch wusste ich nicht, dass auch eine in unserer Straße ansässige Familie zu der genannten Glaubensgemeinschaft gehörte. Es war die Familie Rank, deren Sohn Wolfgang mit mir in die gleiche Schulklasse ging. Er war ein kräftiger aber sehr stiller Junge. Mit ihm hatte ich früher häufig gespielt. Dabei waren wir wie schon berichtet einmal Zeugen einer Prügelei von zwei Männern vor dem Eingang zu Ranks Grundstück. Wolfgang selbst war und blieb die Friedfertigkeit in Person. Ich sollte erst nach dem Zweiten Weltkrieg, nach meiner Heimkehr aus langer Gefangenschaft erfahren, dass ihn diese Friedfertigkeit und seine Glaubenshaltung im Reiche Adolf Hitlers das Leben gekostet hat. Man hatte ihn erschossen, weil er sich weigerte eine Waffe zu tragen. Bei Wahlen hielten sich seine Eltern von der Wahlurne fern. Ich erfuhr dies aus Bemerkungen meiner Eltern, die ich unbeabsichtigt mithörte. Auf der Straße hörte ich dazu schon eher herabsetzende Worte zum Thema „Bibelforscher“. Selbst die Kirche wollte von diesen Leuten nichts wissen. Eigenartigerweise machte es den Eindruck, als hätte es in der Öffentlichkeit zunächst keine Probleme zwischen Kirche und Nationalsozialismus gegeben. Das stimmte zwar nicht, scheint aber aus der folgenden Notiz in der Altenburger Landeszeitung hervorzugehen:
Dienstag, 21. November 1933
Gemeinsamer Kirchgang der NSDAP am Bußtag … Morgen, den 22. November, am Bußtage, findet in allen Kirchen vorm. 1/2 10 Uhr ein gemeinsamer Kirchgang der NSDAP statt, und zwar nehmen auf Anordnung der Kreisleitung die Formationen nach folgendem Plane an den einzelnen Gottesdiensten teil.
Bartholomäikirche: Amtswalter, SS-Sturm Streubel und SA-Reserve.
Brüderkirche: Übrige SS, SS-Motorsturm, SA und Stahlhelm.
Agneskirche: Nachrichtensturm, Hitlerjugend, Jungvolk und BDM.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich an einem solchen Gottesdienst teilnahm. Unsere Gemeindekirche war außerdem die im genannten Aufruf nicht erwähnte kleine Katharinenkirche des Ortsteiles Rasephas.
Rückschauend auf jene Jahre denke ich, dass es mehr sensible und gleichermaßen auch kluge Leute in unserm Land gegeben hat als es das Wahlergebnis vom 12. November 1933 ausdrückt. Vielleicht waren sie nur zu feige, dieser Mischung aus politischer Ungereimtheit und rigoros agierender Dummheit der neuen Machthaber durch ihre Neinstimme entgegenzutreten. Für mich ist es kein Trost, damals zu den törichten Kindern gehört zu haben, denen man die Gnade der späten Geburt gewähren darf. Dazu hat meine Generation einen zu hohen Preis für die Mitwirkung bei der Aufführung des Dramas vom Dritten Reich zahlen müssen.
Ich bin allerdings auch nicht bereit, mich für meine Kindheit zu entschuldigen, nur weil sie zufällig in die Jahre von Hitlers Regierungszeit fiel. Die Welt der Kinder ist immer eine andere als die Gleichzeitige der Erwachsenen. Auch die Unsere war, so wie wir sie damals sehen konnten, schön, bunt und voller Erlebnisse. Wir wurden hart gemacht im Ertragen von Strapazen. Man machte uns stolz und opferbereit für die Gemeinschaft. Das alles entsprach Idealen, die wir zu bejahen lernten. Wir fragten ja nicht danach, woher sie kamen. Meine Erziehung im Elternhaus verhinderte zu meinem Glück, dass ich Härte und Hass gegenüber anderen Menschen oder Gruppen entwickeln lernte. Auch die Schule bahnte bei mir Interessen und Neigungen an, die trotz aller Dominanz der NS-Politik in den Lehrplänen nicht in das zweckorientierte Erziehungsprogramm der Hitlerjugend passten. So ließ die dreifache Aufteilung meiner Zeit zwischen Elternhaus, Schule und Hitlerjugend noch genug Spielraum dafür, eine glückliche Kindheit zu haben.
