Das Mädchen mit den Schlittschuhen. Michael W. Caden

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Das Mädchen mit den Schlittschuhen - Michael W. Caden

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schon gänzlich im Bilde war, was es mit dieser technischen Errungenschaft so auf sich hatte. »Und die, die da singt, das ist eine französische Sängerin. Sie heißt Rina Ketty. Ja, ich weiß, der Name klingt nicht eben Französisch, aber sie singt halt recht schön, dass sie auf jemanden wartet, der weit weg ist und so was.«

      Der Vater fuhr ihm ins Wort.

      »Na, mein Junge, wie geht es dir? Groß biste geworden. Haste der Mutter ooch immer brav geholfen?«

      Albert schaute zu seinem Vater, lächelte und nickte.

      »Ja, hab ich.«

      Tief im Innersten spürte er diese große Wiedersehensfreude, als der Vater ihn in die Arme schloss.

      »Schön, dass du wieder bei uns daheim bist! Wie war’s im Krieg, Vatter?«

      »Ach mejn Junge, vergiss den Kriech. Weijst du, mit jedem Kriech iss das so ne Sache. Wer den ersten Schuss getan hätt, das kannst du später in Geschichtsbüchern nachlesen. Wer den letzten Schuss macht, das weijss man nuscht. Aber ich bin jetzt für ne ganze Weile zu Hause, und da wollen wir nuscht über Krieg oder so was reden. Sach man, habt ihr schon orntlich von dem Torf nach Hause gebracht?«

      »Ja, haben wir. Unter der Speichertreppe liegt schon jede Menge davon. Der Winter kann man ruhig kommen.«

      Willi kramte beiläufig in seiner Jackentasche. Offenbar suchte er etwas, was sich kürzlich noch dort befunden hatte, was aber abhanden gekommen sein musste. Dann wandte er sich wieder seinem ältesten Sohn zu.

      »Albert, tust du mir einen Gefallen?«

      »Ja klar! Welchen?«

      »Ich würde heute Abend gerne eine von diesen Salem-Zigaretten rauchen. Würdest du mir eine Schachtel bei der Miggegret besorgen?«

      »Ja klar, mach ich.«

      Auch Karlchen war die Bitte nicht entgangen.

      »Ich komm mit! Kann ich mit?«, fragte er den Vater. Der nickte.

      Albert und Karlchen verschwanden in Windeseile durch die Tür. Im Haus schräg gegenüber hatte der Nachwuchs der puckligen Schibulski-Nachbarschaft so wie allabendlich bereits Position bezogen.

      Die Schibulskis bewohnten ein baufälliges Häuschen mit einer Waschküche, einem beinahe zerfallenden Stall und einem kleinen Schuppen, in den es bei schlechtem Wetter hinein regnete. Die Gebäude machten, ebenso wie die Wohnung, nicht nur auf Albert einen recht klapprigen Eindruck. Die Schibulskis hatte der Klapperstorch mit einem großen Reichtum an Kindern bestückt. Er legte ihnen in einer gewissen Regelmäßigkeit kleine Heemskes oder Grumpels ins Nest, aber es waren auch zwei, drei lange Gerippe darunter. Insgesamt vierzehn Mal hatte Meister Adebar in aller Eile die Kajup der Schibulskis angesteuert, um den Nachwuchs im Tiefflug abzuwerfen. Tagtäglich saßen sie wie die Orgelpfeifen auf der Treppe und beäugten die Nachbarschaft. Und fast jedes Jahr gesellte sich, sobald er auch nur ein paar Schritte aufrecht gehen konnte, ein weiterer Schibulski hinzu.

      Die besten Plätze waren ganz oben und stets reserviert. Dort saßen die Ältesten, die Kleinsten und Jüngsten mussten unten mit dem ersten Treppenabsatz vorlieb nehmen. Die Schibulskis, sie mussten irgendwie mit Marx und Engels verwandt sein, fand Albert. Für sie gehörte alles allen. Und manchmal, da fanden sie sogar Sachen, die andere noch gar nicht verloren hatten. Für die Schibulskis hatte auf der Treppe gerade das allabendliche Unterhaltungsprogramm begonnen, und das hieß heute: Vater Steinky ist heimgekehrt.

      »Is Euer Vadder heijm gekommen?«, rief eine aus der Mitte.

      Albert kannte die Stimme. Sie gehörte der frommen Helene, die sich stets durch eine große Neugierde auszeichnete. Sie war jedoch alles andere als fromm. In der Kirche ließ sie sich nur selten blicken.

