Die Forsyte-Saga. John Galsworthy
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Читать онлайн книгу Die Forsyte-Saga - John Galsworthy страница 23
Unter der demantharten Decke seines Selbsterhaltungstriebes war viel echte Weichheit in James. Ein Besuch bei Timothy war wie eine Stunde auf dem Schoß einer Mutter; und sein tiefes Verlangen nach Schutz unter den Fittichen der Familie wirkte darum auch auf seine Empfindungen den eigenen Kindern gegenüber zurück. Wie ein Alp bedrückte es ihn, sie mit ihrem Vermögen, ihrer Gesundheit oder ihrem Ruf dem Treiben der Welt ausgesetzt zu sehen. Als der Sohn seines alten Freundes John Street als Freiwilliger eintreten wollte, schüttelte er bedenklich den Kopf und wunderte sich, daß John Street seine Einwilligung dazu gab. Und als der junge Street dann, durch einen Wurfspeer der Wilden getroffen, fiel, nahm er es sich so zu Herzen, daß er überall eigens zu dem Zweck Besuche machte, seine Empörung auszusprechen und zu sagen, daß er gewußt, wie es hatte kommen müssen.
Als sein Schwiegersohn Dartie damals infolge seiner Ölspekulationen jene verhängnisvolle geschäftliche Krisis durchzumachen hatte, war James vor Ärger krank geworden; ihm war, als würde aller Wohlstand zu Grabe geläutet, und es kostete ihn drei Monate und eine Reise nach Baden-Baden, um sich zu erholen; in dem Gedanken, daß ohne sein Geld Darties Namen vielleicht auf die Konkursliste gekommen wäre, lag etwas Furchtbares.
Da er sich einer so gesunden Konstitution erfreute, daß er, wenn er Ohrenschmerzen hatte, schon zu sterben wähnte, betrachtete er gelegentliche Unpäßlichkeiten seiner Frau und Kinder als persönliche Kränkung, als besondere Eingriffe der Vorsehung, um seinen Seelenfrieden zu stören. Aber bei Leuten außerhalb seiner unmittelbaren Familie glaubte er überhaupt nicht an Krankheit und schob die Schuld in jedem Fall auf ein vernachlässigtes Leberleiden.
»Was erwarten sie denn,« pflegte er zu sagen, »mir geht's ebenso, wenn ich nicht vorsichtig bin!«
Als er an diesem Abend zu Soames ging, fand er, daß das Leben ihm hart mitspielte. Emily lag mit ihrem kranken Fuß zu Bett, und Rachel kutschierte auf dem Lande umher; um ihn kümmerte sich keiner. Ann war krank – sie würde den Sommer wohl kaum überstehen – dreimal war er nun bei ihr gewesen, ohne daß sie ihn hatte sehen können! Und diese Idee von Soames ein Haus zu bauen, da mußte man doch aufpassen. Dann aber diese Sorge um Irene, was sollte daraus noch werden – es konnte alles Mögliche daraus entstehen!
Er betrat das Haus am Montpellier Square Nummer 62 mit der festesten Absicht, sich unglücklich zu fühlen.
Es war schon halb acht, und Irene saß, zum Essen angekleidet, im Wohnzimmer. Sie trug ihr goldfarbenes Kleid – denn nachdem sie bei einem Diner und einem Ball damit geprunkt hatte, mußte es im Hause aufgetragen werden – und hatte den Busen mit einer Kaskade von Spitzen geschmückt, an denen James' Blicke sofort haften blieben.
»Wo kaufst du deine Sachen?« fragte er lebhaft. »Rachel und Cicely sehen nie auch nur halb so gut aus. Aber diese Spitze mit dem Rosenmuster da – die ist nicht echt!«
Irene trat dicht an ihn heran, um zu beweisen, daß er sich irre.
Und wider Willen empfand James den Einfluß ihres Wesens, des leisen verführerischen Duftes, der von ihr ausströmte. Kein Forsyte, der einige Selbstachtung besitzt, ergibt sich mit einem Schlage, darum sagte er nur: Kann sein – sie mußte wohl ein schönes Stück Geld für ihre Toilette ausgeben.
Der Gong ertönte, Irene schob ihren weißen Arm in den seinen und führte ihn ins Speisezimmer. Sie wies ihm Soames' gewöhnlichen Platz an der Seite zu ihrer Linken an. Das Licht fiel nur schwach dahin, so daß das allmähliche Verlöschen des Tages ihn nicht belästigen konnte; dann fing sie an mit ihm über sich selbst zu sprechen.
