Gittas Bilder. Sabine Rydz
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Aber wir wollen uns ja nicht mit Tratsch und Klatsch beschäftigen, sondern mit Kunst und Malerei, und Malern und deren Geheimnissen, die bei Nacht die Pinsel in eindrucksvoller Weise geschwungen haben, die außer ihren Bildern keine anderen Bedürfnisse und Sehnsüchte hatten, das ist vielleicht ein Klischee, aber manche Klischees stimmen, andere eben nicht, aber flanierende Menschen auf Brücken und verliebte Paare, die sich küssen haben sie sicherlich auch gemocht und auch gemalt.
Gitta sagte immer: „Nur der wache Sinn erkennt das Neue im Bekannten“, wenn sie über bestimmte Probleme in der Kunst nachdachte, wie Turner hätte sie hier die Sonnenuntergänge betrachtet und gemalt, und von Canalettos Stadtansichten hätte sie sich auch eine Scheibe abschneiden können, überhaupt von den venezianischen Meistern, aber Venedig war ja für die DDR-Führungs-Mannschaft ein dekadenter Ort, der mit sozialistischer Kunst gereinigt werden musste, und deshalb wurden ja auch unsere Bilder dort ausgestellt, so quasi als späte Katharsis.
Jetzt wurde es interessant, wir passierten die Vaporetto-Station Ca’Regazzonio, ja und hier in unmittelbarer Nähe musste ja auch der berühmte Loredan Palazzo sein, so war er mir jedenfalls noch in Erinnerung, schade meinen First-Class-Reiseführer fand ich in diesem Moment nicht, um ein paar Passagen nachzulesen, aber egal ich irre mich selten in solchen Fällen. „Dort, das ist der Loredan Palast, es soll der prächtigste Palast in ganz Venedig sein“, sagte ich zu meinem jungen Reisebegleiter, um die eingeschlafenen Konversation anzukurbeln.
„Ja, da haben Sie recht“, sagte er rasch, und ich echt verwundert war, dass er dieses so wichtige Detail wusste.
Mir war aber in diesem Moment klar, dass hier unsere Portraits natürlich nicht gehangen haben konnten, weil in diesem Palast hängen höchstens Bilder von Tintoretto, Tizian oder anderen Meistern, aber nicht irgendwelche Werke von unbekannten Malerinnen und schon gar nicht aus der ehemaligen DDR, das war so sicher wie das Amen in der Kirche, somit konnte ich diesen Palast auch abhaken.
Und wie wir so wunderbar weiter schipperten, passierten wir doch tatsächlich das Guggenheim-Museum, ich war irgendwie sehr berührt, tres touché wie die Franzosen sagen, das wäre die richtige Location für unsere Bilder gewesen, keine Frage, und Peggy Guggenheim hätte ihnen auch sicherlich hier einen gebührenden Platz verschafft, dachte ich mir voller Trauer, weil es ja leider nicht dazu gekommen ist, weder das sich die beiden Damen kennenlernen durften, noch das Gittas Bilder hier ausgestellt wurden, leider.
„Hier in der Nähe muss auch ein berühmter Palast eines Schriftstellers gewesen sein, dessen Geliebte verprasste in wenigen Jahren sein gesamtes Vermögen, feierte wilde Partys und führte zwei Geparden an diamantenen bestickten Leinen über den Markusplatz, dass hat sie aber nicht allein zum Stadtgespräch gemacht, sondern unter ihrem teuren Nerzcape war die Lady splitternackt“, sagte mein jugendlicher Begleiter genüsslich, weil es ihn wohl anmachte, typisch Playboy-Verschnitt, aber wer der leidgeprüfte Schriftsteller war, wusste er natürlich nicht. Aber ich.
„Ja, das ist der Palast des Schriftstellers D’Annuzio Canova, und der Palast heißt Casetto del la Rosa und ist vis-à-vis vom legendären Guggenheim Museum, also auf der anderen Seite des Canal Grande, das versteht sich von selbst, ist natürlich teuerste venezianische Immobilien-Lage, damals wie heute“, sagte ich selbstbewusst, denn Wissen ist Macht.
Die Sonne war so bekömmlich hier in Venedig, dass man eigentlich nur Vaporetto fahren wollte, na ja, und das tat ich ja auch, nur leider fand ich nicht den richtigen Palast, den Wald sah ich vor lauter Bäumen nicht oder wie man sonst solche Formen geistiger Blockaden nennt. Plötzlich musste ich wieder an die Novelle „Tod in Venedig“ denken, dieser Film bewegt mich heute noch, wenn Georg von Aschenbach übers Wasser, übers Meer, so wie ich jetzt nach Venedig fährt und auf der Anfahrt Mahler gespielt wird, da bekomme ich unweigerlich Gänsehaut, diese Filmmusik, oscarverdächtig, einfach hinreißend, in meinem Gehirn sah ich die schwebenden Personen miteinander sprechen, sah vor allem den bildschönen Jüngling, der wie ein Gott den älteren wohlsituierten Herrn, um nicht zu sagen, Bourgois Aschenbach systematisch in den Wahnsinn trieb.
