Psychodelica. Patrik Knothe

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Psychodelica - Patrik Knothe

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hinter’s Ohr.

      Das eng anliegende, an den Ärmeln aufgekrempelte weiße Hemd schien genau für ihren elfenbeinfarbenen Körper gefertigt worden zu sein. Wir blickten uns in die Augen und fingen beide an zu lächeln. Mechanisch bestellte ich ein Wasser mit Orangensaft und starrte immer noch auf den Eingang des Lokals, als sie bereits längst wieder darin verschwunden war. Dann dämmerte mir etwas und ich zog eilig meinen Geldbeutel aus der Hosentasche. Lediglich ein paar rote Centmünzen tummelten sich darin. Von Scheinen ganz zu schweigen. Überhaupt wirkte das lederne Ding seltsam ausgehöhlt und leicht, seitdem Plastik, Kassenzettel und Visitenkarten entfernt worden waren. Ich lief in den Innenbereich des Café Bellezza und fand sie hinter der Bar, wo sie mein Getränk zubereitete.

      „Tut mir leid“, begann ich, unschlüssig, wie ich nun fortfahren sollte.

      Überrascht wandte sie sich nach mir um, lächelte aber, als sie mich wiedererkannte.

      Ich sprach vorhin von weichen Lippen, doch bis dato hatte ich keine solchen gesehen. Rot wie Blut waren sie und bestimmt viel zu empfindlich, als dass man etwas anderes mit ihnen hätte tun können, als sie sanft zu küssen. Kaum vermochten sie zum Essen oder für Wortwechsel zu taugen und ich meinte, eine solche Frau habe ohnehin weder das eine noch das andere nötig.

      „Hat sich erledigt mit der Abkühlung“, sagte ich. „Ich kann nicht bezahlen.“

      Sie antwortete nicht, sah mich nur an. Ihre blutroten Lippen öffneten sich ein wenig und die von Nachtblau umrundeten Pupillen schnellten zwischen meinen Augen hin und her. Ich hätte einfach hinauslaufen und alles als für erledigt betrachten können, doch ich tat es nicht. Aber auch sie, die sich einfach umdrehen und weiter ihrer Arbeit hätte nachgehen können, tat es nicht. „Schade“, sagte sie nur, strich sich nervös das Hemd glatt und mir war, als sei der Frühling mit seinen Düften plötzlich von der Straße ins Café Bellezza geflogen. Ich klebte an der Bar.

      „Ja“, hauchte ich zurück, nahm meinen Mut zusammen und … Die Tür zur Küche flog auf und ein Mann mit Schürze, Ziegenbart und Halbglatze stürmte heraus. Nur den Bruchteil einer Sekunde brauchte er, um zu bemerken, dass das Mädchen im Moment anderes im Sinn hatte als ihre Arbeit.

      „Mach dich mal ausnahmsweise nützlich und bring das zu Tisch sechs“, sagte er und zeigte auf ein silbernes Tablett, auf dem zwei Tassen Latte Macchiato mit Pistazienkeksen standen. Der Mann versuchte, zugleich scherzhaft und autoritär zu wirken. Das Mädchen antwortete mit einem tüchtig-engagierten „Alles klar“, streifte mich ein letztes Mal mit ihrem Nachtblau und ließ das Wasser mit Orangensaft unbeachtet stehen.

       XII

      Ein paar Meter vom Café Bellezza entfernt setzte ich mich auf einen der großen, schwarzen Granitsteine, die im Viereck um den Springbrunnen im Herzen der Kreuzung aufgestellt worden waren. Der Brunnen selbst, ein abstoßendes, neumodisches Monster aus Metallstangen, das eine Pyramide jubelnder Menschen darstellen sollte, rostete bereits an den Ecken. Ich wusste nicht, ob dies vom Künstler so beabsichtigt war oder nicht. Sinn ergab beides.

       XIII

      Ich begann, weiter nach Geschichten zu suchen, doch ich fand nur Gesichter. Bleiche wie das des Rennwagen-Mannes, gerötete mit frisch einrasierten Wunden, sonnengebräunte mit tiefen Falten, sonnenstudiogebräunte mit gezupften Augenbrauen: Alle waren sie gleich nichtssagend und ich sah immer nur das Mädchen mit den blutroten Lippen.

      Als die Gelegenheit sich bot, wechselte ich den Sitzplatz und bekam so eine ideale Sicht auf das Café Bellezza. Wenn das Mädchen inzwischen nützlich geworden war, so schien es für mich ohnehin besser zu sein, sie nur aus der Ferne zu beobachten. Fernbeziehungen seien ja im Trend, hatte ich gehört. War man als Stalker bereits in einer Fernbeziehung?

