Singapur – oder tödliche Tropen. Volker Schult
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Damit endet die Belehrung durch den wenig eindrucksvollen Hafenkommandanten Anthony Jenkins. Für einen britischen Kommandanten sieht Jenkins in seiner bieder wirkenden Uniform, seinem nichtssagenden runden Allerweltgesicht, seiner Halbglatze und seinem buschig-länglichen Schnurrbart eher aus wie ein bürokratischer Langweiler in einem britischen Provinznest, der meint, es zu etwas gebracht zu haben. Typisch selbstgefälliger Engländer. Aber – und das muss Kapitänleutnant Wilhelm Kurz zugeben – der Engländer im Allgemeinen hat ein Auge dafür, welche Gegenden auf der Welt von strategisch überragender Bedeutung sind.
Da braucht Kurz sich nur seine bisherige Reise nach Penang vor Augen zu führen: Gibraltar, Malta, den Suezkanal, Aden an der Spitze der arabischen Halbinsel, von wo man den Zugang zum Roten Meer kontrolliert und Colombo auf der Insel Ceylon. Und dann erst Penang. Schon vor über einem Jahrhundert, noch kurz vor der Französischen Revolution, haben die Briten sich diese Tropeninsel unter den Nagel gerissen. Und wo war damals das Deutsche Reich? Pah, von einem „Reich“ konnte man bei dem zerrissenen Flickenteppich von kleinen und kleinsten Fürstentümern noch gar nicht sprechen. Da musste erst einer wie Bismarck kommen oder wie unser jetziger Kaiser Wilhelm II. Jawohl, jetzt wird es anders werden. Da werden sich diese Engländer noch umschauen. Aber diese Gedanken behält er lieber für sich.
Mit Penang – das muss Wilhelm Kurz zugeben – hat der Engländer geradezu einen geostrategischen Coup gelandet. Von hier aus kontrolliert er den Zugang zu der Straße von Malakka, eine der meistbefahrensten Meereswege der Welt. Am anderen Ende hat er sich in Singapur niedergelassen. Zu der damaligen Zeit noch ein malariaverseuchtes Sumpfgebiet. Und was hat er daraus gemacht? Den wichtigsten und zentralsten Handelsstützpunkt in ganz Asien aufgebaut.
Singapur ist das nächste Ziel des Kanonenboots Iltis. Auf Singapur freut sich Wilhelm Kurz schon. Aber zunächst ist er mit seinem Schiff hier in Penang – das wohl wichtigste Ziel der gesamten Asienreise.
In seiner tadellos sitzenden weißen Marineuniform, seinen zu einem akkuraten Mittelscheitel gekämmten blonden Haaren, seinem gezwirbelten „Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart“, seinem länglich norddeutschen Gesicht, den buschigen Augenbrauen, seinen tiefliegenden blauen Augen, seiner schlanken Gestalt und seiner aufrechten Körperhaltung entspricht Wilhelm Kurz dem landläufigen Idealbild von einem Offizier der kaiserlich-deutschen Marine. Mit seinen vierunddreißig Jahren ist er schon recht erfahren, wenngleich er jünger aussieht. Obwohl noch unverheiratet, würde er den Erwartungen einer jeden Schwiegermutter entsprechen.
Aber vor allem besticht der Bart. Er ist zum modischen Leitbild einer selbstbewussten Nation geworden, jung, dynamisch, windschnittig. Wie ein Reichsadler, der seine Schwingen in die Höhe reckt, prangt er unter der Nase Kaiser Wilhelms II. und nun auch unter denen von hunderttausenden jungen Männern. Dabei ist es alles andere als einfach, dass die nach außen gekämmten, seitlich längeren Barthaare mit hochgezwirbelten Enden ihre Form behalten. So trägt man während der Nacht eine hinter den Ohren zu befestigende Bartbinde. Außerdem befeuchtet man ihn mit einer extra vom Hoffriseur des Kaisers entwickelten Barttinktur der Marke „Es ist erreicht“, eine Pomade mit dem zentralen Bestandteil des neuen Produkts Vaseline. Schnell verbreitet sich der Name eines solchen Barts als „Es-ist-erreicht-Bart“.
Mit stoischer Ruhe und in bester Manier hat sich Wilhelm Kurz die Tiraden des britischen Hafenkommandanten angehört. Von einem deutschen Marineoffizier erwartet man eine solche Haltung. Für ihn stellt das kein Problem dar. Er muss sich nicht großartig verstellen. Es entspricht vielmehr seinem Naturell.
