Babaji - Von Herz zu Herz. Gertraud Reichel
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Diese Frau und andere indische Schüler berichteten mir über die ersten Jahre Babajis in Haidakhan. 1971 und 1972, so sagten sie, saß er stundenlang mit geschlossenen Augen in Lotusposition, augenscheinlich in tiefen meditativem Zustand. Auch wenn er nicht meditierte, sprach er wenig und wenn, dann nur einsilbig. Seine Augen schienen Licht auszustrahlen und oftmals war sein Blick so hell und durchdringend, dass man ihn nicht anschauen konnte. Fotos aus dieser Zeit zeigen Babaji als einen schlanken, wundervoll geformten Jüngling, etwa zwanzig Jahre alt, mit dunklen, fesselnden Augen und einem wirren Haarschopf. Auf einigen Fotos sah er aus wie ein Sioux-Indianer, auf anderen wie eine Madonna.
Theaterspiel
Der erste Sturm der Vor-Monsunzeit brach aus, und der ruhige Fluss in seinem flachen Flussbett schwoll an zu einem reißenden, lehmigen Strom. Die Luft wurde kühl und die pfirsichfarbenen Gebäude, die Wege aus Zement, die verschwenderisch wachsenden Bananenblätter, - alles war nass und glänzte vor Feuchtigkeit.
"Wenn du Babaji nur beobachtest, wirst du nicht viel von ihm erfahren," dachte ich. Ich saß im hinteren Teil der tropfenden Kirtanhalle und versuchte das, was ich von dem legendären Babaji und von diesem rätselhaften Meister vor mir wusste, zu vereinbaren. Jedem zeigt er sich nämlich anders. Manchmal änderte sich sein Verhalten sogar von Minute zu Minute, mal ist er kindlich, mal ein liebevoller Spielkamerad, dann aber, ganz plötzlich, schaltet er ab, als ob er gerade abgerufen worden sei und nur seinen physischen Körper zurückgelassen hat. Er konnte ernst sein, streng, liebevoll oder sich sogar ein wenig lächerlich machen. Zu einer hübschen Frau aus Punjab und ihren Kindern war er fortwährend aufmerksam, aufgeschlossen und liebevoll. Mit einer älteren Dorffrau lachte er und verulkte sie oder aber schrie gellend "Buh" hinter ihr her. Anderen gegenüber benahm er sich gleichgültig oder tat verstimmt. Vielen zeigte er abwechselnd all diese Gebaren. Verstehen konnte ich diese bunt durcheinandergewürfelten Verhaltensweisen nicht. Schließlich bat ich einige langjährige Schüler Babajis um Aufklärung.
"Ich habe ihn sechs Jahre lang so handeln sehen," erzählte mir eines Tages eine in London ansässige Schriftstellerin in ihrem gemütlichen Raum, "und ganz egal, was sich auch immer oberflächlich abspielen mag, so gibt und beschenkt er uns doch immer in seiner unendlichen Liebe und seinem Mitgefühl für uns." Sie war eine große, graziöse, ausgeglichene junge Frau, scheinbar eine Favoritin von Babaji, denn er lobte sie oft und ließ sie ständig in seiner Nähe sein.
Am Anfang hatte sie viel zu erdulden, so erzählte sie. Nach ihrem ersten Besuch musste sie sechs Monate mit einer fiebrigen undefinierbaren Krankheit das Bett hüten. Sie wusste, dass sie diese Krankheit und ihre rätselhafte Heilung Babaji zuzuschreiben hatte. Bei einem späteren Besuch hatte Babaji sie samt Gepäck bei strömenden Regen aus dem Ashram geworfen. Während der folgenden Besuche wurde sie mal ignoriert, mal freundlich behandelt oder gar vergessen. Ich fragte, wie Babaji sie heute behandelt. "Ich fürchte, es ist gerade die Kehrseite der Medaille," berichtete sie lächelnd. "Ich muss mich fortwährend zwingen, wegen seiner fortgesetzten Aufmerksamkeit nicht überheblich zu werden." Sie glaubt, dass Babaji zuerst psychologisch an den Schülern arbeitet, um sie von ihren zahlreichen Problemen zu befreien, schließlich - in der traditionellen Rolle des Meisters - erhebt er sie geistig zu seinen Schülern. Diese Aufmerksamkeit, so glaubt sie, war wieder ein Test, den sie zu bestehen hatte.
Ich sprach mit einer entzückenden Dame während wir in der Kirtanhalle saßen. Sie war die Frau eines wohlhabenden Geschäftsmannes und kannte Babaji seit seinen frühesten Tagen. "Babaji ist hier, um uns zu dienen, und glauben Sie, er tut es wirklich, selbst wenn er vorgibt, uns zu ignorieren. Hinter all dem steht eine allumfassende Liebe." Sie erzählte, dass auch sie harte Zeiten durchmachen musste, gewann aber dadurch die nötigen Einsichten und ein tieferes Verständnis ihrer geistigen Notwendigkeit. Seelisch erstarkte sie und war Babaji dafür sehr dankbar. "Niemals werde ich vergessen, dass er mir einmal sagte: "Ich bin nur gekommen, um zu geben!" flüsterte sie.