Mit James ging alsbald eine Veränderung vor, wie mit einer Frucht, die in der Sonne reift. Er fühlte sich wie geliebkost, gelobt und getätschelt, und alles das, ohne eine einzige Zärtlichkeit oder ein Wort des Lobes von seiner Seite. Er hatte ein Gefühl, daß alles, was er aß, ihm zuträglich war; zu Haus hatte er nie diese Empfindung; er erinnerte sich nicht, daß ihm jemals ein Glas Champagner so gut geschmeckt hatte, und als er sich nach der Marke und dem Preis erkundigte, überraschte es ihn zu hören, daß es derselbe war, von dem er einen großen Vorrat besaß, jedoch zu Haus nie trinken konnte. Er beschloß sogleich seinem Weinhändler zu melden, daß er betrogen worden war.
Von seinem Teller aufblickend bemerkte er:
»Ihr habt hier eine Menge hübscher Sachen. Was zahltet ihr zum Beispiel für diesen Zuckerstreuer? Wird wohl schweres Geld gekostet haben?«
Besonders gut gefiel ihm ein Bild an der gegenüberliegenden Wand, das er selbst ihnen geschenkt hatte.
»Ich hatte keine Ahnung, daß es so gut ist!« sagte er.
Sie erhoben sich, um ins Wohnzimmer zu gehen, und James folgte Irene auf dem Fuße.
»Das nenne ich ein ausgezeichnetes kleines Diner,« murmelte er leise und beugte sich auf ihre Schultern herab, »nichts Schweres – und nicht zu sehr französiert. Aber zu Haus bekomme ich es nicht so. Ich zahle meiner Köchin sechzig Pfund das Jahr, aber sie kann mir kein Mittagessen bereiten wie dieses!«
Er hatte bis jetzt noch nichts von dem Bau des Hauses erwähnt und tat es auch nicht, als Soames sich unter dem Vorwand von Geschäften nach oben in das Zimmer begab, wo er seine Bilder aufbewahrte.
James blieb mit seiner Schwiegertochter allein. Die Glut des Weines und eines ausgezeichneten Likörs wirkte noch in ihm nach. Er hatte ein herzliches Gefühl für sie. Sie war wirklich ein reizendes kleines Geschöpf, hörte einem zu und schien auch zu verstehen was man sagte; und während der Unterhaltung betrachtete er beständig ihre Figur, von den bronzefarbenen Schuhen bis zu dem welligen Gold ihres Haares. Sie saß leicht zurückgelehnt in einem Empiresessel, an dessen oberen Rand die Schultern sich stützten – die biegsame Gestalt wiegte sich bei jeder Bewegung frei in den Hüften, als überließe sie sich den Armen eines Geliebten. Ihre Lippen lächelten und die Augen waren halb geschlossen.
Vielleicht war es die Erkenntnis einer Gefahr in dem Zauber ihrer Erscheinung oder auch eine Verdauungsbeschwerde, die James plötzlich zum Schweigen brachte. Er erinnerte sich nicht, jemals mit Irene allein gewesen zu sein. Und als er sie anblickte, überkam ihn ein sonderbares Gefühl, als begegne ihm etwas Seltsames und Fremdes. Woran dachte sie wohl – während sie so zurückgelehnt dasaß?
Als er wieder zu sprechen anfing, klang seine Stimme schärfer, als sei er aus einem angenehmen Traum erwacht.
»Was tust du eigentlich den ganzen Tag hindurch?« sagte er. »Du kommst niemals zu uns herüber!«
Sie brachte einige sehr lahme Entschuldigungen vor, und James sah sie nicht an. Er wollte nicht glauben, daß sie ihnen wirklich aus dem Wege ging – es wäre doch zu arg.
»Vermutlich hast du keine Zeit,« sagte er, »du bist ja immer mit June unterwegs, stehst ihr wohl bei, nimmst sie und ihren Bräutigam unter deinen Schutz und anderes mehr. Sie soll jetzt nie zu Haus sein; dein Onkel Jolyon liebt es, glaube ich, gar nicht, so viel allein gelassen zu werden. Sie soll immer um diesen jungen Bosinney sein; er kommt wohl jeden Tag hierher.