In bestem Schulenglisch entgegnet Kapitänleutnant Kurz seelenruhig, aber mit überraschend sanfter, fast heller Stimme:
„Sir, ich weiß Ihren Hinweis sehr zu schätzen. Seien Sie versichert, mein Schiff wird der gastfreundlichen Bevölkerung von Penang keine Unbill bereiten“, wobei er bei diesen Worten innerlich grinsen muss. Aber Wilhelm Kurz fährt mit souverän gesetzter Ironie fort:
„Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um weit genug von Penang diese wichtigen Schießübungen abzuhalten. Danach werden wir unverzüglich Richtung Singapur dampfen, wo wir bereits angemeldet sind. Ich darf mich für Ihre überaus große Gastfreundschaft, die dem glorreichen Britischen Empire zur Ehre gereicht, im Namen der kaiserlich-deutschen Marine überschwänglichst bedanken. Zugleich wünsche ich Ihnen eine geruhsame Nacht und bitte, auf mein Schiff zurückkehren zu dürfen, Sir.“
Mit diesen Worten verlässt Wilhelm Kurz das Büro des Hafenkommandanten in Fort Cornwallis. Auf dem langen Korridor bleibt er erst einmal stehen, atmet tief und heftig ein.
Ursprünglich umgaben das alte Fort Cornwallis hölzerne Palisaden. Dann wurde es mit einer massiven Steinmauer versehen, allerdings nicht sonderlich hoch, wie Kapitänleutnant Kurz mit einem kurzen Seitenblick bemerkt. Zwar umschließt das Fort ein Graben von neun Meter Breite und zwei Meter Tiefe, aber einer richtigen Belagerung würde es keinesfalls ernsthaft standhalten. Es hat mehr symbolische als militärisch-strategische Funktion.
Außerdem dekorieren die altertümlichen Kanonen das Fort eher, als dass sie es schützen. Ursprünglich haben die Holländer sie dem Sultan von Johor vor zwei oder drei Jahrhunderten als Geschenk überreicht. Dann aber wurden sie von den Portugiesen in Besitz genommen und gelangten irgendwie nach Java und anschließend in das Sultanat Aceh an der Nordspitze von Sumatra, bevor die Kanonen in den Besitz der Engländer kamen.
Und die hatten dann nichts Besseres zu tun, als Fort Cornwallis mit diesen Museumsstücken auszustatten. Die Briten verstehe, wer will. Aber so richtig hat Wilhelm Kurz die Ausführungen von Jenkins, die der ihm mit stolzgeschwellter Brust vortrug, nicht behalten. Komplizierte Geschichte hier unten. Das einzige, was ihn als Marineoffizier wirklich interessiert, ist der einundzwanzig Meter hohe Leuchtturm, der sich in der nordöstlichen Ecke des Forts befindet.
Dann setzt Kapitänleutnant Wilhelm Kurz seinen Weg mit resoluten Schritten fort. Als er in den gerade angebrochenen Tropenabend tritt, kann er sich ein wohlgefälliges Lächeln nicht verkneifen. Das hätte ja gar nicht besser laufen können, sagt er zu sich selbst, schließt die Augen und atmet noch einmal tief durch.
Der Jenkins hat das geschluckt. Natürlich werden wir die Schießübungen fern von Penang abhalten. Ganz in unserem Sinne. Den Engländern geht mittlerweile jedes Gespür für die Interessen anderer Mächte ab. Sie sind selbstgefällig geworden. So ist es eben, wenn man seit Jahrzehnten die Welt beherrscht. Keinen Schneid mehr, sondern ein Krämervolk durch und durch eben. Ausgenommen davon bleibt ihre Marine, die Royal Navy. Wie fast jeder deutsche Marineoffizier spricht auch Wilhelm Kurz nur voller Hochachtung und großer Anerkennung von ihr.
Währenddessen denkt Hafenkommandant Jenkins in seinem Büro nach. Schön, der Deutsche scheint es ihm abgenommen zu haben, dass er, Jenkins, nichts weiß. Soll er es doch glauben. Gut, dass wir so effektive Kontakte in dieser Gegend unterhalten. Schließlich sind wir schon länger hier, als diese Neuankömmlinge und arroganten deutschen Aufsteiger. Und ganz so unbestechlich, wie sie sich immer gerieren, sind sie auch nicht. Dieser deutsche Newbronner oder wie auch immer der heißt, war nicht ganz billig, aber dann umso williger. Ja, ja, Geld regiert die Welt.
Die Kontakte zu unserem chinesischen Mittelsmann sind auch hergestellt, sinniert Anthony Jenkins weiter. Auch nicht ganz billig. Aber was bedeutet schnöder Mammon gegen Einfluss und Macht. Was bilden diese Deutschen sich eigentlich ein, sich in dieser Gegend, die doch eindeutig unser Einflussgebiet ist, einmischen zu wollen? Typisch deutsche Arroganz. Aufsteiger eben. Na ja, die werden noch ihr blaues Wunder erleben. Aber wir müssen wachsam sein und unsere Widersacher nicht unterschätzen. Das ist das Schlimmste, was wir tun können. Wir müssen einen klaren Kopf bewahren und entschlossen handeln, wenn nötig. Dazu sind selbstverständlich sowohl er, Anthony Jenkins, als