Wenn ich wär, wie ich nicht bin. Kirsten Steineckert

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Wenn ich wär, wie ich nicht bin - Kirsten Steineckert

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uns weg und hält weiter Ausschau.

      Wenn Mutti die Tür aufmacht, kriegt sie Arrest. Da macht sie inzwischen Abendbrot. Vati macht das Spiel viel Spaß. Nur das letzte Mal gab es Streit. Mein Bruder hat einfach gefragt, ob er auch einmal Kapitän sein darf. Da war Vati sauer. Er riss sich die Mütze vom Kopf, schmiss sie in die Ecke und rannte wütend aus dem Zimmer. Dabei zischte er zwischen den Zähnen: »Dann spiel ich eben überhaupt nicht mehr mit euch!«

      Es dauerte lange, bis er uns verziehen hatte.

      FRÜHSCHOPPEN

      Mein Vater hat jeden Sonntag mit mir einen Spaziergang zum Frühschoppen zu Jaschinsky’s in die Eckkneipe gemacht. Dort hatte er seinen Stammplatz. Gleich neben der Theke. Nach einer gewissen Weile wurde ich hungrig, wahrscheinlich nach dem 3., vielleicht aber auch 6. Bier; keine Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse meines Vaters.

      Onkel Jaschinsky liebte es nicht, wenn ich die anderen Gäste störte und er seinen guten Freund Walter nach Hause schicken musste, damit die leibliche Mutter dem Kind das Mittagessen machen konnte.

      Damals wäre es undenkbar gewesen, dass ein »gestandenes Mannsbild«, sich dafür verantwortlich gefühlt hätte. Dazu hatte man ja seine Frau. Mein Vater war keine Ausnahme, er war so wie seine Generation war.

      Papa macht Kind mit Mama, Mama bleibt mit Kind zu Hause. Wenn Papa jagen geht, macht sie alles schön für den Jäger. Wenn er mit Beute nach Hause kommt, dankt sie ihm für seine Heldentaten und tut die Suppe auf. Er streicht dem Kind über den Kopf, wenn es brav war, auch mal Mama, wenn er meint, sie hätte es verdient. Papa gibt Mama Küsschen, auch wenn sie gerade nicht will und tut ihr weh, wenn sie es erst recht nicht will. Manchmal hat sie einfach anderes zu tun oder teilt seine Freude an der Freude nicht.

      Wenn er laut wird, das Kind in der Tür steht und Mama retten will, lachen beide und tun so, als wäre alles nur ein Spiel. Manchmal wird Papa auch sehr böse, wenn Mama immer öfter nicht so will, wie er. Darauf kann er keine Rücksicht nehmen, sie hat gefälligst ihren ehelichen Pflichten nachzukommen.

      Schlimm genug, dass sie immer noch darauf herumreitet, dass er mal mit der Sekretärin was hatte; oder mit der Neuen vom Vertrieb. Da war sie doch schwanger und was hat sie denn erwartet, mit dem Bauch! Schon im 6. Monat war doch die Taille weg, also bitte, das muss sie doch verstehen. Na gut, über die paar Pfund, die sie jetzt noch zu viel hat, da sieht er großzügig hinweg. Sie wird sich doch wohl ein bisschen zusammenreißen können, sonst muss sie sich nicht wundern ... Er ist ja schließlich auch nur ein Mann.

      Mama wollte sich nicht weiter wundern, da hat sie eines Tages Kind und einen Koffer genommen und ist in eine andere Wohnung gezogen.

      Da hat sich Papa aber gewundert.

      LIEBE FÜR EINE MARK

      Mein Vati hat mich sicher geliebt. Mit Zärtlichkeiten tat er sich aber sehr schwer. Nie sah ich, dass er meine Mutter nur einfach mal so in den Arm nahm, immer war es ein „Sich-tapsig-Annähern“, „Grobes- auf-den-Hintern tatschen“, zu lautes Gelächter über zotige Witze. Er liebte es, mich abzukitzeln. Aber sein Abkitzeln war meist sehr rüde. Ich fand es nach kurzer Zeit nicht mehr lustig, es tat weh. Ab dem Punkt schien es ihm aber immer mehr Spaß zu machen. Er kannte kein Maß und kein Einhalten, ich hasste es. So wurden Lachtränen oft zu echten.

      Er konnte seine Zuneigung schlecht zeigen. Vor allem meine Mutter hatte darunter sehr zu leiden. Er liebte sie aufrichtig und konnte sie deshalb nie endgültig loslassen, auch nach der Scheidung nicht.

