Das Mädchen mit den Schlittschuhen. Michael W. Caden

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Das Mädchen mit den Schlittschuhen - Michael W. Caden

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Mitbringsel. Er schluckte. Ja, er kannte diesen alten vergilbten Karton. Allein der Gedanke daran, was sich darin verbergen könnte, ließ sein Herz schneller schlagen. Konnte das möglich sein? Konnte es wirklich sein? Während Albert in einer gewissen Bewegungsstarre verharrte, hob das Mädchen vorsichtig den Deckel an, griff bedächtig mit einer Hand in die Schachtel und legte sie im nächsten Augenblick mit einem Lächeln in Alberts Schoß: Vaters alte Elbinger Schlittschuhe.

      Albert verschlug es die Sprache. Er war ergriffen vom Anblick. Er rang um Worte. Kein Wort wollte aus ihm heraus, nicht eine Silbe. Albert konnte seine Gefühle nicht mehr verbergen. Sie waren zu stark, alles war zu emotional. Er, der im Leben gelernt hatte, mit Gefühlen hinter dem Berg zu halten, ließ seinen Tränen freien Lauf. Sie kamen wie ein tosender wilder Strom über ihn, der alles, was sich ihm in den Weg stellte, mitreißen wollte.

      Albert wandte den Blick zum Fenster. Draußen war ein strahlend blauer Himmel – ein Bilderbuchtag. Er sah, wie ein Arbeiter damit begonnen hatte, die Hecke zu schneiden. Doch er nahm es kaum wahr. Er weinte vor Freude – und er weinte vor Scham. Nach mehr als 60 Jahren konnte er diese geliebten Schlittschuhe in seinen Händen halten, die Schlittschuhe, die ihm, die seinem Vater Willi zu Lebzeiten so viel bedeutet hatten, die er gehütet hatte wie seinen Augapfel und die er doch bei der Flucht zurücklassen musste. Er empfand aber auch Scham darüber, dass er sich dem alten Polen gegenüber so misstrauisch verhalten und dessen Gastfreundschaft so barsch abgewiesen hatte. Fast zärtlich strich er jetzt über den kalten Stahl der Kufen und lächelte dabei das kleine Mädchen an. Er hielt die Schlittschuhe fest in den Händen, so als wollte er sie nie wieder loslassen.

      Albert zog ein Taschentuch aus der Hose und schnäuzte sich. Dann wandte er sich Janusz zu.

      »Sagen Sie den beiden Damen bitte, dass ich mich unendlich über dieses Geschenk freue und dass ich Ihre Einladung zum Kaffee gerne, sehr gerne annehme.«

      Janusz übersetzte, während Albert, Danuta und Patrycja die Stühle rückten und Platz am Tisch nahmen.

      »Wenn Sie meinen Gästen bitte etwas zu trinken anbieten würden, Janusz.«

      »Ja, gerne.«

      Danuta bestellte sich einen Kaffee, Patrycja einen Kakao. Mittlerweile kam auch Heinrich hinzu.

      Albert schob den Stuhl zurück und erhob sich.

      »Guten Morgen, Heinrich. Du glaubst ja gar nicht, was hier gerade geschehen ist.«

      Albert war noch immer gerührt. Heinrich blickte fragend zu ihm hinüber.

      »Dieses kleine Mädchen dort.« Albert deutete auf Patrycja. »Dieses kleine Mädchen hat mir soeben Vaters alte Schlittschuhe gebracht.«

      »Was? Wirklich? Das gibt es doch gar nicht!«

      Darauf war auch Heinrich nicht gefasst.

      »Woher hat sie die Schuhe?«

      »Das habe ich sie noch nicht fragen können.«

      Janusz brachte die bestellten Getränke. Dann nahm er ebenfalls wieder Platz am Tisch. Jetzt dolmetschte Heinrich. Er unterhielt sich eine ganze Weile mit Patrycja. Das Mädchen antwortete lebhaft auf alle Fragen, wedelte aufgeregt mit den Armen und schaute immer wieder zu Albert hinüber. Dabei lächelte sie unentwegt, und ihre hellblauen Augen strahlten.

