2136. Tino Hemmann

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2136 - Tino Hemmann

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Körper zitterte. Innerhalb weniger Minuten hatten sie ihm alles genommen. Jeden seiner Freunde.

      *

      Simo schaute auf die zitternden Spitzen seiner Finger. Er hatte Pelz und Shortshirts bis zur Hüfte abgestreift, lag auf dem Rücken unter einem uralten Baum und wischte das grauenvolle Bild von Mama und Lene aus den Gedanken.

      Als er das Ziel erreicht hatte, war seine Güte bis auf 84 gestiegen – so hoch wie noch nie. Er war schneller gerannt als jedes Tier! Nun musste er wieder zurücklaufen und sich bei 01-Spundgruppenführer-Elia melden. War noch Ausbildungszeit übrig, würde er zum Kampf-, Kraft- oder Ausdauersport geschickt werden. Dazu hatte der kleine Junge keine Lust. Viel lieber lag er unter diesem Baum.

      Im Himmel, weit über seinem Kopf, sah Simo plötzlich einen schwarzen Punkt, der sich stetig im Kreis bewegte und mit jeder Bewegung näherkam.

      Es war ein seltener Vogel, so groß, wie Simo noch nie einen gesehen hatte, und er gab schreiende Laute von sich.

      »Hiob! Hiob!«, rief der Steinadler. Und nach einigen Sekunden erneut: »Hiob! Hiob!«

      Blitzschnell stand Simo auf den Füßen, legte die Hände zu einem Trichter an den Mund und rief mit hoher Stimme »Hiob! Hiob! Hiob!« hinauf, als wäre dieser Vogel am Himmel sein Vater.

      Der Adler flog auf eine Felswand zu und landete geschickt in einem großen Horst, den Simo kaum erkennen konnte, weil er in einer Felsspalte versteckt gebaut war.

      Nach dieser Begegnung legte sich der Junge wieder auf den Rücken und schloss die Augen. Obwohl er nicht das geringste Geräusch gehört hatte, blickte er in ein Gesicht unmittelbar über dem seinen, als er Minuten später die Augen wieder öffnete. Das war Juli, der sich ebenso wie er den Pelz vom Kopf gezogen hatte.

      »Es tut mir leid, Simo. Ich wollte dich nicht beleidigen. Mit meinen Worten wollte ich dir auch nicht wehtun. Ich wollte dir anbieten, mein Freund zu sein. Nichts anderes habe ich vorgehabt. Sag mir, was daran schlimm sein könnte!«

      Simo spürte Julis Atem im Gesicht. Der musste auch sehr schnell gerannt sein, doch Simo merkte es ihm ansonsten kaum an.

      »Was bist wirklich, Juli?«, flüsterte der Kleine.

      Juli pustete Simo leicht ins Gesicht. »Kein Educares und kein Räudiger«, hauchte er.

      »Sag was bist, nicht was nicht bist.«

      Noch zögerte Juli. »Du wirst es wirklich niemandem erzählen?«

      »Hab Vogel g’sehn. So autonom er.« Der Kleine blinzelte und Juli über ihm musste wegen des Wortes »autonom« statt »allein« unweigerlich grinsen.

      »Autonom?«

      Simo blieb todernst. »Soll Freund von dir, doch vertraust nicht«, sagte Simo und pustete zurück. »Drum schweig besser.«

      Statt zu schweigen fragte Juli: »Wie kann nur ein so kleiner Junge, wie du einer bist, ewig und immer ernst und störrisch sein? Los, lach gefälligst, Simo!« Er griff dem Kleinen an die unterste Rippe und kitzelte ihn kräftig durch. »So oft habe ich dich weinen sehen, nun zeig mir, dass du auch lachen kannst!«

      Mit dem ganzen Körper zuckte Simo und wand sich auf dem weichen Boden. Doch er lachte nicht.

      Juli stach ihm mit den Fingern in die Seiten. »Lach endlich, du kleiner, verpisster Heulkotz! Los, lach!« Aus fünf Zentimetern Entfernung sah er wieder in Simos Gesicht. Doch Simo lachte nicht. Simo weinte. Das Heulwasser stand ihm regelrecht in den Aughöhlen.

      Resignierend ließ sich Juli neben Simo fallen, drehte sich auf den Rücken und schaute ebenfalls in den Himmel.