„Liebe kann so weh tun, doch sie gibt auch viel“, sang Marianne Rosenberg so leidensvoll in meiner Jugend, und recht hatte die Gute, Liebe schafft Leiden, davon schrieb ja so innig unser Dichterfürst Goethe in seinem Schmachtwerk „Werther“, aber das ist ja Schnee von gestern oder doch noch aktuell, für den Moment war ich am Zweifeln.
In Venedig braucht man keine Bücher, hier braucht man nichts zu lesen, hier kann man nur seine Eindrücke niederschreiben, hier vergisst man alle Nebensächlichkeiten, hier hat man nur den Blick für die morbide Sinnlichkeit der Paläste.
„Sie schauen ja so angespannt auf die Paläste“, sagte der junge Mann plötzlich zu mir, der mich mit der nackten Lady doch irgendwie geschockt hatte.
Aber es war ja doch ein interessantes Detail, also sagte ich ganz freundlich zu ihm: „Ja, ich suche einen bestimmten Palast, aber sehen Sie nur, dass ist der Palast Falier, er war in früherer Zeit natürlich der Haupt-Wohnsitzdes Dogen Martin Falier, der wie man sicher munkelte durch dunkle Machenschaften Herrscher von Venedig wurde. Durch einen dummen Zufall oder durch eine Intrige ist die ganze Affäre aufgeflogen, später wurde er dann geköpft, zur Abschreckung natürlich, Korruption muss man in den Anfängen bekämpfen.“
„Na Sie kennen sich ja bestens aus“, sagte er wie vom Donner gerührt.
Ja, da war er baff, der lässige junge Mann, Wissen ist eben Macht, da hat Lenin auch mal ausnahmsweise recht, ein Zitat aus meiner ruhmreichen sozialistischen Schulzeit, aber dieses Zitat hat noch heute seine Gültigkeit. Unlängst wurde es sogar von dem Spitzen-Fernsehmoderator Claus Kleber zitiert, aber Herr Kleber ist ja nicht nur bürgerlich-intellektuell, sondern auch die Mainzer Antwort auf George Clooney.
„Schön, dass Sie mein Wissen so positiv empfinden“, erwiderte ich dankbar meinem jungen Reisebegleiter aus Neuperlach.
„Sie haben mich positiv motiviert, ich werde mich jetzt auch intensiver mit den schönen Palästen beschäftigen“, sagte er noch, um mich vielleicht wie Casanova zu umgarnen, na ja, Casanova umgarnte nicht nur, sondern legte gleich flach, da wurde die Wahrheit gleich konkret, egal wo und wann, Zeit war für ihn Sex und nicht Geld, aber Geld ist für die meisten Männer wiederum heutzutage Sex, aber eben nicht für Signore Casanova, mein Gott ist die Welt verrückt.
Aber jetzt musste ich erst mal wieder meinen unkonventionellen Gedanken nachgehen, da fiel mir ein, dass Gitta so gerne mal in ein Guggenheim-Museum gegangen wäre, ob nun in Venedig oder New York, das wäre egal gewesen, sie fand Peggy Guggenheim wahnsinnig cool, wie man heute neudeutsch sagt, eine durch und durch künstlerische Lady, Queen of Art, würde man sie wohl heute nennen, verführerische Lippenbekenntnisse in Sachen Kunst gab sie von sich, genauso wie Gitta, beide unheimlich sexy, immer provokant, manchmal surreal, aber dazu richtig warmherzig, schade, dass sie sich nie kennenlernen konnten, aber ich kannte ja Gitta und hatte ja auch die Möglichkeit ihre künstlerischen Werke mitzuerleben, und zwar live, und vor allem in Farbe, und mit Farbe, und ich wurde von ihr als Model auf die Leinwand gebracht und zwar nicht als Evergreen sondern als Hit, so dass beim Betrachter die Phantasie angeregt wurde. Oder? Ohne Stolz und Vorurteil wären sich diese beiden Kunst-Diven begegnet, und Peggy Guggenheim hätte sicherlich einige Bilder von Gitta in ihr Museum aufgenommen, da bin ich mir sicher, denn sie liebte emotionale Malerei, vor allem von Frauen, sie war eine einzigartige Bildjägerin, Heldin der Arbeit, nein, wir sind ja nicht mehr im Sozialismus, Heldin der Bilder natürlich.
„Hier schauen Sie mal, das dort ist der Palazzo Vernier del Leoni, der 1749 gebaut wurde, aber nicht fertiggestellt werden konnte, aber ich weiß nicht aus welchen Gründen“, sagte er jetzt ganz aufgeregt, obwohl es dafür keinen Anlass gab, denn unser Vaporetto ging ja nicht unter.
„Die Gründe