Unscheinbarkeiten. Dorothea Seth-Blendinger
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Das fand er schon etwas übertrieben, sagte jedoch nichts dazu. Er wollte sie nicht traurig machen. Dann waren da noch die fast erwachsenen Kinder! Inzwischen fünfzehn oder zweiundzwanzig an der Zahl (so genau wusste das keiner!) trieben sie sich in einem ganz anderen Fach des Bücherregals herum: bei Comics und amerikanischer Undergroundliteratur. Eine literarische Familie, auf die der Stammvater sehr stolz war!
Eines ihrer Kinder jedoch schlug völlig aus der Reihe. Es hatte sich in ein dickes Buch zurückgezogen, auf dem mit goldenen Buchstaben „Die Heilige Schrift“ stand. Nur ab und zu tauchte der junge Bücherskorpion daraus hervor, meist sonntags. Er schwang dann donnernde Reden, klapperte mit seinen Scheren und kündigte das baldige Ende der Welt an. Er malte seinen Brüdern und Schwestern die grausamsten Strafen aus, die sie treffen würden, wenn sie sich ständig in unzüchtigen Büchern herumtrieben und sich nebenbei an den Milben in den Comics labten, die rauschähnliche Zustände hervorriefen.
Die anderen Bücherskorpione hatten alle ein wenig Angst vor ihm und gingen ihm soweit wie möglich aus dem Weg. Der Bücherskorpionvater seufzte. Wenn sich doch nur der Möchtegern-Prediger mit seinen Worten etwas zurückhielte! Das würde kein gutes Ende mit ihm nehmen!
Der Bücherskorpion hatte gelernt stets wachsam und vorsichtig zu sein. Vor nicht allzu langer Zeit bekam er den Schreck seines Lebens. Er war zwar kein Jungspund mehr, hatte bereits seine drei Häutungen hinter sich, dennoch dachte er mit Schaudern an dieses Erlebnis.
Er labte sich gerade an dem süßen Saft einer kleinen Bücherlaus im Band 12 des Konversationslexikons als plötzlich, mit einem Ruck, das Buch aus dem Regal genommen und aufgeklappt wurde – genau auf seiner Seite.
Instinktiv stellte er seine beiden langen Scherenarme auf in Drohgebärde. Er hörte eine laute Stimme erschreckt rufen: „Hilfe, ein Skorpion!“
Dann fiel das Buch – mit ihm darin – zu Boden. Hastig rappelte er sich auf und krabbelte schnell in eine kleine Bodenritze. Dort verharrte er viele Stunden, bis er sich wieder ins Regal traute. Im Nachhinein musste er sogar ein wenig grinsen. Er war nur fünf Millimeter lang und völlig harmlos. Trotzdem hatte der Bewohner vor Schreck gleich das Buch fallen lassen. Das kam von seinem Namensvetter, dem Skorpion. Der war nun wirklich gefährlich!
Der Bücherskorpion überlegte, in welchem Band des Lexikons er sich als nächstes verkriechen könnte. „Hör mal, Liebster, kennst du das noch?“ unterbrach seine Gedanken das Bücherskorpionweibchen.
Sie hatte sich ihm rückwärts laufend genähert, sodass er sie zunächst nicht bemerkt hatte. Mit wippenden Scheren begann sie zu rezitieren:
„Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße wohlbekannte Düfte …“10
Er kannte sie bereits seit zwei Häutungen und sie hatten schon so einiges gemeinsam durchgestanden – und er war verliebt in sie wie am ersten Tag.
Jener erste Tag, an dem sie sich zufällig in einem Gedichtband von Mörike begegneten.
Sie hatte damals gerade an einer Bücherlaus gelutscht, er an einer Milbe. Es war die Seite gewesen mit dem Frühlingsgedicht, das sie gerade vortrug. Kurz darauf hatten sie den Balztanz zusammen getanzt und eine Familie gegründet. Er betrachtete sie liebevoll aus seinen Punktaugen und streichelte sie sanft mit der Spitze seiner Scheren.
Plötzlich erschrak er. Direkt neben ihnen tauchte der Ohrwurm auf, der soeben über die Seitenteile des Bücherregals nach oben gekrabbelt war. „Du bist doch der Klügste von uns allen hier“, begann der Ohrwurm etwas atemlos, „obwohl sich ja der Präsident dafür hält!“
Unwillkürlich musste der kleine Bücherskorpion lächeln. Ja, das stimmte. Der Kakerlak hielt sich für den Größten! „Du kannst mir sicher sagen, was „Arachnophobie“ bedeutet, oder?“
Der Bücherskorpion schwang seine langen Scherenarme durch die Luft. Sicher konnte er das! Kannte er sich doch in der griechischen Mythologie bestens aus. „Arachne war eine Frau, die sehr gut spinnen und weben konnte. Die Göttin Pallas Athene schlug ihr einen Wettbewerb vor: wer wohl den schönsten Teppich weben könnte. Arachne gewann den Wettbewerb. Vor lauter Wut verwandelte sie die neidische Göttin daraufhin in eine Spinne. Arachne heißt also Spinne.“
Der Ohrwurm lauschte fasziniert. Der Bücherskorpion, der nun ganz in seinem Element war, fuhr fort: „Phobie heißt, vor etwas große Angst zu haben. Wer also vor einer Spinne große Angst hat, der hat Arachnophobie!“
Die Skorpionin, die ihren Gedichtvortrag jäh unterbrochen hatte, als der Ohrwurm auftauchte, himmelte ihren Mann an. Was er alles wusste!
Der Ohrwurm war auf einmal hellwach! Das war es also! Die Spinne wollte den Kakerlak Arachnophobie lehren. Sie plante offensichtlich etwas, das den Kakerlak in große Angst versetzen würde. Das alles musste er sofort der Assel erzählen!
Der Ohrwurm bedankte sich überschwänglich beim Bücherskorpion und eilte dann schnell zurück Richtung Speisekammer.
Der Bücherskorpion blieb verwundert zurück. Wieso in aller Welt wollte der Ohrwurm das wissen?
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