      An dem Tisch, an dem ich gesessen hatte, nahm ein älterer Mann mit Anglerhut und Pilotenbrille einen tiefen Schluck aus seinem Weizenglas und genoss den Schatten, den ich ihm bereitet hatte. Waren auch ihm die Augen und die Lippen des Mädchens aufgefallen? Ich schaute und schaute und schaute. Doch sie kam nicht mehr, war wie vom Erdboden verschluckt und ich sah mich schon ins Café Bellezza stürzen, nur um sicher zu gehen, dass sie noch da war.

      Dann kamen die Warnsignale … Mir wurde schwindlig und die ersten Vorboten grauenhafter Schmerzensstiche durchzuckten meine Schläfen. Ich kannte das zur Genüge. Im Hinblick auf die Ereignisse des Tages – den Paketlieferdienst, das Seeungeheuer, die blutroten Lippen, nun noch das fehlende Wasser mit Orangensaft und der alte Mann an meinem Tisch – war es auch nicht weiter verwunderlich, dass es mich wieder einmal heimsuchte. Aber ich wusste mir zu helfen! Mein Trick war in jahrelanger Praktik erprobt und funktionierte immer – so obskur er einem Außenstehenden, wie man mir einmal berichtet hatte, auch anmuten mochte …

      Ich nahm das erste Wort, das mir in den Sinn kam und behielt es wie ein Kleinod für mich: Stalker! Stalker, dachte ich. Nichts als Stalker! Vielleicht nicht die beste Wahl, doch würde sicher auch dieses Wort seinen Dienst tun. Im Grunde taten sie es alle. Als nächstes legte ich mich quer über drei der schwarzen Granitsteine und fixierte den klaren blauen Himmel über mir. Klarer blauer Himmel war ausgezeichnet. Übertroffen nur noch durch den klaren blauen Himmel, der mit flockigen Wölkchen verziert war.

      Als die Stadt aus meinem Blickfeld verschwand, konnte ich wieder tief einatmen. Die Kopfschmerzen allerdings nahmen noch zu und ich fixierte das Blau über mir, tauchte darin ein und verschmolz mit ihm. Ganz nah bei mir lachte ein Mann laut auf. Vielleicht lachte er über mich, doch das brauchte mich nicht zu kümmern. Die Stimmen, Schritte und Radios der Stadt wurden allmählich leiser, dumpfer, unbestimmter. Dann erschienen die schwarzen Punkte am Himmel, die klitzekleinen Flecken und fadenartigen Gebilde. Man hieß sie auch Mouches volantes, die fliegenden Mücken. In kindlichem Übermut begannen sie, über das Firmament zu tanzen, umarmten sich, ließen wieder los, drehten Pirouetten und sprangen wild durcheinander. Solange ich im Himmel war und nicht bei der Stadt, würden sie mich nicht verlassen, meine Freunde des Lichts – wie ich sie nannte.

      Der Schmerz an meinen Schläfen wurde schlimmer, aber ich spürte bereits, wie wenig mich noch mit meinem Körper verband und dass alles, was ihm widerfuhr, nicht so schlimm war. Wenn ich bei meinen Freunden des Lichts, den fliegenden Mücken war, konnte mir nichts geschehen. Sie beschützten mich und würden niemals von meiner Seite weichen.

      Nun war der erste Teil des Tricks erledigt und ich rief mir das Wort herbei. Stalker … Stalker … Der blaue Himmel und Stalker …

       XIV

      Ich wanderte eine lange Allee entlang, flankiert von hohen Trauerweiden, die mir das Gesicht streichelten. Sie mochten mich, sagten sie. Und auch wenn ich das bereits wusste, so vernahm ich trotzdem immer gern die Worte der sanften Riesen.

      Die Allee war leicht erhöht. Zu beiden Seiten lag ein weites, in rot getauchtes Nebelmeer, das am Horizont mit der untergehenden Sonne zu verschwimmen schien. Es war sehr warm und ich dachte, es würde mir schon nicht schaden, ein wenig durch die Schwaden zu spazieren, sie anzufassen und mit ihnen zu spielen. Vorsichtig lehnte ich mich an eine der Weiden und tippte den Nebel mit meinen nackten Zehen an. Schon machte ich mich gefasst auf den unvermeidlichen Kälteschauer und war umso überraschter, dass auch der Nebel warm war. Ich stieg von der Allee hinunter und es fühlte sich an, als beträte ich ein beheiztes Schwimmbecken. Nass wurde ich dabei allerdings nicht. Der Nebel war weich, ließ sich wie Schnee formen, festigen und wieder lösen. Ziellos schlenderte ich durch ihn hindurch. Wenn ich eine Handvoll davon nahm und ihn in die Luft warf, sah es für eine Sekunde so aus, als seien die Nebelschwaden zu weinroten Wolken am Himmel geworden, die dann wie Schneeflocken zurück auf die Erde rieselten.

      Als

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