      In der Figur ähnelte die Helene sehr ihrem Vater, im Gesicht aber kam sie nach der Mama. Als sie noch klein war, lief sie fast immer mit einem benuschelten Gesicht herum. Später, als sie anfing sich zu schminken, sah sie auch nicht besser aus, fand Albert. Ihr Haar war verruschelt, die Fingernägel abgegnabbelt. Und sie verfügte über ein loses Mundwerk.

      Reger Betrieb herrschte vor ihrem Fenster, wenn die Helene ihren Badetag hatte und im Evakostüm in ihrer Zinkwanne stand. Das Schauspiel fand in aller Regel sonntags kurz vor dem Kirchgang statt. Die halbe männliche Dorfjugend von Klotainen versammelte sich dann, das Gebetbuch unterm Arm, vor dem Haus der Schibulskis, und während andere das Licht einschalteten, um besser sehen zu können, tat die fromme Helene dies, um besser gesehen zu werden. Das war eben so ihre Art. Und den jungen Burschen im Ort gefiel’s. Ja, sie waren geradewegs begeistert und ließen an den Sonntagen keine Vorführung aus.

      Wochentags, wenn die Helene aus der Schule kam, zog sie auf ihren dünnen, ausgetretenen Stöckelschuhen, die sie von ihrer Tante Walburga geschenkt bekommen hatte, durchs Dorf. Sie quetschte sich in ein froschgrünes, enges, seidenschimmerndes Kleid, damit die Burschen auch ja ihre werdenden Rundungen bemerkten. Der Busen, und davon hatte sie genug, fiel ihr fast aus der Bluse, was wohl daran lag, dass sie nie einen Büstenhalter trug. Sie wusste nicht, ob sie auf den Händen oder auf den Füßen gehen sollte, und wackelte durchs Dorf wie eine Katze auf Nussschalen. »Zum in der Küche helfen, dafür taugt sie nicht allzu viel«, erzählte ihre Mutter einmal im Ort.

      »Ja«, meinte Albert im Vorbeilaufen und grinste. »Er ist heimgekommen. Und wir passen auch auf, dass er uns so schnell nuscht wegkommt.«

      Albert und Karlchen nahmen die Abkürzung am Teich entlang über die Wiese. Nach ein paar Minuten hatten sie den kleinen Krämerladen erreicht.

      Die Miggegret führte eine Gastwirtschaft und einen Kolonialwarenladen an der Chaussee zwischen Seeburg und Heilsberg. Schon manch einer aus dem Dorf hatte in ihrer Kneipe das liebe Geld beim Kartenspiel verschettert.

      In Miggegrets kleinem Kolonialwarenladen gab es fast alles zu kaufen. Albert liebte den Geruch von Petroleum und Salzhering. Es roch herrlich nach Sauerkohl, Leder- und Holzwaren.

      Eigentlich hieß sie Margarete Migge. Karlchen glaubte indes, dass ihr Name etwas damit zu hatte, dass in der Schänke regelmäßig auch ein paar Fliegen ein und aus gingen. Niemand in der Welt hätte ihn vom Gegenteil überzeugen können. Die Miggegret war ein korpulentes Weib, musste sie als Wirtsfrau wohl auch sein, denn häufig hatte sie es mit den raubeinigsten Gesellen aus Klotainen und Umgebung zu tun. Etepetete zu sein, das war im Wirtshaus wahrlich fehl am Platz.

      »Na ihr beeden, wat führt euch denn zu mir?«, fragte die Grete und stützte sich mit verschränkten Armen auf dem Tresen auf. Ihr Blick fiel auf Alberts geschlossene Hand, in der er das Geld für die Zigaretten hielt.

      »Unser Vadder ist aus dem Kriech nach Hause gekommen, und wir sollen ihm eine Schachtel Salem kaufen«, antwortete Karlchen.

      »Dat is aber ejne schejne Nachricht?«

      Die Gret blickte zu einem Mann, der in einer Ecke saß und an einem Tulpchen Bier schlürfte. Die Nase, vom Alkohol bereits in leuchtender Weise gezeichnet, hing dabei mehr im Glas als darüber.

      »Ja, ja, Unkraut vergeht nuscht«, brummelte der Mann.

      Es war der alte Kalludrigkeit, der dort im Halbdunkel an einem runden Tisch saß. Er hatte die beiden Burschen schon seit dem Augenblick beäugt, als diese den Laden betraten.

      »Passt man auf, Euer Vadder, der macht beim Milidär man so richtig eine Karriere. So wie der junge Piel«, spottete er.

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