Gittas Bilder. Sabine Rydz
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„Nein, im Moment nicht, ich muss einen bestimmten Palast suchen, bitte stören Sie mich nicht“, erwiderte ich mit dem Brustton der Überzeugung, ich war ja nicht nach Venedig gekommen, um hier pausenlos zu essen oder zu trinken, das musste ich ihm schon mitteilen, und ich wollte ihn auch nicht unbedingt kennenlernen, ich brauchte hier und jetzt Konzentration, ich hoffe, dass er das begreift und mich in Ruhe lässt.
Wir fuhren zu einer Vaporetto-Haltestelle, es strömten eine Menge Touristen an Bord, hektisch wurde es, aber es störte mich nicht, es gehört zum Flair, aber auf der Fahrt zog wieder diese Power-Play-Architektur an uns vorbei, prächtige Palazzi, die in ihrer Zeit sicherlich schon Furore gemacht haben, hier haben Liebhaber ihre Damen hofiert und verführt, aber auch heimliche Schwulen-Parties haben hier stattgefunden und sind von der Inquisition verfolgt worden, gemeint war wohl das bunte Treiben im Palazzo Grassi, der um 1730 erbaut wurde, sein Besitzer war ein großer Musik-Fan, und auch Georg Friedrich Händel hat in einem der Grassi-Paläste bei seinen Gastspielen gewohnt. Aber nach der großen Flutwelle von 1984 wurde dieser Palast, man höre und staune, von Fiat gekauft und in ein Ausstellungszentrum verwandelt. Ja hier müssen die Bilder gehangen haben, in solch einem Ausstellungszentrum, das ist ja logisch, da hätte ich schon früher drauf kommen müssen, das wäre auch für die Bilder der richtige Rahmen, ich hoffte es innerlich, dass es noch spezielle Indizien geben würde, die verrieten, dass hier unsere Portraits gehangen haben, aber ich war mir natürlich wie immer nicht sicher, konnte ich ja auch nicht sein, alles Wissen bestand ja nur aus Aneinanderreihungen von Fantasien und Vermutungen, na ja immerhin es waren Ansätze, ich war fast überzeugt, dass es dieser Palast sein musste, aber wen sollte ich jetzt fragen, an wen sollte ich mich wenden, ich wollte sofort aussteigen, aber es ging nicht mehr, das Vaporetto fuhr bereits weiter und weiter.
Entspannung war jetzt angesagt.
Ich schloss die Augen und rief mir irgendein Erlebnis aus der Jugendzeit ins Gedächtnis zum Träumen zurück, einen Jugendschwarm, einen glücklichen Augenblick, doch plötzlich sah ich all diese Paläste in Dunst gehüllt, in verschwommenen blau, darauf orange und gold leuchtend, der vergangene Glanz funkelte vor meinen Augen, einfach grandios, und wie ich traumverloren auf die welke Pracht schaute, fiel mir doch tatsächlich wieder Farinelli ein, der war doch auch oft in Venedig, er war auf allen europäischen Opernbühnen zu Hause, aber besonders gern war er natürlich in Venedig. Farinelli hieß ein Kastrat mit einer Engelsstimme, ein Kunstgeschöpf, Idol der Androgynen-Szene. Entmannt und doch Sexprotz für Primadonnen, Kardinäle und Könige, aber er war letztlich ein glückloser Liebhaber, niemals in seinem Ruhm zur Ruhe kommend. Er führte das Leben eines Popstars der Barockzeit, und in Venedig hatte er eben auch einen Palast, aber wo war der nun gleich wieder, ja solche pikanten Details erfährt man ja leider auch nicht durch einen Reiseführer, aber es gibt einen überbordenden biografischen Roman, den hatten wir auch lange Zeit in der Buchhandlung, daran kann ich mich noch erinnern, ich wollte ihn auch lesen, aber dazu ist es leider nicht gekommen, jetzt dämmerte es wieder in meinem Gehirn.
Für Sekunden entlud sich bei mir eine unheimliche Leidensintensität, ich hätte jetzt heulen können und auch müssen, um den Druck loszuwerden, aber hier auf dem Vaporetto einfach so loszuheulen, das wäre ja auch peinlich geworden, ich wollte mir ja auch vor dem jungen Mann, der mich zum Kaffee eingeladen hatte, keine Blöße geben, er schaute schon nach meiner uncharmanten Abfuhr ein bisschen zornig drein, na ja alles wird gut, wie uns eine geniale Moderatorin über Jahre versprach, dabei wird leider nicht alles gut im Leben, alles wird immer komplizierter, viele sprechen analog und andere digital, aber sie können sich nicht verstehen, wie man jetzt schmerzhaft an dem Projekt „Stuttgart 21“ beobachten kann.