6. Die Tore in die Zukunft
Die Sommerferien 1934 verbrachte ich ausnahmsweise einmal nicht in meinem geliebten Auerbach, sondern bei meinen Großeltern väterlicherseits in Stendal. Dort lebten auch die Geschwister meines Vaters, Tante Gertrud, Tante Martchen und Onkel Otto. Es war recht abwechslungsreich für mich denn Onkel Ottos Söhne waren in einem zu mir passenden Alter. Der Älteste, ebenfalls mit dem Namen Otto getauft, war nur einen Monat nach mir geboren. Mein 10. Geburtstag fiel in die Zeit jenes Ferienaufenthaltes, weshalb an diesem Tage eine große Familienfeier stattfand. Ich bekam sehr viele Geschenke von Onkel und Tanten, darunter auch ein reichhaltiges Sortiment an sogenannten Elastolin-Soldaten. Sie waren seit einiger Zeit ein von Jungen begehrtes Spielzeug. In den Schaufenstern der Spielwarenläden baute man damals mit diesen ca. 6 Zentimeter großen Figuren ganze Kriegsschauplätze auf, um die Kinder anzulocken. Ich war überwältigt denn meine Geburtstage erlebte ich sonst nur im Kreis der Kleinfamilie. Von meinen Großeltern bekam ich eine vollständige Jungvolkuniform geschenkt. Bis dahin ging ich noch immer mit einem weißen, statt einem braunen Hemd zum Dienst. Nun bekam ich sogar das Koppelzeug noch dazu. Großvater war sichtlich stolz auf mich und es musste die Uniform gleich anprobiert werden. Ein Fototermin war auch schon im Vorgarten seines Einfamilienhauses arrangiert. Das Bild zeigt das Geburtstagskind jedoch mit einem Gesicht, das nicht zu den vielen Geburtstagsgeschenken passte, weil es immer dann bockte wenn es sich in eine beachtenswerte Positur setzen sollte. Das war schon Ostern 1931 in Altenburg beim Einschulungsfoto mit Zuckertüte so gewesen. Dieser Auftritt trübte nur für Minuten mein Wohlbehagen. Mein Großvater, der Typ eines korrekten preußischen Bürgers, war Werkmeister bei der Deutschen Reichsbahn. Er hatte unter dem Kaiser gedient und war als Unteroffizier ausgemustert worden. Ich vermute, dass für ihn die tägliche Pflichterfüllung und die Treue zum Vaterland zu den wichtigsten Kriterien bei der Beurteilung eines Menschen zählten. In diesem Sommer war ich sicher der Favorit unter seinen Enkeln weil ich als Erster bereit war, im Jungvolk eine vaterländische Pflicht zu erfüllen. Ich hatte mächtigen Respekt vor diesem Manne, an dessen Haltung man auch äußerlich sah, dass er eine längere Zeit beim Militär zugebracht hatte.
Wieder in Altenburg eingetroffen, konnte ich endlich in einer richtigen Jungvolkuniform zum Dienst gehen. Die Meisten von uns hatten inzwischen schon ein Braunhemd und es wurden ständig mehr, die sich der Hitlerjugend anschlossen. Es bestand ein erheblicher Mangel an Heimen für unsere Zusammenkünfte, weshalb unserem Fähnlein die Räume der ehemaligen Wache im Altenburger Schlosshof zugewiesen wurden. Wir saßen dort an rohgezimmerten Tischen, auf denen mangels elektrischer Beleuchtung mehrere Kerzen brannten. Unter den dunklen Deckengewölben des Gemäuers flackerten Licht und Schatten hin und her, ein passendes Umfeld für unsere aufgewühlte Phantasie, während wir Hardchens Geschichtenlesungen mit glänzenden Augen folgten… Trotz aller Primitivität war das unser schönstes Heim in all den Jahren.
Anfang 1934 zählte die Hitlerjugend schon weit über vier Millionen Mitglieder und sie wuchs anscheinend unaufhaltsam weiter. Die Staatsführung hatte sie bereits fest im Griff und nutzte das Potential an diesen willigen und hingebungsbereiten jungen Idealisten skrupellos aus. Hierzu sei wieder ein Zitat aus der Altenburger Landeszeitung angeführt:
Sonnabend / Sonntag , 10. / 11. Februar 1934
HJ im braunen Kleid. Es ist der Stolz eines jeden deutschen Jungen und eines jeden deutschen Mädels, ihr angehören zu dürfen. Diese Jugend leistet freudig Verzicht auf jegliche Nebensächlichkeiten und Vorteile des Lebens, leistet Verzicht auf manche Jugendfreuden, mit denen Geschlechter vor uns gesegnet waren, da sie sich, erfüllt von der Idee ihres Führers diesem mit Leib und Leben verschworen und sich schon früh zu einem harten Weg des Opferns und Dienens bekannt hat … Sie kennt und will nichts anderes kennen, als Dienst am Volk. Hierin liegt ihre Ehre, das nur ist der Inhalt ihres Lebens.
Wenn zu dieser Zeit solche Ausführungen auch noch zum Teil die Wunschvorstellungen der Mächtigen widerspiegelten, so trafen sie doch in ihrer Tendenz durchaus auf die Gesinnungsentwicklung dieser Jugend mehr und mehr zu. Eines vertrug die Partei