Singapur – oder tödliche Tropen. Volker Schult

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Singapur – oder tödliche Tropen - Volker Schult

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dem Weg zurück zu seinem Schiff wird Wilhelm Kurz wieder deutlich, was für ein geschäftiger und betriebsamer Hafen Georgetown doch ist. Von hier fahren alle möglichen Arten von Schiffen in die Straße von Malakka ein und aus, von einheimischen Auslegerbooten, Sampans, die als Fischerboote oder für kleinere Transporte benutzt werden, bis hin zu Dampfschiffen aller Größenordnungen. Im Hafen löschen sie ihre Fracht, nehmen neue auf und kohlen.

      Die Zinnminen und Gummiplantagen auf dem gegenüberliegenden Festland haben Penang reich werden lassen. Zwar unterhalten tamilische Muslime aus Indien schon seit langer Zeit Handelsbeziehungen mit Penang, doch die mächtigste und einflussreichste Elite bilden die Chinesen mit ihren weitverzweigten Verflechtungen in der gesamten Region. Mit ihren Großfamilien wohnen sie in den prächtigsten Häusern der Insel. Sie sind stolz auf ihre Familientraditionen. Die Ehre der Familie geht ihnen über alles.

      Die ursprünglichen Einwohner, die Malaien, hingegen sind vorwiegend Bauern und Fischer, die in den Dörfern über die Insel verstreut siedeln. Die Malaien machen einen sehr freundlichen, aber auch trägen Eindruck. Wahrscheinlich sind sie von der natürlichen Fruchtbarkeit der Tropeninsel und dem sie umgebendem Meer so verwöhnt, dass sie lieber darauf warten, dass ihnen eine Kokosnuss auf den Kopf fällt, als sie selber mühselig zu ernten. Nach Wilhelm Kurz erstem Eindruck kann er das voll und ganz bestätigen.

      Die im Wasser liegenden Bojen, die den Weg in den Hafen weisen, sind auch des Nachts erleuchtet. Gerade nachts herrscht hier ein reges Treiben. Frachtschiffe aus allen Herren Länder, einheimische Boote beladen mit den tropischen Produkten der fruchtbaren Gegend und chinesische Sampans von der gegenüberliegenden malaiischen Halbinsel befahren den Hafen.

      Kapitänleutnant Kurz militärisches Auge bemerkt sofort, dass der Hafen von Georgetown über keine Küstengeschütze zum Schutz verfügt, sondern im Ernstfall ausschließlich auf die Kriegsschiffe, die im Hafen ankern, angewiesen ist. Auch die Mauern, die Fort Cornwallis umgeben, sind äußerst niedrig. Im Kriegsfall bieten sie keinen wirklichen Schutz. Der Ankerplatz, der den Kriegsschiffen zugewiesen wird, befindet sich an der Hafenmündung, nicht weit von Fort Cornwallis entfernt. Diese Tatsachen registriert Wilhelm Kurz sehr aufmerksam.

      Währenddessen passiert die Rikscha, die er nach dem Gespräch mit Kommandant Jenkins genommen hat, den Rotlichtdistrikt von Georgetown. Das Verhältnis von Mann und Frau in der chinesischen Gemeinde, so hat Kurz von Jenkins erfahren, beträgt ungefähr zwei zu eins. Penang ist voll von jüngeren, unverheirateten Chinesen, die hier ihr Heil suchen. Die meisten von ihnen stammen aus ärmeren Familien in China und hoffen in ihrer Verzweiflung, ihr Glück in Übersee zu finden. Andere werden aus schierer wirtschaftlicher Not von ihren Familien einfach verkauft, so auch Frauen. Kaum einer von ihnen schafft es, sich in höhere Schichten emporzuarbeiten. So sind die Campbell Street und die Cintra Street voll von Prostituierten. Alleine in der Campbell Street sollen an die achthundert von ihnen leben und arbeiten. Fürchterlich, denkt Kurz. Nein, das, obwohl unverheiratet, ist nichts für ihn. Alleine der Gedanke an diese dreckigen Spelunken und stinkenden Absteigen voller Unrat und Ratten und den damit verbundenen Gefahren lassen ihn erschaudern.

      Als er das auf ihn wartende Beiboot besteigt, das ihn zu seinem Schiff bringt, redet sich Wilhelm Kurz gedanklich noch einmal kurz in Rage. Sein Gesicht verzieht sich ein Stück. Diese verdammten Engländer haben aber auch einfach alle strategisch wichtigen Gegenden schon lange besetzt. Und sein Vaterland steht mit leeren Händen dar. Das hat er erst jetzt wieder in den letzten Wochen erlebt. Aber vielleicht kann er zumindest etwas Abhilfe schaffen, beruhigt er sich selber.

