Die Forsyte-Saga. John Galsworthy

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Die Forsyte-Saga - John Galsworthy

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      »Ich kann hier nicht länger bleiben,« dachte er, »ich muß wieder hinunter!« Er verließ das Zimmer ohne ein Wort und ging zurück auf den Rasenplatz.

      Sein Vater hielt Klein-Holly auf den Knieen, und Jolly, ganz rot im Gesicht, versuchte zu zeigen, daß er auf dem Kopfe stehen könne. Dem Teetisch so nahe, wie es möglich war, hielt Balthasar, der Hund, die Augen fest auf den Kuchen gerichtet.

      Der junge Jolyon hatte ein boshaftes Verlangen, ihrem Vergnügen ein Ende zu machen.

      Was mußte sein Vater heute auch hierher kommen und seine Frau aus der Fassung bringen? Es erschreckte sie nach all diesen Jahren! Er hätte es wissen können, hätte sie darauf vorbereiten sollen. Aber wann hätte ein Forsyte sich je vorgestellt, daß sein Verhalten jemand außer Fassung bringen konnte! Und in Gedanken tat er seinem Vater unrecht.

      Er sprach streng zu den Kindern und befahl ihnen, zum Tee hinauf zu gehen. Sehr erstaunt, denn sie hatten ihren Vater noch niemals so streng gesehen, gingen sie Hand in Hand davon, und Klein-Holly blickte über ihre Schulter noch einmal zurück.

      Der junge Jolyon schenkte den Tee ein.

      »Meine Frau ist heute nicht ganz auf dem Posten,« sagte er, wußte jedoch sehr wohl, daß sein Vater die Ursache ihres plötzlichen Sichzurückziehens durchschaut hatte und haßte den alten Mann beinah dafür, daß er so ruhig sitzen blieb.

      »Du hast hier ein hübsches kleines Haus,« sagte der alte Jolyon mit einem schlauen Blick, »du hast es wohl gemietet?«

      Jo nickte.

      »Die Nachbarschaft gefällt mir nicht,« sagte sein Vater, »eine heruntergekommene Gesellschaft.«

      »Ja,« erwiderte der junge Jolyon, »wir sind eine heruntergekommene Gesellschaft.«

      Die Stille wurde jetzt nur durch das Scharren des Hundes unterbrochen.

      »Ich hätte vielleicht nicht herkommen sollen, Jo,« sagte der alte Jolyon einfach, »aber ich bin jetzt so einsam!«

      Bei diesen Worten stand Jo auf und legte die Hand auf die Schulter seines Vaters.

      Im Nebenhause spielte jemand unaufhörlich: ›La Donna e mobile‹ auf einem verstimmten Klavier; der kleine Garten lag jetzt im Schatten, die Sonne erreichte nur noch den Rand der Mauer, wo eine Katze lag und sich wärmte, die gelben Augen träge auf den Hund Balthasar gerichtet. Man hörte von fern das schläfrige Gesumm des Straßenverkehrs; der mit Schlingpflanzen überwachsene Gartenzaun versperrte die Aussicht auf alles, bis auf den Himmel, das Haus und den Birnbaum, dessen oberste Zweige die Sonne noch vergoldete.

      Eine Weile saßen sie da, ohne viel zu sprechen. Dann erhob sich der alte Jolyon um zu gehen, und kein Wort von Wiederkommen wurde gesagt.

      Er ging sehr traurig fort. Was für ein elender, armseliger Ort. Und er dachte an das große leere Haus in Stanhope Gate, eine Wohnung, wie sie einem Forsyte zukam, mit seinem großen Billardzimmer und dem Wohnzimmer, das von einer Woche zur andern niemand betrat.

      Die Frau, deren Gesicht er ganz gern mochte, war viel zu zart besaitet; sie machte Jo sicher das Leben schwer! Und diese süßen Kinder! Ach, welch furchtbare Torheit!

      Er ging zwischen Reihen kleiner Häuser, hinter all denen er (wahrscheinlich ganz unberechtigt, aber die Vorurteile eines Forsyte sind geheiligt) irgend eine dunkle Geschichte vermutete.

      Die Gesellschaft, nein, Klatschbasen und Schwätzerinnen, hatten sich über sein Fleisch und Blut zu Gericht gesetzt! Ein Haufen alter Weiber! Er stieß seinen Schirm auf den Boden, als wolle er ihn jener ganzen erbärmlichen Gesellschaft ins Herz bohren, die es gewagt hatte, seinen Sohn und seines Sohnes Sohn, in dem er wieder hätte aufleben können, in die Acht zu erklären!

