Das Mädchen mit den Schlittschuhen. Michael W. Caden

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Mädchen mit den Schlittschuhen - Michael W. Caden страница 16

Das Mädchen mit den Schlittschuhen - Michael W. Caden

Скачать книгу

klar, warum nicht.«

      Für Willi gehörte der Elbing-Fluss zu den bemerkenswertesten Flüssen der Welt. Oft schon hatte er hier gefischt. Für ihn war dieses Gewässer nicht nur das Tor zur Welt, es ernährte ihn zuweilen auch ganz gut mit fangfrischem Fisch – wenn man diese wenige Zentimeter langen Rotaugen denn zur Gattung der Fische zählen wollte, die in den häufigsten Fällen am Haken zappelten. »Mit denen brauchst erst gar nuscht durch die Haustür zu kommen«, hatte seine Mutter gemeint. Also grillte Willi sie zumeist am Fluss oder schenkte ihnen ein zweites Leben, indem er sie wieder zurück ins Wasser beförderte.

      Willi und Paul hatten sich am Ufer ein schattiges Plätzchen gesucht. Aus einer kleinen Streichholzschachtel, die Paul in der Hosentasche trug, fischte er einen Regenwurm heraus und hielt ihn wie eine Trophäe in die Höhe.

      »Schau, den hab’ ich heute morgen im Garten ausgebuddelt.«

      Paul hielt Willi das stattlichste Exemplar vor die Nase.

      »Dass der überhaupt in eine Schachtel passt!«, grinste Willi.

      Nachdem der Köder fachmännisch am Haken befestigt worden war, warf Paul die Angel aus. Am oberen Ende der Rute befestigte er ein kleines Glöckchen. Dann zogen beide ihr Hemden aus und rollten sie als Kopfkissen zusammen. Sie legten sich ins Gras und ließen sich die letzten Sonnenstrahlen des Tages auf den Bauch scheinen, als plötzlich ein wuchtiger Ruck durch die Angel ging.

      »Schnell Willi, pack mit zu!«

      Paulchen hatte wohl gemerkt, dass da etwas am Haken zappelte – zunächst nur ganz leicht, dann immer heftiger, je mehr er die Angelschnur einholte. Alleine, das spürte er, würde er diesen kapitalen Burschen nicht einholen können. Das Fischlein schlug todesmutige Haken nach allen vier Himmelsrichtungen. Zu zweit umklammerten sie die Angel, die sich am oberen Ende gefährlich nach unten bog, so als wollte sie mit jedem Augenblick zerbersten. Das Tierchen musste noch sehr an seinem Leben im Wasser hängen, denn es wehrte sich nach Leibeskräften. Die beiden starrten wie gebannt auf die Wasseroberfläche, bis sich dort erste dunkle Konturen abzeichneten.

      »Was ist das? Ist das eine Schlange?«, fragte Willi ungläubig und starrte aufs Wasser.

      Er spürte jetzt jede Muskelsehne in seinen Oberarmen. Das Wassertierchen kämpfte wahrlich tapfer. Doch was würde es ihm nützen? Es hatte sich gänzlich am Haken verbissen.

      Nach ein paar Minuten anstrengendem Drill standen Willi und Paul mehr fragend als freudig vor ihrer Beute. Nun hatten sie also etwas an Land gezogen, aber was zum Teufel war das? Es sah aus wie eine Schlange, war aber keine. Und ein Aal? Ein Aal, soviel stand fest, war das auch nicht.

      »Ich glaube, ich hab so ein Dingslamdei schon einmal gesehen«, gab sich Willi selbstsicher und erzählte Paulchen, dass es sich dabei um ein recht seltenes Exemplar einer bestimmten Gattung handeln könnte, dessen Name er zwar kannte, der ihm aber bedauerlicherweise soeben während des Drills vor lauter Aufregung entfallen sei. Er glaube aber, sich noch daran erinnern zu können, dass es für die Bratpfanne sehr geeignet gewesen sei, ja dass es eine geradezu vorzügliche Schmackhaftigkeit besessen habe.

      Willi überlegte kurz. Dann schaute er Paulchen an und stutzte.

      »Schau mal die vielen Augen, die es hat. Meinst du, das ist vielleicht so ein Nässie?«

      »Ein Nässie!?«

      »Ja! So eijene Sorte eben, die so heijßt, weil sie in eijnem dunklen und furchtbar nassen Wasserloch im Schottenland haust!«, gab sich Willi besserwisserisch.