      2. KAPITEL

      INSEL PENANG. DER GEHEIMAUFTRAG

      Wegen der auch noch nachts vorherrschenden ungewohnten tropischen Hitze hat Kapitänleutnant Wilhelm Kurz einige unkonventionelle Befehle erteilt. So ist es der Mannschaft erlaubt, ihre Hängematten auf Deck unter Sonnensegel anzubringen. Jedoch schützen diese die Männer nur teilweise gegen die starken tropischen Regenschauer, die häufig niedergehen. In Penang geschieht es um diese Jahreszeit zahlreicher und heftiger als anderswo, so ist jedenfalls Kurz Eindruck. Allerdings ist das noch tausendmal besser als nach Vorschrift unter Deck ruhen zu müssen. Manche Matrosen schlafen in ihrer Unterwäsche, andere vollkommen nackt. Jedoch schwirren die Moskitos des Nachts im Hafen nur so herum. Deshalb müssen sich die Männer durch Moskitonetze vor den Stichen und der daraus resultierenden allzu häufig tödlichen Malaria schützen. Ein Gutteil der gewünschten Luftzirkulation wird so jedoch wieder herabgesetzt.

      Auch hat Wilhelm Kurz angeordnet, dass die Wachzeiten reduziert werden, was aber bedeutet, dass mehr Männer innerhalb eines kürzeren Zeitraums Wache schieben müssen. Es ist also alles nicht so einfach. Doch dafür ist man nun einmal in der kaiserlich-deutschen Marine.

      Nach einer heißen, fast durchwachten Tropennacht an Bord des Kanonenboots Iltis bricht Wilhelm Kurz am Morgen wieder gen Georgetown auf. Im luxuriösen Kolonialhotel Eastern & Oriental will er sich mit dem deutschen Leiter der Niederlassung von Behn, Meyer & Co., Heinrich Adler, treffen, um aktuelle Informationen über sein Geheimziel zu erhalten.

      Diese Geheimoperation wird von Seiten der Reichsmarine sehr hoch gehängt. Das wurde Kapitänleutnant Kurz deutlich, als er kurz vor seiner Abreise nach Berlin zu einer persönlichen Unterredung mit dem einflussreichen Staatssekretär des Reichsmarineamts, Konteradmiral Alfred Tirpitz, gerufen wurde. Er soll das Ohr des Kaisers Höchstselbst haben, heißt es.

      Immer noch hat Wilhelm Kurz die schnarrende entschlossene Stimme des Admirals im Ohr.

      „Kapitänleutnant, ich muss Ihnen nicht noch einmal die Bedeutung Ihres Auftrags für die Zukunft unseres Vaterlandes ins Gedächtnis rufen. Die Operation unterliegt allergrößter Geheimhaltung. Besonders der Engländer darf davon keinen Wind bekommen. Wir müssen im Fall der Fälle schnellstens handeln. Die Firma Behn, Meyer & Co. hat schon auf eigene Rechnung die Vorverhandlungen für den Erwerb einer Kohlenstation auf der Insel Langkawi diskret durchgeführt. Auch gegenüber den lokalen Vertretern der Firma bleibt es dabei, dass Sie nur begutachten, ob dieser Landstreifen für die Marine geeignet ist oder nicht.

      Sie, Herr Kapitänleutnant, erhalten jetzt darüber hinaus von mir persönlich die Blankovollmacht, wenn sich das Zielobjekt als ...“

      Wilhelm Kurz weiß noch genau, wie er seinen Ohren nach den darauffolgenden Ausführungen nicht trauen wollte. Das könnte ungeahnte politische Verwicklungen bedeuten, ja bis hin zum Krieg, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Und das alles sollte auf seinen Schultern ruhen. Perplex blieb ihm nur mit einem „Jawohl, Herr Admiral“ dem Befehl zu gehorchen. Und nun befindet er sich hier vor Ort, um die Order umzusetzen. Welch eine Verantwortung!

      Behn, Meyer & Co. aus Hamburg, kurz BMC genannt, ist das größte und mächtigste Handelshaus in ganz Südostasien. Endlich einmal sind wir die Nummer eins in der Gegend, denkt Kurz mit Genugtuung. Im Volksmund wird die Firma auch Bismarck, Moltke & Co. genannt. Das ist ihrer seit langen bestehenden, exzellenten Beziehungen zur obersten politischen und militärischen Führung, zum Reichsgründer Bismarck und zum legendären preußischen Generalstabschef Moltke, geschuldet. Was sich diese Firma in den Kopf gesetzt hat, bekommt sie auch. So auch jetzt unter Admiral Tirpitz und Seiner Majestät Höchstselbst.

      Doch dann holt Wilhelm Kurz die Gegenwart wieder ein.

      Er ist fasziniert von dem Anblick des wunderschönen Eastern & Oriental Hotels, das schon eine Klasse für sich ist. Die Lage direkt an der Wasserfront und westlich von Penangs äußerem Hafen, wo die größeren Schiffe festmachen, ist hervorragend. Von der Terrasse kann man ungetrübt die Esplanade und Fort Cornwallis und die zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe betrachten. Für einen Moment bleibt Wilhelm Kurz in der Lobby des Hotels stehen. Der Adler soll ruhig noch ein bisschen warten, erst einmal wandern Wilhelm Kurz Blicke im Eingangsbereich

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