      »Sie sagt, sie hat die Schlittschuhe zufällig beim Spielen in einem alten Schrank auf dem Dachboden gefunden. Ihre Mutter und der Großvater hätten nichts davon gewusst. Sie habe ihnen auch nichts gesagt, weil sie nicht wollten, dass sie im Winter auf den zugefrorenen See geht. Deshalb hat sie es heimlich getan. Die Schuhe hat sie anschließend wieder in dem Schrank auf dem Dachboden versteckt. Nur letzten Winter nicht, da hat sie es vergessen und seitdem hätten die Schlittschuhe unter ihrem Bett gelegen. «

      Albert, Heinrich, Janusz, Danuta und Patrycja sprachen noch eine geschlagene Stunde miteinander. Dann brachten Albert und Heinrich die beiden Gäste zum Wagen, den Danuta vor dem Gebäude geparkt hatte. Sie verabschiedeten sich. Als das Auto die Hoteleinfahrt langsam verließ, winkten Albert und Heinrich ihnen noch lang hinterher.

      »Ist das nicht eine unglaubliche Geschichte, Heinrich?«

      »Ja, das ist es wirklich, Albert.«

      Beide warteten noch, bis das Auto dem Blickfeld entschwunden war, und bewegten sich dann wieder zum Hoteleingang.

      »So, Albert, was haste denn nach der Überraschung heute so geplant?«, fragte Heinrich schon fast routinemäßig.

      »Da fragst du noch, Heinrich? Heute fahren wir zum Kaffeetrinken zu den Wójciks! Wir fahren zum Kaffeetrinken, Heinrich!«

       Kaffeetrinken bei den Wójciks

      Albert hatte sich sein bestes Hemd aus dem Koffer genommen und angezogen, als er am frühen Nachmittag vor dem Auto stand.

      »Wo bleibst du denn?«

      Ungeduldig, aber doch scherzhaft trommelte Albert mit den Fingern auf das Dach des Fahrzeuges.

      »Mach langsam! Ein alter Mann ist keine Lokomotive nuscht«, lachte Heinrich.

      Albert hatte für Danuta einen Blumenstrauß besorgt, den er stolz in Händen hielt. Noch vor dem Mittagessen war er in die Stadt gegangen und hatte ihrem Vater ein Pfeifenset gekauft. Bei seiner jüngsten Visite war ihm nicht entgangen, dass sich der alte Wójcik gerne mal ein gefülltes Pfeifchen gönnte. Für die kleine Patrycja erwarb er im Kaufhaus am Hohen Tor ein kleines Modeschmucktäschchen mit Armreifen, Ohrringen und einer bunt schillernden Halskette.

      Albert zog an seiner Krawatte und rückte die Hemdsärmel gerade.

      »Was meinst du, kann ich so gehen?«

      »Siehst gut aus, fast so, als wolltest du zu deiner eigenen Kommunion«, flachste Heinrich und deutete auf die Beifahrertür: »Komm, steig ein. Du hast’s doch eilig!«

      Heinrich nahm den kürzesten Weg nach Klutajny, der über Wernegitten, vorbei an der stattlichen Holzkirche, dem Wahrzeichen der kleinen Gemeinde, führte. Nach zehn Minuten Fahrt erreichten sie das ehemalige Elternhaus. Danuta und Patrycja saßen auf einer Bank vor der Tür, so als hätten sie den Besuch schon erwartet.

      Die Begrüßung war herzlich. Albert vermisste den alten Herrn Wójcik.

      »Wo ist Ihr Vater?«, fragte er Danuta und schaute hilfesuchend zu Heinrich.

      »Er ist beim Bauern gegenüber, wollte schnell noch was holen«, übersetzte Heinrich, der in Windeseile wieder in die Rolle des Dolmetschers schlüpfte.

      Nachdem Danuta sie herein bat, gingen sie gemeinsam ins Haus.

      »Sie haben die Stube gemütlich eingerichtet.«

      Albert machte Komplimente, was bei ihm eigentlich höchst selten vorkam. Sichtlich gut gelaunt fragte er danach, wie alt Patrycja jetzt sei, wo sie zur Schule gehe und was sie später einmal werden wolle. Dann kam ihr Großvater durch die Tür.

      Als Wójcik die Gäste erblickte, zog er freudig mit einer Hand seine Mütze vom Kopf. Mit der anderen Hand hielt er etwas fest, was Albert an ein Fotoalbum erinnerte. Dem Umschlag nach zu urteilen, musste es schon ziemlich alt sein. Der Alte reichte es Heinrich und redete

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