"Wenn Du mit Zweifeln herkommst," sagte Babaji einmal zu meiner Bekannten aus San Francisco, die ihm gegenüber zuerst recht misstrauisch war, "werde ich Dir allen Grund zum Zweifeln geben. Wenn Du mit Misstrauen kommst, werde ich Dir Grund geben, misstrauisch zu sein; aber wenn Du kommst, um Liebe zu erhalten, werde ich Dir mehr Liebe schenken, als Du jemals erhofftest."
Bald erreichte der Monsun seinen Höhepunkt. Fast täglich regnete es stundenlang, und die kargen Hügel verwandelten sich in einen üppigen Dschungel, unsere Zimmer in feuchte Höhlen. Wir drängten uns ums Kerzenlicht, während unsere nassen Gewänder über unseren Köpfen auf kreuz und quer gespannten Wäscheleinen hingen. Der Geruch von feuchter Baumwolle durchdrang alles. "Lass dich nicht durch Äußeres täuschen," sagte meine Bekannte, die Londoner Schriftstellerin, als wir heißen Tee in ihrem Zimmer tranken. "Im Grunde genommen ist er unbeteiligt und unparteiisch. Was man auch tut, man kann ihn nicht beeinflussen, er ist - und sie suchte nach dem Wort - "unbestechlich... und vergiss nicht," fuhr sie fort, "Babajis Belehrungen sind immer sehr subtil. Er spricht in Symbolen, macht Andeutungen und gibt Anhaltspunkte." Ich erzählte ihr von dem Vorfall, als Babaji mir half, meine vor Feuchtigkeit klamme und aufgequollene Holztür aufzustoßen. "Ich bin Dein Helfer," hatte er auf Englisch gesagt. "Genau das ist es, er hilft Dir! Er öffnet Dir alle Türen," sagte sie.
Und so sammelte ich von Babajis indischen und ausländischen Anhängern Anekdoten und Theorien über sein Verhalten. Er pflichtet Egoisten bei, macht sie zu seinen Favoriten und lässt ihr Ego anschwellen. Sobald die vor Überheblichkeit platzen, holt er sie von ihrem hohen Ross herunter, indem er sie aus dem Ashram wirft oder aber sie eine besonders erniedrigende Erfahrung machen lässt. Die Unsicheren bringt Babaji noch mehr aus der Fassung, indem er sie ignoriert und die Unentschlossenen verwirrt er vollends durch widersprüchliche Antworten auf ihre Fragen.
Eine Erklärung dieses Phänomens war, dass seelische Knoten oder Probleme, die in Gegenwart eines spirituellen Meisters auftreten, durch seinen reinigenden Einfluss auch aufgelöst werden. Es schien, als ob Babaji diese ans Licht holte, um sie endgültig verschwinden zu lassen. Mir wurde erzählt, dass Egoisten schließlich ihre Arroganz verlieren, ihr Selbstbewusstsein behalten: die Unsicheren erkannten ihre innere Kraft und die Unentschlossenen lernten Entscheidungen zu fällen. Diese Analyse ist rein theoretisch, denn niemand weiß, was er wirklich macht.
Viele von uns nannten diese psychologischen Spielchen "Haidakhan Theater". Meine eigene Erfahrung mit Babaji war ähnlich. Einer der Hauptgründe, warum ich ihn überhaupt aufgesucht hatte, war, dass ich vor der schwierigen Entscheidung stand, mich von meinem Mann zu trennen oder nicht. In diesem Dilemma spielte Babaji mit mir wie mit einem Pingpongball, mal trieb er mich in diese, mal in jene Ecke. An einigen Tagen bedeutete er mir, ich solle verheiratet bleiben, an anderen, ich solle mich scheiden lassen, und er verstärkte somit immer meine eigene Unentschlossenheit und mein Selbstmitleid. Äußerlich schien er mich nicht zu beachten, innerlich aber beantwortete er jede meiner Fragen, gab mir zahlreiche Hinweise und die Gewissheit, dass er mir wirklich half: er ehrte mich mit der Aufforderung, einen Artikel über ihn zu schreiben, konnte sich aber dann scheinbar an meinen Namen nicht mehr erinnern.
Als ich nach Kalifornien zurückkehrte, wurde ich von einer rätselhaften Krankheit befallen und erholte mich auf eine ebenso rätselhafte Art und Weise. Während der nächsten sechs Monate änderte sich mein Leben dramatisch zum Guten. Ich wurde viel glücklicher und entscheidungsfreudiger. Habe ich es Babaji zu verdanken? Natürlich sind alles nur Spekulationen... "Tausende von Leuten werden nach Haidakhan kommen," sagte Babaji einmal einem amerikanischen Bekannten, "aber nur eine Handvoll wird mich jemals erkennen."
Seine Botschaft
Obgleich