Babaji - Von Herz zu Herz. Gertraud Reichel
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Die Geschichte, in der Babaji in seiner jetzigen Form erschien, begann eigentlich in den Zwanziger Jahren, als ein fünfjähriger Junge in Bihar eine Vision hatte. Ein prächtiger Jüngling erschien ihm und überreichte ihm etwas Prasad, gesegnete Speise. Der Junge wurde mit Ehrfurcht für den Jüngling erfüllt, und als er erwachsen war, durchquerte er zu Fuß ganz Indien, Nepal und Tibet auf der Suche nach seiner glänzenden Vision. Endlich entdeckte er eine Fotografie des legendären Herakhan Baba auf einem Kurmanchala Familienaltar und erkannte den Guru, den er so lange gesucht hatte. 1949 schloss sich dieser Schüler in einen Raum des Ashrams ein, der dem Herakhan Baba geweiht war, und schwor, weder zu essen noch sich aus seiner Yogaposition zu rühren, bis die geliebte Person seiner Vision wiederkehre. Und Babaji erschien tatsächlich5. Als Belohnung für seine tiefe Verehrung - so erzählt die Überlieferung- machte Babaji ihn zu seinem Botschafter. Er wurde Mahendra Baba genannt.
Mahendra Baba baute überall in Indien Ashrams für Babaji, zog alle übriggebliebenen Schüler des Haidakhan Baba in der Kurmanchala Region zusammen und verkündete ihnen, dass ihr geliebter Herakhan Baba und der historische Babaji ein und derselbe wären und dass er bald wieder erscheinen würde.
***
Als ich mich an das Ashramleben gewöhnt und gelernt hatte, um vier Uhr morgens im Dunkeln zu der "Flussbett-Toilette" zu gehen und die Kunst beherrschte, im langen Unterrock zu baden, begann ich mich meiner Hauptaufgabe im Ashram zu widmen, die scheinbar darin bestand, Babaji zu beobachten. Seine Aktivitäten schienen - soweit ich es beurteilen konnte - aus einer speziellen vor Sonnenaufgang abgehaltenen Feuerzeremonie, aus seiner Anwesenheit beim morgendlichen und abendlichen Singen, aus Empfängen von Anhängern in seinem Raum und aus zeitweiligem Überwachen von vedischen Ritualen zu bestehen. Manchmal saß er im Garten, irgend jemand massierte ihm dabei die Füße, malte mit Wasserfarben oder spielte Schach mit einer Gruppe aus dem Westen. Zu anderen Zeiten wies er seinen Anhängern kraftvoll Arbeiten zu: einen Baum zu pflanzen, einen überwucherten Pfad zu säubern oder aber Steine vom Fluss zu einer Baustelle zu tragen. Oftmals erschien er munter zur Mittagszeit zwischen den am Boden sitzenden und essenden Schülern, ging hin und her, stellte hier und dort eine Frage, wie sie den Reis fänden, ob sie es bequem hätten etc. Seine Energie schien unerschöpflich. Man mag über Babajis eher einfache tägliche Routine rätseln. Augenscheinlich vollbrachte er keine spektakulären Wunder wie der alte Herakhan Baba, noch schien er hart und streng wie in Yoganandas Beschreibung. Woher wissen wir, dass er wirklich Yoganandas Babaji ist? Hier kann ich keine große Hilfe sein, ich spürte einfach sofort, als ich von ihm hörte, dass er der echte Babaji ist. Als Babaji einmal von meinem Mann scherzhaft gefragt wurde, ob er der Mann auf dem Foto des Herakhan Baba sei, antwortete er lächelnd: "Ja" und signierte das Foto.
Mahendra Baba hatte vorausgesagt, Babaji würde "Bhole Baba" oder "anspruchsloser Vater" genannt werden, weil er keine offensichtlichen Wunder vollführe. Er tut es auch nicht, wenigstens meistens nicht.
Ich hörte von einer Begebenheit, als im Ashram unerwartet eine Busladung von einhundert Schülern aus der nahen Kleinstadt Haldwani ankam. Es war Mittagszeit, und die Gäste füllten den Innenhof, die Stufen und gar die Wege im Garten. Dort warteten sie in der heißen Sonne auf das Mittagsmahl. Die indische Köchin war sehr beunruhigt, hatte sie doch nur Speisen für etwa zwanzig Leute vorbereitet, und sie wusste, dass unmöglich alle Anwesenden beköstigt werden konnten. "Teile das Essen aus!" befahl Babaji, ihren Protest nicht beachtend. Somit begannen die Helfer, sich mühsam durch das sitzende Gedränge von Dorfleuten hindurchzuarbeiten, um Reis und Gemüse auf die Bananenblätter-Teller zu häufen.
Kellenweise die Speise verteilend, machten sie ihren Weg durch den dicht gefüllten Hof, die Stufen und Wege hinunter in den Garten. Sie füllten den Teller des letzten Gastes und gingen zurück, um nochmals Nachschlag auszuteilen. Der Köchin wurde bewusst, dass Babaji irgendwie eingegriffen hatte, konnte es aber nicht beweisen. Babaji schützte wie üblich Unwissenheit vor.
