Die den Weg fanden. Группа авторов

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Die den Weg fanden - Группа авторов

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überrascht umgedreht, doch war weit und breit keiner. Und dann diese Zufälle der letzten Wochen: Dieses Sitzkissen, das er vierhundert Kilometer mit sich getragen hatte, bis es seinen Besitzer wiederfand. Und immer in den letzten Tagen, wenn er eine neue Herberge betrat und seinen Hut auf ein freies Etagenbett legte, immer lag dann anschließend dieselbe Frau in dem Bett unter ihm. Überhaupt war es seltsam, dass man immer wieder, ohne Absprache, dieselben Leute traf. Da er langsam ging, war er in den ersten Wochen oft von fußkranken Koreanerinnen und Japanerinnen begleitet worden sowie von asthmatischen Australierinnen. Nun hatte er sie irgendwie hinter sich gelassen. Irgendwann, hoffte er, nein, er war sich sicher, würde er sie wieder treffen. Man trifft sich immer wieder auf dem Camino, irgendwann, irgendwo, so Gott oder wer auch immer will. Nun aber ging er alleine und das tat gut und war seltsam ungewohnt zugleich.

      »Home is made for comin’ from for dreams of goin’ to, which with any luck will never come true …«

      Vor sich, noch weit entfernt, sah er einen blauen Punkt. Der alte Mann zog seine Schultergurte straff und erhöhte so seine Geschwindigkeit. Im Laufe der nächsten Stunde wurde der Punkt zu einer brasilianischen Flagge, befestigt an einem Rucksack, einem gewaltigen Rucksack, dessen Inhalt, wie er wusste, fast nur aus Medizin und medizinischen Instrumenten bestand. Und dann sah er wieder einmal den brasilianischen Arzt, der auf den Kanaren als Pathologe arbeitete. Er hatte sich am Wegesrand niedergelassen und versorgte zwei blasenkranke Pilger.

      »Dir geht’s gut, alter Mann?«, fragte der Arzt grinsend in Englisch.

      Er grinste zurück: »Du sollst mich nicht alter Mann nennen. Sonst verrate ich deinen Patienten, dass du normalerweise nur Leichen behandelst.«

      Der französische Patient, des Englischen kaum mächtig, sah ihn ratlos an. Die Schweizerin hatte Kopfhörer in den Ohren, bekam nichts mit von der tönenden Umwelt.

      Er ließ sich in den Staub fallen, schnallte den Rucksack ab, zog Schuhe und Strümpfe aus und richtete sie zum Trocknen in der Sonne aus. Aus einer Seitentasche holte er ein Baguette, in das er eine Salami hineingestoßen hatte, und eine Flasche Wein.

      »Trinkst du was mit?«

      Der Brasilianer schmunzelte: »Du bist der einzige, der eine Skijacke und eine Weinflasche auf dem Camino mit sich herumträgt«, und er griff nach der hingehaltenen Rotweinflasche und führte sie zum Mund, um sie dann an seine Patienten weiterzureichen.

      Die Schweizerin, eine blonde Frau von Mitte vierzig, nahm die Ohrstöpsel heraus und sah ihn eindringlich an.

      »Ist euch auch dieser Pilger vom Mittelaltermarkt begegnet?«, fragte sie in Deutsch mit starkem Akzent. »Er trägt immer noch dieses Kostüm von diesem Markt. Ist ohne einen Penny in der Tasche einfach losgegangen! Grauenvoll sieht er aus. Mir lief es eiskalt den Rücken runter! Ich bin sicher, der hat jemanden umgebracht. Der läuft den Camino sein Leben lang, ganz sicher!«

      »What she say?«, fragte der Brasilianer und schaute sie verständnislos an.

      »She has seen the death himself«, antwortete er schmunzelnd und sah den Weg hinunter.

      Er stand wieder auf, schnürte seinen Rucksack: Erst die Schultergurte, dann den Hüftgurt, dann lockerte er wieder die Schultergurte, so dass das Gewicht fast nur auf der Hüfte ruhte.

      »See you later«, sagte er und ging los. Jede kleine Pause bringt einen aus dem Tritt und es dauert Minuten, bis das Gehen wieder zum Automatismus wird.

      »When I get to heaven, tie me to a tree, or I’ll begin to roam and soon you know where I will be. I was born under a wand’rin star, a wand’rin, wand’rin star …«

      Gleich würde er es geschafft, würde er das Tagesziel erreicht haben. Die Spanier mit den Maultieren waren vermutlich schon im nächsten Ort angekommen und damit beschäftigt, ihr Zelt in der Nähe der Herberge aufzuschlagen. Er aber würde seinen Hut auf ein Bett werfen, den Schlafsack zum Lüften ausrollen, Schuhe und Strümpfe ausziehen, Duschen gehen. Bald würde es beginnen, das Schnarchen und Seufzen, das Knarren der Etagenbetten und ab vier, fünf Uhr morgens das Rascheln der Schlaf- und Rucksäcke und der Plastiktüten.

      Die wahren Qualen des Weges liegen nicht auf dem Weg selbst, sondern in den Schlafsälen.

      *

      *

      »Das Amt des Dichters ist nicht das Zeigen der Wege, sondern vor allem das Wecken der Sehnsucht.«

       Hermann Hesse, 1877 -1962

      *

      »Hinter unserem Dasein steckt etwas anderes, welches uns erst dadurch zugänglich wird, dass wir die Welt abschütteln.«

       Arthur Schopenhauer, 1788 – 1860

      *

       Isaban Sabine Römmer-Speer

       Wohl und Wehe

      Die nebligen Rinder zergehen zu Schemen,

      der Waldschattenriss wird zum Dunkel im Grau,

      ein Irgendwas scheint alles Leben zu lähmen,

      doch selbst dieses Irgendwas ist ungenau;

      den Hang hinab wuchert ein Allerleirauh.

      Du kennst alle Regeln und kannst dich benehmen,

      du liebst frischen Spargel und hasst Kabeljau,

      gebildet bist du, jeder hält dich für schlau;

      des Nachts träumst du wild, Wildes muss man bezähmen,

      so übst du seit Jahren tagtäglich Kotau.

      Die nebligen Rinder zergehen zu Schemen,

      der Waldschattenriss ist ein Dunkel im Grau,

      dein Alltag ist Droge und weiß dich zu lähmen;

      du wünschst dir so viel, doch entsagst dir, zu nehmen

      und das, was du hast, schmeckt entsalzen und lau.

      *

      *

      »Selbst ein Weg von tausend Meilen

       beginnt mit einem Schritt

       Japanische Weisheit nach Laotse, vermutlich um 500 v. Chr.

      *

      »Fast immer ist der richtige Weg

       der schwerste.«

       François Mauriac, franz. Schriftst.1885 – 1970

       *

      

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