Die Ratte kommt. Lydia Drosberg
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In der Veranda treffe ich auf Herrn Kaufmann. Er steht vor mir wie eine Wand und schaut mich mit seinen großen Augen an, die durch die Brille noch viel größer wirken. Weder die Worte, die er zu mir spricht, noch seinen Gesichtsausdruck kann ich deuten, deshalb starre ich ihn ebenfalls nur an. Ich komme mir vor, wie das dumm glotzende Schaf im Stall. Eigentlich will ich ja gar nicht unhöflich sein, aber wenn er so schlecht spricht, kann ich ihn nicht verstehen und ihm demzufolge auch nicht antworten. Nur so dastehen, ohne etwas zu sagen, finde ich auch blöde, und deshalb renne ich einfach an ihm vorbei in die Wohnstube. Dort treffe ich auf Frau Kaufmann, die immer sehr freundlich zu mir ist. Meistens kann sie sich vor Freude nicht mehr halten, zum Beispiel, wenn ich pünktlich zum Mittagsschlaf behaupte: „Ich muss jetzt nach Hause; schlafen. Du weißt schon, wegen meiner Nerven.“
IN DER WOHNUNG
Wenn es draußen regnet, muss ich drinnen bleiben. Dabei spiele ich viel lieber an der frischen Luft. Drinnen habe ich durch meine Kletterkünste, zum Leidwesen meiner Mutter, schon so manchen Blumentopf zerbrochen. Die von mir zerbrochenen Gefäße sahen aber auch wirklich schick aus. Weißes Porzellan mit wunderschönen Blumen drauf, dazu ein Goldrand und Goldfüßchen. Da muss ich meiner Mutter schon recht geben, wenn sie schimpft: „Wie kann man so etwas Schönes nur kaputt machen!“ Verflixt, warum stehen die mir beim Klettern aber auch immer im Weg?
Jetzt befinde ich mich im Wohnzimmer. Meine Mutter klappert mit dem Geschirr in der Küche und singt alle Lieder hoch und runter, die sie aus der Jugendzeit kennt. Mir ist auch nicht langweilig. Ich springe mit viel Schwung auf dem Sofa hin und her. Das macht großen Spaß! Dabei schaue ich mir ganz genau unser Wohnzimmerbild an, als hätte ich es noch nie im Leben gesehen. Ziemlich blasse Farben, finde ich. Außer der Rock der Frau, der sieht besonders interessant aus - dunkelrot. Man kann sogar die Falten im Stoff sehen. Die Frau steht mitten im Bild an eine Heugabel gelehnt. Wo sie nur hinschaut? Leider kann ich ihr Gesicht nicht sehen, nur die zusammengebundenen Haare von hinten. Man könnte sich aber vorstellen, dass sie sehnsüchtig auf jemanden wartet.
Meine Mutter reißt mich aus meinen Gedanken: „Ramona, hier hast du was zu essen.“ Was kann es Schöneres geben, als eine Stulle mit Bierschinken? Mutti bringt ihre Nähsachen mit und setzt sich zu mir an den Tisch. Unterm Tisch steht jetzt der offene Nähkasten. Sie ist ganz vertieft in ihre Arbeit. Ich rutsche geschickt vom Sofa und knie mich vor das Objekt meiner Begierde. Da sind Garnrollen in vielen Farben und die unterschiedlichsten Knöpfe zu bewundern und sogar eine Rasierklinge.
Schnell schaue ich mich nach Mutti um, ob die Luft rein ist und dann nehme ich das Ding aus den Kasten. Vielleicht ist die Rasierklinge scharf, denke ich noch und habe mir schon in den Finger geschnitten. Mir wird ganz übel. Mist, das war doch keine so gute Idee!
„Was machst du denn da unten?“, fragt mich meine Mutter da plötzlich. „Immer wenn du so still bist, muss ich aufpassen, dass du keine Dummheiten machst! Hab ich es mir doch gedacht!“ Und bei den Worten: „Da muss ich dir wohl ein Pflaster holen“, fängt sie fürchterlich an zu lachen. Sie kann sich gar nicht mehr einkriegen vor Lachen. Ich frage mich nur, was daran so witzig ist, wenn ich hier halb verblute?
FAMILIE LUCKE
Zu Luckes durfte ich auch schon mal mit. Sie wohnen eine Straße weiter. Frau Lucke ist eine recht resolute Frau.
Mein Cousin will Marlene von Luckes abholen. Aber als er vor ihrer Tür steht, bekommt er von Frau Lucke rechts und links eine geballert. „Bist du etwa einer von denen, die hier klauen wollen?“, schreit sie.
