Im Nebel kein Wort. Frank Hebben

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Im Nebel kein Wort - Frank Hebben

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harten Kanten in der Faust wartet Lilja die Antwort ab. Noch fallen die Tropfen des Schauers.

      Was willst du hören?

      Die Wahrheit.

      Du meinst –

      Ob es seine Tränen sind.

      Brav aufgesagt. Seh dich vorn an der Tafel stehen, adrett im Kleidchen mit der Schleife. Jawohl, Herr Lehrer!

      Kennst mich doch gar nicht, keift sie zurück. Musst du das ständig machen?

      Dostya trinkt einen Schluck.

      Also?

      Das Weihnachtswunder? Frieden auf Erden und so? Keiner sieht, dass wir wie Kinder behandelt werden …

      Jetzt sag: Sind es seine Tränen?

      Weiß ich doch auch nicht, seufzt Dostya, die ihre Feldflasche verstaut und aufsteht. Es ist dumm, über solche Sachen nachzudenken. Und gefährlich.

      Zwischen den Stämmen blinkt die Sonne, wie Morsezeichen, während sie durch Pfützen waten, in denen Grünzeug schwimmt. Noch mal piekst Dostya ihren Regenschirm in den Schlick: unten Stein; läuft weiter ohne einzusinken, da –

      Ich spüre etwas, sagt Lilja.

      Ja, ich auch. Bleib, wo du bist.

      Was ist das?

      Das Filigran, erklärt Dostya und streckt die Hand vor, als würde sie eine Herdplatte prüfen. Wir müssen warten.

      Dieser Geruch …

      Gas, ich weiß. Siehst du die Flämmchen?

      Wo?, fragt Lilja.

      Dostya zeigt auf einen Baumstumpf mit dicken, gelben, wurmstichigen Wurzeln, danach auf ein Gebüsch. Dort, schwer zu erkennen bei Tag. Wenn die zu flüstern anfangen, rennst du weg. Kapiert?

      Sie stehen im Wasser und rühren sich nicht. Wie lange noch?, fragt Lilja. Meine Füße sind nass.

      Leise.

      Ein Wind geht,

      Blätter rauschen.

      Eine Amsel landet, um aus den Pfützen zu trinken; zitternde Kreise, als sie davonfliegt …

      Ein Vogellaut, schrill; Lilja erschrickt — und flieht, links an Dostya vorbei, wird von ihr an der Hüfte gepackt. Kind!, hört sie ihre Stimme, beide straucheln und –

      Mit Hurra zum Feind! Auf morschen Leitern und Säcken voll Dreck ins Trümmerfeld: Bis vor wenigen Tagen stand hier ein Dorf, übrig ein Schornstein, ein gusseiserner Ofen, im Schlamm versackt, Holzlatten, Ziegel, Mauerreste. Durch die Krater – sie springen rein, klettern raus, suchen neue, frisch gesprengte, wollen dem Zufall ein Schnippchen schlagen; werden zerrissen. Mörser knallen, Granaten splittern; und Dauerfeuer, das sie zu Boden wirft. In der Hand das Gewehr, der Stahlhelm drückt auf ihre Stirn, sie rennen, rennen. Dostya drängt Lilja zu einer Backsteinwand, zerrt sie runter; auch andere Soldaten kauern dort, spähen, schießen über Deckung, ziehen den Kopf ein. Detonation! Erdbrocken regnen. Jemand schleudert eine Stielhandgranate, sie zündet nicht. Weiter, bellt einer, und sie robben vor, den Gestank des Schlamms in der Nase – stehen auf, laufen gebückt, lassen sich fallen. Der Verhau; im Laufen knöpft Lilja ihren Mantel auf, streift ihn ab, wirft ihn auf Stacheldraht und klettert drüber, packt ihre Waffe mit Bajonett, springt in die feindliche Stellung.

      Als Gegner ein Knabe: roter Bartflaum; der Spaten zuckt in seiner Hand. Lilja zögert, schlägt ihm doch den Kolben ans Kinn, dreht das Gewehr, treibt die Klinge bis zur Mündung ins Herz. Blut tränkt den Stoff, ein handbreiter Fleck. Achtung, ruft Dostya hinter ihr, weil ein –

      Warmes Holz; auf einem Strunk in der Sonne ruhen sie sich aus. Ihre Handflächen schmerzen, die Schultern, der Rücken, die Beine, Füße; Dostya stöhnt.

      Haben wir wirklich gekämpft?, fragt Lilja, während sie die Schuhe auszieht, die Socken auswringt. Es fühlt sich so echt an.

      Weil es echt ist – oder besser: war.

      Versteh ich nicht.

      Da gibt’s nichts zu verstehen. Was sagen die Pfaffen? Na, dieses Wunder, das uns das Gift der Schlange ausgesaugt hat …

      Mysterium?

      Ja genau, höhnt sie: Sein Wille geschehe und so.

      Du glaubst nicht daran?

      Dostya schaut hoch. Ich glaube an gar nichts mehr.

      Der Wald trocknet.

      Zeig mir deine Hände.

      Lilja zögert.

      Gib schon her! Mit beiden Daumen befühlt Dostya ihre Haut … Weich wie zwei Daunenkissen. Hast nie auf den Feldern geschuftet.

      Doch. Oft sogar.

      Wer ist dein Vater, der liebe Herr Pastor? Bist aber leicht wie ein Spatz, und deine dürren Ärmchen. Ist die Ernte nicht gut gewesen? Keine Kartoffeln in der Kollekte? Sie grunzt über den eigenen Scherz.

      Hastig zieht Lilja die Finger zurück. Warum beleidigst du mich?

      Tut mir leid …

      Nein, sicher nicht!, springt sie auf; verschränkt die Arme. Bist doch bloß neidisch.

      Dostya schweigt.

      Und du bist schmutzig, sagt Lilja. Du stinkst!

      Gewöhn dich besser dran.

      Beide schmunzeln.

      Eine schwarze Spinne krabbelt am Halm, Lilja beobachtet sie. Also darfst du auch nicht mehr heim?

      Leider.

      Wo hast du denn gelebt?

      Dostya klopft verkrusteten Dreck aus den Sohlen. Also, hör zu: Ich kann dich zum Kloster mitnehmen, dort bist du sicher. Ist ein Tagesmarsch von hier; dann trennen sich unsere Wege.

      Du willst mich allein lassen? Ich weiß gar nicht –

      Jeder für sich. So sind die Regeln.

      Wer sagt das? Diese blöden Steine‽ Sie kämpft mit den Tränen. Ich hab mir das doch nicht ausgesucht; was soll ich denn jetzt machen?

      Überleben.

      Ach ja? Was für ein Leben soll das sein?

      Mittagsstille.

      Deine Uhr tickt ja, staunt Lilja.

      Manche Dinge können wir instand setzen. Autos, Lastwagen — sogar Waffen.

      Wozu?

      Ein Pfad aus Kieseln im Licht. An Ästen, an Wurzeln schimmert Nässe, aber der Schlamm wird schon rissig, die Erdkrume hell. Nach dem Regen gleicht der Weg einem

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