Meine Bekannte aus San Francisco erwähnte eine andere "Fisch- und Brotausteilung" aus der Zeit, in der sie dem Ashram als Köchin diente. Ich hörte viele Geschichten wie diese: Babaji, obwohl im Ashram anwesend, erscheint in einem entfernten Dorf, um eine kranke Bauersfrau zu heilen; Babaji, der allein mit einem bestimmten Schüler plötzlich fließend Englisch oder Deutsch spricht; Babaji, der sich plötzlich leichter macht, wenn ein kühner Anhänger darauf besteht, ihn durch den Fluss zu tragen. Das Wunder, das ich persönlich erlebte, war sein offensichtliches Gedankenlesen, eine alltägliche Handlung im Ashram, wie ich später erfuhr. Mir wurde mitgeteilt, wenn ich ihn in Gedanken um etwas fragen würde, käme die Antwort früher oder später. Und wirklich. Zu meiner Überraschung brauchte ich nur um Verstehen oder um einen Einblick in ein Problem zu bitten, die Antwort wurde mir auf ganz subtile Art gegeben: als plötzlicher Lichtblick oder durch jemand anderen. Begleitet wurde dieses Phänomen oftmals durch eine kleine äußere Geste seinerseits. Ich wusste plötzlich eine Antwort oder hatte eine kleine Eingebung, woraufhin Babaji mir eine Mango reichte. Jedes Mal, wenn ich geistig den richtigen Weg einschlug - so schien es mir - bekam ich die sofortige Bestätigung von ihm: einen schnellen Blick, eine Hand zum Segen erhoben, ein wenig Prasad.
Je länger ich bei Babaji weilte, um so erstaunlicher erschien er mir. Wenn er den Küchenbereich betrat, wurde dieser Trakt lebendig. In Saris gekleidete Damen sprangen auf von ihrem Reis, den sie gerade säuberten, um ihn zu begrüßen. Der jugendliche Koch tauchte aus seiner Holzhütte auf, strahlend, das brodelnde Gemüse momentan vergessend. Die Küchengehilfen umringten Babaji, ihre glänzenden Gesichter leuchteten mit dem "Er-ist-Hier" Ausdruck, den ich so gut kennenlernte.
Im Juni 1970, so erzählt die Geschichte, träumte ein Bauer aus Haidakhan namens Chandramani6, er solle den Gautma Ganga Fluss überqueren und eine Höhle am Fuße des Kailash Berges betreten. Und wirklich, als er in die Höhle kam, fand er einen wunderschönen Jüngling in Lotuspose sitzend vor. Er war groß, schlank, mit dunklem, schulterlangen Haar und heller Hautfarbe. Chandramani eilte nach Hause, um Milch zu holen und zog schließlich selbst in die Höhle, um dem Jüngling, den er verehrte, zu dienen. Kurz darauf erklommen die beiden den Kailash Berg. Fünfundvierzig Tage saß dann der Jüngling unbeweglich in perfekter Yoga-Positur auf dem Gipfel, aß und trank nicht, noch öffnete er seine Augen. Später überquerten er und Chandramani den Fluss und gelangten zu einem kleinen oktagonalen Tempel, der zuvor vom Herakhan Baba erbaut worden war. Sie lebten in einer Hütte nahebei und die Bauern kamen, einer nach dem anderen, um dem bemerkenswerten jungen Mann ihre Verehrung zu zeigen, in dem Glauben, dass endlich ihr Herakhan Baba zurückgekehrt sei.
Ein Jahr nach seinem Erscheinen besuchte der junge Guru verschiedene Dörfer und Städte Nordindiens. Dadurch wurden mehr und mehr Leute auf ihn aufmerksam, und bald strömte das Volk zu dem abgelegenen Tempel in den Kumaon Hügeln.
Eine indische Bekannte aus Bombay erzählte mir, wie sie Babaji in jenen Tagen zum ersten Mal traf, und wie er sich ihr offenbarte. Meine Bekannte, ein ernster Mensch und ziemlich westlich eingestellt, las 1959 die "Autobiographie eines Yogis". Sie fühlte ein intensives Verlangen, Babaji zu finden und machte sich auf den Weg in die Himalaya Berge. Sie fand ihn dort nicht und unternahm daraufhin 1965 nochmals einen Versuch, der ebenfalls ohne Erfolg blieb. Eines Abends, 1971, sie saß gerade mit ihrem Vater am Familienaltar, der mit Bildern von Gottheiten und Heiligen geschmückt war, klopfte ein Verwandter an und bestand darauf, der Familie einen jungen Guru vorzustellen. Die Bekannte hatte die Hoffnung, Babaji jemals zu treffen, aufgegeben und hatte außerdem genug von Gurus, so dass sie keinen mehr sehen wollte. Aber ihr gastfreundlicher Vater beschloss, ihn zu empfangen.
Der Verwandte