„Nee, ich will nur Marlene abholen“, sagt Erwin kleinlaut.
„Na, dann geh rein zu Marlene und hol sie raus!“
Erwin ist die Lust darauf zwar vergangen, doch jetzt muss er. Er schwört sich aber, wenn er dort drinnen gewesen ist, nie wieder einen Fuß auf dieses Grundstück zu setzen. „Die Bewohner sind ja lebensgefährlich! Was bildet die Alte sich ein, mir einfach so eine zu ballern? Ich habe ihr doch gar nichts getan“, denkt er und hält sich seine schmerzenden Wangen.
Luckes haben einen Untermieter. Der heißt Herr Ebersdorf. Er ist ein ziemlich alter Mann mit weißen Haaren. Martina, die beste Freundin meiner Schwester Marlene, meint, wir könnten ihn ja mal besuchen. Der Untermieter bittet uns herein. Er bietet uns sogar Kekse und Milch an, wie bei einem richtigen Besuch. Er selber trinkt Kaffee. Der alte Mann ist zwar nett, aber ziemlich langweilig. Der weiß sicher mit uns Mädels nichts anzufangen. Marlene und Martina schlagen mir vor, Handstand an der Wand zu machen. Ebersdorf ist auch gleich begeistert. Beim Handstand rutscht natürlich mein Kleid bis zum Kinn und alles, was ich drunter trage wird entblößt. Meinen Schlüpfer kann man in voller Schönheit sehen. Die Mädels fangen an zu lachen und Ebersdorf wird ganz rot und grinst doof in sich hinein. Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Warum lachen die denn so blöde? Ist mein Schlüpfer etwa kaputt und hat obendrein noch Bremsspuren? Das ist ja mal wieder typisch für Marlene und Martina. Mann, ist mir das peinlich! Das passiert mir aber auch nicht noch einmal.
EIN MISSVERSTÄNDNIS
Manchmal ist Martina auch die Dumme, wenn sie mit Marlene zusammen ist. Martina muss Marlene zur Musikschule begleiten, weil Marlene ihren Geigenlehrer etwas unheimlich findet. Heute sitzt sie im großen Saal vorm Theorieraum. Draußen regnet es und ihr ist langweilig. Als sie sich so im Raum umschaut, entdeckt sie an der schönen Täfelung etwas, das aussieht wie ins Holz gekratzt. Sie stellt sich hin, um die Worte besser lesen zu können, und tippt jedes Wort mit ihrem Regenschirm an. Doch sie wird nicht schlau aus dem Text.
Auf einmal öffnet sich die Tür vom Sekretariat und der Direktor rennt mit großen Schritten auf sie zu. Er packt sie am Schlafittchen und schleift sie in sein Zimmer. „Was hast du da gemacht? Warst du der Schmierfink, der das da eingeritzt hat?“, schreit er.
Martina weiß gar nicht, wie ihr geschieht. „Ich habe das auch erst eben entdeckt“, verteidigt sie sich. „Ich warte doch nur auf meine Freundin Marlene, die im Theorieunterricht ist.“
Marlene wird aus dem Theorieunterricht geholt und ebenfalls verhört. Sie müssen sich ganz schön anstrengen, damit der Direktor ihnen Glauben schenkt und kommen gerade noch so mit einem blauen Auge davon. Martina schämt sich natürlich sehr und würde am liebsten nicht mehr mit Marlene in die Musikschule fahren. Aber da Marlene sie braucht, lässt sie sich dann doch wieder erweichen.
IM KINDERGARTEN
Wenn Mutti arbeiten geht, muss ich in den Kindergarten. Ich gehe nicht gerne in diese Einrichtung – wegen der fremden Tanten. Und dann muss man da auch noch mittags schlafen. Jedes Mal, wenn ich auf der kleinen Liege aufwache und aufstehen will, trete ich in Pipi, weil mein Bettnachbar sein Wasser nicht halten kann. Igitt, schüttelt es mich. Außerdem hasse ich es, viel zu zeitig im Kindergarten zu erscheinen. Doch eine Mitfahrgelegenheit meiner Mutter zu ihrem Job nach Werder gibt es nur zu dieser Zeit. Wenn meine Mutti dort arbeiten möchte, muss sie auch irgendwie hinkommen und mich eben so früh am Kindergarten „abstellen“. Sie befiehlt mir, mich hinter der Hecke zu verstecken und dort so lange zu bleiben, bis der Kindergarten öffnet. Ich traue mich nicht aus meinem Versteck, bis die Kindergartentante die Tür aufschließt. Es sind vielleicht