      »Glaub ich nuscht«, wehrte Paulchen ab. »Wat soll denn da hausen?«

      »Ja so ‘nen Ungeheuer. Vellecht ist dat hier auch so ‘nen Ungeheuer – halt eben nur etwas kleijner?«

      Die beiden debattierten noch eine ganze Weile lautstark. Doch Nässie hin, Nässie her – Paulchen wäre nicht Paulchen, hätte er nicht einen Rat gewusst.

      »Wejste Willi, wenn man etwas nuscht kennt, dann muss man einen kennen, der es kennt.«

      »Ach ja. Und wen bitte kennst du, der was kennt, was wir nicht kennen?«, fragte Willi neunmalklug.

      »Na Raschke, den Schleusenwärter, der weiß bestimmt, was es mit dieser Kreatur auf sich hat. Der lebt schon seit vielen Jahren hier am Fluss und hat schon so manches seltene Wassergetier zu Gesicht bekommen.«

      Die Schleuse war eine richtige Falle für die Fische, die den Fluss hinauf und hinab zogen. Da gab es Plötze und Barsche, Aale und Schleie, Bleie und Hechte. An einem Wehr sammelten sie sich an manchen Tagen zu Tausenden. Die Fische bescherten Raschke nicht nur eine stets willkommene Mahlzeit, sondern auch eine satte Nebeneinkunft, die in manchen Monaten größer gewesen sein dürfte, als sein Lohn als Schleusenwärter. Saß er nicht bei seiner Schleuse, war er auf dem Fischmarkt in Elbing unterwegs. Hinter der Schleuse betrieb er noch einen kleinen Räucherschuppen, aus dem ständig stinkender Qualm zog. Hier räucherte er die Aale. Das Feuer nährte er mit Tannenzapfen. »Wegen dat janz besondere Auroma«, wie Raschke stets prahlte.

      Also gingen Willi und Paulchen mit Nässie, oder was immer sich auch in dem Eimer befand, zum Haus des Schleusenwärters. Willi klopfte an die Tür, während Paul den Eimer mit der Beute fest mit beiden Händen umklammerte. Die Tür öffnete sich und heraus trat ein kleines hageres Männlein mit einer Schifffahrtsmütze auf dem Kopf und einem Giezkocher im Mundwinkel, der nur noch im Entferntesten Ähnlichkeit mit einer Tabakspfeife hatte.

      Raschke fehlte am rechten Arm die Hand. Als Schreinergeselle hatte er sie bei einem Unfall an einer Maschine verloren. Aber er war deshalb kein Griesgram. Trotz seiner Behinderung konnte er ohne Probleme die Schleuse öffnen. An einem großen Kreuzhebel, der aus dem Boden ragte, stemmte er sich mit seinem ganzen hageren Körper gegen die Flügel aus Eisen. Ein Teil der Brücke, die über den Fluss führte, bewegte sich schließlich seitwärts und gab nach kurzer Zeit die Durchfahrt frei.

      Raschke lebte alleine und zurückgezogen. Schon vor Jahren war seine Frau verstorben. Kinder hatte sie ihm keine geboren. Sein Haus zierte ein guter Giebel, worüber die Leute zuweilen ihre Späße machten, wollte heißen, seine Nase war etwas größer als die seiner Mitmenschen. Aber das spielte für Willi und Paulchen in diesem Moment keine Rolle.

      »Na, ihr Lachodder , wat habt ihr zweje den da inne Ejmer?« Lachodder, das war einer, der zu nichts taugte. Als Schimpfname, der mit einem Augenzwinkern verbunden war, musste man sich den Namen in Elbing gefallen lassen. Und so kümmerte es Willi und Paulchen wenig, wenn Raschke sie auf diese Weise begrüßte.

      »Dat wissen wir auch nuscht so genau, Herr Raschke. Wir dachten, dass Sie sich das Tierchen mal etwas genauer anschauen könnten. Vellecht wissen Sie ja, zu welcher Gattung es gehören könnt.«

      Raschke kratzte sich am Kopf.

      »Gattung! Na gut, dann kommt man ruhig rein, ihr Banausen.«

      Die Burschen betraten das Schleusenwärterhäuschen.

      Der Schleusenwärter nahm das Tierchen aus dem Eimer. Er hielt es in die Höhe, während es wie wild hin und her zappelte, und betrachtete es von allen Seiten. Immer wieder drehte und wendete er es.

      »Hmmh …?« brummelte er dabei in seinen langen zotteligen Bart. »Hmmh …?«

      Dann wendete er das Wassertierchen ein weiteres Mal, diesmal in die andere Richtung.

      »Also … Es könnte

Скачать книгу