2136. Tino Hemmann
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Simo sah die blutrote Sonne, die über dem Horizont aufstieg und die Landschaft in ein glühendes Feuer tauchte. Er lag im hohen Gras und beobachtete, dass die Menschen aus den runden Hütten gekrochen kamen, auf dem Platz niederknieten und sich zur aufgehenden Sonne hin verbeugten. Er hörte ihre singenden Stimmen – die von erwachsenen Männern und Frauen und auch die mehrerer Kinder. Alle trugen unterschiedliche Kleidung, alle hatten dunkles, langes Haar.
Plötzlich hörte Simo einen Educares brüllen: »Feuer! Schlachtet sie! Schlachtet sie alle!«
Hinter einem flachen Hügel tauchten Hunderte, wenn nicht gar Tausende Spunde auf, die Waffen gestreckt und unablässig auf die Bewohner der runden Hütten feuernd. Die rannten durcheinander, Frauen und Männer versuchten die Kinder zu decken, doch die Spunde machten alle nieder, rannten hinunter und schlachteten ab, was noch einen Lebenshauch besaß. In den Höllenjubel der Spunde mischte sich ein barbarischer Schrei …
Der Kleine kniete in seiner Koje, sein Kopf stieß gegen die Koje darüber. Simo brüllte, so laut ein Junge in seinem Alter nur brüllen konnte.
Alle anderen der Gruppe lagen oder saßen aufgeschreckt in ihren Kojen und glotzten in Simos Richtung, ohne dass sie ihn in der Dunkelheit sehen konnten.
Sein Tränenwasser lief ohne Unterlass und Simo, der erst in diesem Moment aus seinem Traum erwachte, kroch unter die dünne Decke und versteckte sich vor den unsichtbaren Blicken der anderen in einem Hort der Schwärze dieser Nacht. Schon einmal hatte er diesen Traum erlebt, schon einmal vor vielen Nächten. Doch heute schien er so real, dass Simo die Melodie der Singenden nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte.
Dann fühlte er eine Hand an seinem Hals, jemand kroch unter seine Decke und flüsterte in sein Ohr.
»Du verdreht?« Paul.
»Nicht verdreht. Träumerei war’s.«
»Arg?«
»Arger als arg«, hauchte Simo. »Tatsachen ins Auge sehend war’s. Glaubst’s nicht.«
»Weinst?«, fragte Paul. »War’s 35-Spundzweigboss-Marv? War’s er in Träumerei?«
»Nicht Marv war’s. Spunde haben’s viel g’schlacht. Arme Dunkle wie Paul, g’schlacht. Aus’m Morgenland warn’s. Kleine und Große. Spunde haben’s all g’schlacht.«
Paul lag dicht an Simos Seite, hatte einen Arm über Simo gelegt. »Freund bist, 17. Bester Freund bist«, flüsterte Paul plötzlich.
Simo war überrascht. »Hat’s Juli das g’sagt?«
Paul antwortete nicht, atmete nur gleichmäßig.
»Hat’s Juli das g’sagt?«, fragte Simo erneut, ein wenig zu laut.
Luka, der nebenan im Bett lag, schimpfte: »Halt dein Maul, 17, täppischer Spritzpimmel!«
Simo reagierte nicht darauf.
Paul flüsterte: »Nicht Juli. Paul das g’sagt, nur Paul, verstehst, Simo? Nur Paul.«
Minuten vergingen, dann erst fuhr Paul flüsternd fort: »Paul fürchtet, einer könnt’s mit Paul ’s Gleiche tun?«
»’s Gleiche?«, hauchte Simo.
»Was Paul mit Marv g’tan.«
Simo gähnte. »Zeit macht nicht Wunden heil«, flüsterte er. »Zeit macht neue Wunden.«
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