      Er stieß heftig mit dem Schirm auf; und doch hatte er selbst sich vor fünfzehn Jahren dem Urteil der Gesellschaft angeschlossen – war ihm erst heute untreu geworden!

      Mit all der alten Bitterkeit dachte er an June, ihre tote Mutter und die ganze Vergangenheit. Eine unselige Geschichte!

      Er brauchte lange Zeit, bis er nach Stanhope Gate kam, denn obwohl er äußerst müde war, ging er aus angeborenem Eigensinn den ganzen Weg zu Fuß.

      Nachdem er sich unten in der Toilette die Hände gewaschen hatte, begab er sich ins Speisezimmer, der einzige Raum, den er benutzte, wenn June fort war – es war ihm dann weniger einsam. Das Abendblatt war noch nicht gekommen, die Times hatte er gelesen, er hatte also nichts zu tun.

      Das Zimmer lag abseits vom Straßenverkehr und war sehr ruhig. Er mochte keine Hunde, aber selbst ein Hund wäre jetzt eine Gesellschaft gewesen. Sein Blick wanderte an den Wänden entlang und blieb auf einem Bilde mit dem Titel: ›Holländische Fischerboote bei Sonnenuntergang‹ haften; es war das Meisterstück seiner Sammlung. Aber es machte ihm keine Freude. Er schloß die Augen. Er fühlte sich einsam! Er durfte sich nicht beklagen, das wußte er, aber er konnte nicht anders: er war ein erbärmlicher Wicht – war es immer gewesen – er hatte keinen Mut! Das ging ihm durch den Kopf.

      Der Butler kam, um den Tisch zu decken und da er glaubte, daß sein Herr schlief, befleißigte er sich der äußersten Vorsicht in seinen Bewegungen. Der Mann trug außer einem Backenbart auch einen Schnurrbart, der vielen Familienmitgliedern, besonders denen, die wie Soames höhere Schule besucht hatten und in solchen Dingen auf das Vorschriftsmäßige sahen, Anlaß zu ernsten Bedenken gegeben hatte. War er denn wirklich ein Butler? Mutwillige Geister nannten ihn: ›Onkel Jolyons Nonkonformist‹, und George, der anerkannte Witzbold, hatte ihm den Namen der ›Scheinheilige‹ gegeben.

      Er bewegte sich mit unnachahmlicher Gewandtheit leise zwischen dem großen polierten Büfett und dem großen polierten Tisch hin und her.

      Der alte Jolyon, der sich schlafend stellte, beobachtete ihn. Der Mensch war ein Schleicher – es war ihm immer so vorgekommen – der keinen andern Gedanken hatte, als schnell mit seiner Arbeit fertig zu werden und dann zu seinen Wetten oder seinem Schatz oder der Himmel weiß was hinaus zu kommen. Ein Faulenzer! Auch noch fett dazu! Und er machte sich nicht das geringste aus seinem Herrn!

      Aber dann kam wieder einer jener philosophischen Augenblicke, die den alten Jolyon von andern Forsytes unterschieden:

      Warum sollte der Mann sich schließlich etwas aus ihm machen? Dafür wurde er nicht bezahlt, also weshalb es denn erwarten? Man konnte in dieser Welt nicht auf Anhänglichkeit rechnen, wenn man nicht dafür zahlte. In einer andern war es vielleicht nicht so – vielleicht, wer weiß? Und wieder schloß er die Augen.

      Unentwegt und vorsichtig fuhr der Diener in seiner Arbeit fort, während er aus verschiedenen Fächern des Büfetts die Sachen nahm. Sein Rücken schien stets seinem Herrn zugewandt; auf diese Weise nahm er seinen Verrichtungen in dessen Gegenwart das Ungeziemende. Ab und zu hauchte er verstohlen auf das Silber und rieb es mit einem Stück gelben Leders ab. Es sah aus, als wären seine Gedanken ausschließlich auf den Inhalt der Weinkaraffen gerichtet, die er vorsichtig und ziemlich hoch herbeitrug, wobei er seinen Bart schützend über sie niederhängen ließ. Als er fertig war, blieb er eine Minute lang stehen und beobachtete seinen Herrn mit einem verächtlichen Blick in den grünlichen Augen:

      Der war doch eigentlich nur ein sonderbarer alter Kauz, mit dem nicht viel mehr anzufangen war!

      Leise wie ein Kater ging er quer durchs Zimmer, um zu klingeln. Ihm war angesagt: »Mittagessen um sieben Uhr.« Wenn sein Herr nun auch schlief, das wollte er ihm bald vertreiben;

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