      »Warum weinst du gerade jetzt, Simo? Ich habe dich zum Spaß durchgekitzelt«, flüsterte er zwei Minuten später. »Warum lachst du dabei nicht? Jeder andere würde sich totlachen.«

      »Hab Freunde g’habt!«, sagte Simo. »Papa und Mama. Hab’s aber Namen vergessen. Weiß noch von drei Kleinen. Lene, Lina, Lena. Lene, Lina, Lena. Lene, Lina, Lena.

      Lene, Lina, Lena …« Wiederholt nannte Simo die Namen seinen kleinen Schwestern, bis er innehielt. »Sag’s immer wieder für mich, damit’s nicht auch vergess. Lene, Lina, Lena. Haben’s g’glättet, wehrlose Kleinen. Auch Papa. Auch Mama. Haben’s g’macht, die Spunde, die ausschau’n wie ich. Wie du. Paul ist Gefährte mir. Begleiter, Kamerad, Bruder. Paul kein Freund nicht. Ist Paul nicht Spund noch, dann möglich Paul Freund von Simo.«

      »Wenn Paul so etwas wie dein Bruder ist, dann ist er mit ziemlich großer Sicherheit auch dein Freund«, widersprach Juli. »Nachts, wenn Paul die Shortshirts nicht anhat, ist er dann noch ein Spund? Oder ist er dann ein Junge? Ist Paul nachts dein Freund? Wenn am Himmel ein Gewitter aufzieht, ist der Himmel dann ein Gewitter oder immer noch der Himmel?«

      Der Kleine blickte hinauf in den Himmel. Eine Weile dachte er über Julis Worte nach, sprach jedoch nicht.

      »Ich will dir was sagen, Simo: Paul ist dein Freund, auch wenn du ihn als Spund siehst.«

      Sekunden vergingen.

      »Meinst?«, flüsterte Simo schließlich.

      »Ganz sicher.«

      Beide schwiegen und sahen hinauf in die Krone des riesigen alten Baumes, der einhundertzwanzig Kriegsjahre überstanden hatte.

      »Vertraust mir?«, fragte Simo schließlich. »Hast vor 14-Spund-Thom schon was erlegt? Vertraust mir und sprichst nicht, was bist?«

      Juli musste die Worte erst sortieren. »Ich habe noch nie jemanden getötet, Simo. Das mit Thom war ein Unfall. Und er passierte, weil ich dir das Leben retten wollte. Ich bin kein Räudiger. Ich kann keiner sein, weil ich – ebenso wie mein Familie – nie abtrünnig war. Ich bin kein Educares, weil ich aus dem Leib meiner Mutter schlüpfte. Ich bin ein Mensch, verstehst du? Nur ein stinknormaler Mensch!«

      Simo hob den Oberkörper an, drehte sich und kniete plötzlich über Juli. Er drückte die Arme des deutlich stärkeren Jungen an den Handgelenken auf den Boden. »’s deucht, du erdichtest was.« Er stemmte Juli die Knie in die Seiten. »Elender Fabulant! Das gibt nur Weibsbürzel und Tierschwänze. Was sonst?«

      »Es gibt noch wesentlich mehr als das, was in deinem kleinen Dickschädel ist, Simo. Sag, kennst du die Kuppelstädte?«

      »Die Schneekugler?«

      Der Große lachte, als machte er sich über den Kleinen lustig. »Es hat noch nie in einer der Kuppelstädte geschneit, das kann ich mit Sicherheit behaupten. Ihr Räudiger mit eurer verwunderlichen Sprache!« Juli ließ Simo gewähren und warf ihn nicht von sich herunter. »Von mir aus: Kennst du die Schneekugelstädte? Eine davon heißt Neuparis. Sie haben jede Kuppelstadt nach einer im Krieg zerstörten Großstadt Europas benannt. Die Städte unter den Kuppeln haben eigenes Wetter, eigene Luft, eigene Gesetze und eigene Menschen. Für die Demokraten sind nur die Kugelstädte die Republik. Die Menschen dort wurden ausgewählt, mussten sich zur Europäisch Demokratischen Republik bekennen und haben für sie zu arbeiten. Alle Staatseigenen sind gechippt. Sie erhalten Waren und Lebensmittel für ihren Bedarf zugeteilt und dürfen Familien gründen. Ein Paar darf zwei Kinder haben, doch die Geschlechter der Nachkommen werden nach einem statistischen Verfahren bestimmt. Ein Fötus, der nicht …«

      »Was

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