Ja, und ich kann weder analog sprechen, noch digital denken, denn ich hatte jetzt die Orientierung über die wichtigen Paläste total verloren, oh je, ich brauchte keinen Schlichter oder Vermittler, nein ein venezianischer Palast-Spezialist wäre für mich und meine Seele gut oder ein Charterhubschrauber, dass man Venedig von oben sieht, aber ob ich den richtigen Palast aus der Vogelperspektive erkenne, war auch noch fraglich, aber einen Versuch könnte man schon wagen, es wäre ein spektakuläres Fest, Happening, fast wie das Flamenco-Fieber-Fest von Sevilla, wo eine Woche lang nur gesungen, getanzt und getrunken wird und Paare in andalusischer Tracht auf prachtvollen Pferden reiten, ja danach wäre mir jetzt auch. Aber ich musste weiter suchen. Aber so eine Orientierungslosigkeit kann auch inspirierend sein, das hoffte ich zumindest, die ganze Aktion musste jetzt ein besseres Timing erhalten, und da hoffte ich auch auf kosmische Unterstützung, oder sollte ich mich mehr an den stumm schimmernden Andachtsfiguren und Madonnen orientieren, die an den Palästen prangten, für den Moment wusste ich es wirklich nicht, aber abwegig konnte diese Idee nicht sein, denn Madonnen sind doch in einer ständig lauter schreienden und dümmer daherredenden Zeit ein gutes Anti-Stress-Programm, der heutige Name für die ehemaligen Madonnen ist Model – das vorbildhafte Muster einer Sache oder eines Lebewesens. Dass diese Vorbilder heute alle übrige Prominenz an Strahlkraft übertreffen, ist doch eine Demonstration gegen den Übermut der Worte, die uns überall versuchen zu peinigen.
Aber die Schönheit der heutigen Models macht sie zu Göttinnen der Neuzeit. Also schipperten wir weiter auf dem so herrlichen Canal Grande, die Sonne lacht, also Blende acht im Fotoapparat, so hatte ich das seinerzeit beim Fernsehen der DDR, Bereich Dramatische Kunst von meinem Kameramann gelernt, oh Gott, wenn ich daran zurückdenke, bekomme ich gleich Schüttelfrost. Aber jetzt hielt ich permanent Ausschau nach den mittelalterlichen Madonnen, die an den Palästen als Trostbringerinnen hoffentlich zu sehen waren, ich konnte aber momentan keine stumme Gottesmutter oder andere Heilige erkennen oder identifizieren, leider, war ja auch für eine Atheistin eine schwierige fast übermenschliche Aufgabe, dem Symbol der Unerreichbarkeit zu begegnen, hören kann man sie auch nicht, weil sie zwar schöne Lippen haben, aber schweigen, sie sind ja keine Sirenen, wie die antiken Verführerinnen genannt wurden, an denen selbst der kühne Held Odysseus nicht vorbei kam, diese Art Verführung würde mir heute erspart bleiben, aber wer weiß, was mir noch passiert?
Für männliche Verführung der besonderen Art war auch ich sehr empfänglich, vor allem hier in Venedig, wo das Verführen zum guten Ton gehört, und vor allem zum sozialen Aufstieg führt, denn alle Frauen sind gleich, sie wollen angebetet werden, auch im Zeitalter der Emanzipation, gerade da kann diese Kulthandlung nicht ausgelassen werden, jede Verführung gibt Menschliches, Allzumenschliches preis, davon war ich überzeugt.
Die Paläste auf die ich gerade wieder starrte boten mir ihre ganze Schönheit an.
Eigentlich war es wie ein engmaschiges Netz von Gesichtern, die stolzen Paläste, die zu Stein gewordene Kultur einer anderen Zeit, eben das New York der Renaissance, hier spielte sich seinerzeit das wirtschaftliche und kulturelle Leben ab, und mit flimmernden Herzen wurde hier geliebt, gelebt, gespielt, natürlich auch gemordet, es gab chinesisches Porzellan und Seide, aber auch Opiumwaagen in Hülle und Fülle, und falsche Zungenschläge von der Kirche noch und nöcher, aber Gott sei Dank gab es noch keine Big Mac’s und auch keinen Döner Kebab, aber die Lieblingsspeisen der Venezianer sind Spaghetti oder Pasta in verschiedenen Variationen oder Risotto mit Meeresfrüchten oder dicke Eiernudeln mit Sardellen und Zwiebeln oder Artischocken und Garnelen oder, oder …
Doch plötzlich tauchte der Palazzo Moncenigo vor meinen Augen auf, er besteht eigentlich aus vier Palästen, und ist mit einer Gedenktafel für den englischen Dichter-Aristokraten Lord Byron verziert, die wir natürlich nicht sehen nur ahnen konnten, er lebte von 1816 bis 1819 in Venedig, der Glückliche konnte ich dazu nur bemerken.
Aufregend muss sein Leben gewesen sein, er konnte in völliger Präsenz als Hedonist hier die freie Liebe praktizieren, anders als in Merry old England zu dem Zeitpunkt, und der zwischenmenschliche Energie- und Liebesfluss lief hier in Venedig natürlich ungezügelt, und mit wem er es hier wohl getrieben hat, würde mich auch interessieren, aber alles top secret.
Leider war damals noch nicht das Informationszeitalter