      Seine Liebe mir gegenüber bewies er auf seine Art. Ich war noch nicht mal 4 Jahre alt, da spielten wir Kinder auf der Straße. Mit bunter Kreide bemalten wir die Geh- und Fahrwege. Damals musste man keine besondere Angst vor Autos haben, 1954 gab es wenige, im Osten noch weniger als im Westen, und die paar, die es gab, fuhren in dieser Nebenstraße selten.

      Ich wusste, dass mein Vater zu einer bestimmten Zeit nach Hause kommen würde und sah immer wieder gespannt und sehnsüchtig in diese Richtung. Endlich hielt die Straßenbahn, er stieg aus, ich sprang auf und lief ihm voller Vorfreude entgegen.

      Ich streckte ihm meine Arme entgegen, er lächelte, strich mir wuschelig über den Kopf, kramte in seinen Taschen und steckte mir ein Geldstück in die Hand. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit dem Geld anfangen sollte, nahm es aber dankbar entgegen.

      Dass dieses komische Gefühl im Bauch Enttäuschung war, verstand ich erst später, als alles, wofür er einen belobigen oder bestrafen wollte, mit Geld vergolten wurde. Wenn man etwas falsch machte, musste man 10 oder sogar 20 Pfennige abgeben. Ein nicht aufgehängtes Handtuch, schmutzige Schuhe, beim Einkauf etwas vergessen: es wurde abgerechnet. Für eine gute Zensur oder fürs Auto waschen bekam man etwas.

      Als ich ihn ab meinem 12. Lebensjahr fast 30 Jahre lang nicht sehen durfte - weil seine neue Frau es ihm verboten hatte und er sich dem beugte - ersparten wir uns gegenseitig viel Geld.

      SCHÖNHAUSER ALLEE

      Seit meinem 10. Lebensjahr wohnten wir in Berlin in der Schönhauser Allee. Die Wohnungen hatten wunderschöne große Zimmer mit Stuck an der Decke und, was besonders wichtig war in diesen Zeiten, ein Bad innerhalb der Wohnung. Es gab auch hier Hinterhöfe, dafür aber das volle Leben vorne raus. Da fuhren nicht nur die U-Bahn direkt vor unserem Fenster vorbei, sondern auch die Straßenbahn und Autos in zweierlei Richtungen.

      In der zweiten Etage lebten wir in der ersten Zeit mit dem zweiten Mann meiner Mutter und seiner Tochter Christine zusammen. Nachdem er nach 3 Jahren ausgezogen war und Christine später nachholte, blieben meine Mutter und ich in der schönen Altbauwohnung zurück.

      Ich wohnte in einem winzigen Kämmerchen, das direkt von der Küche abging. Es war das ehemalige Dienstbotenzimmer mit dazugehörigem Dienstbotenaufgang, der sich als außerordentlich praktisch für heimliche Rendezvous herausstellte.

      Wenn meine Mutter nicht unbedingt bemerken sollte, dass mein Freund länger blieb als erlaubt, erklomm er die herrliche Wendeltreppe, die vom Hof direkt in die Küche führte, und so konnten wir unbemerkt miteinander die Zeit verbringen. Bis wir hörten, dass vorne die Wohnungstür aufgeschlossen wurde, dann hatte er gerade noch genug Zeit, um über denselben Weg zu verschwinden.

      Gerne schlief ich aber auch bei meiner Mutter, deren Schlafzimmer direkt an der Straße lag. In der Nacht sahen wir die Lichter der Autos über die Schlafzimmerdecke laufen. An den Krach hatten wir uns gewöhnt. Damals ahnte man noch nichts von Langzeithörschäden. Außerdem war der Autoverkehr lange nicht so schlimm wie heute.

      So lagen wir oft nachts nebeneinander und konnten uns alles erzählen. Die intimsten Geheimnisse vertrauten wir uns an, stundenlang war sie bereit, mir zuzuhören, das eine oder andere zu- oder abzuraten und kurz vor dem Einschlafen legte sie ihre Hand in die Mitte des großen Bettes, so dass ich mein Gesicht darauf legen konnte. Das gab mir das Gefühl der Geborgenheit und des Verstandenseins, was mich aber nicht davon abhielt, meine Pubertät voll auszuleben, alles besser wissen zu wollen, und ungeduldiger mit meiner Mutter zu sein, als sie es mit mir war.

      Aber immer, wenn ich wieder mal auf die Nase gefallen war, wusste ich, wer mir beim Aufstehen helfen würde. Immer wieder meine Mutter.

      SCHWÄNZEN

      So ab der 2. Klasse verspürte ich – wie Millionen

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