Lady Bartons Rache. Barbara Cartland
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Als das alles verkauft war, mußte sie die Bettwäsche gegen Lebensmittel enttäuschen. Damals hatte sie schon erkannt, daß eines Tages auch ihre Aussteuer aufgebraucht sein würde und sie mit leeren Händen dastünde.
In ihrer Verzweiflung hatte sie Anfang dieser Woche den Entschluß gefaßt, aus dem Leben zu scheiden.
Sie sah in ihrer jetzigen Lage keine Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und die Leute im Dorf konnten sie auch nicht aufnehmen, denn sie waren selbst arm. Sie lebten von dem Obst und Gemüse, das sie selbst anbauten und auf dem Markt verkauften, der jeden Sonnabend in der kleinen Stadt drei Meilen entfernt stattfand.
Wenn Valessa genügend Geld für eine Fahrkarte nach London hätte aufbringen können, dann hätte sie sich dort um eine Arbeit bemüht. Allerdings bezweifelte sie, daß jemand sie einstellen würde, und hatte auch viel zu viel Angst, allein auf Reisen zu gehen.
Als ihr Vater und ihre Mutter noch lebten, war das etwas anderes gewesen. Da hatte man sie beschützt und sich um sie gekümmert.
Kurz vor Ausbruch der Krankheit ihrer Mutter war ihr bewußt geworden, daß die Männer sie mit Blicken ansahen, die ihr angst machten. Sie brachten ihr nicht mehr nur Schokolade und kleine Geschenke mit, sondern legten auch den Arm um sie und versuchten, sie zu küssen, was ihren Vater sehr erzürnt hatte.
»Laß meine Tochter in Ruhe!« pflegte er zu sagen.
»Dazu ist sie zu hübsch«, hatte ein Mann erwidert. »Du mußt sie in einen Käfig einsperren, wenn sie älter wird, Charles!«
»Auf jeden Fall werde ich Casanovas wie dich von ihr fernhalten!« hatte ihr Vater geantwortet.
Valessa erinnerte sich, daß alle darüber gelacht hatten.
Danach war sie jedes Mal früh zu Bett geschickt worden, wenn ihre Eltern Gäste empfingen.
Als sie in Frankreich waren, durfte sie niemals allein ausgehen, sondern nur in Begleitung Erwachsener.
Wenn sie sich jetzt so im Spiegel betrachtete, dann bezweifelte sie stark, daß noch irgendjemand sie hübsch finden würde, so abgemagert wie sie war, mit den übergroß wirkenden Augen, die das ganze Gesicht zu beherrschen schienen.
Der ständige Hunger, der sie quälte, machte es ihr schwer, überhaupt noch zu lächeln; das Lachen hatte sie längst verlernt.
Ihr Haar hatte früher geglänzt wie gesponnenes Gold, jetzt hing es stumpf und strähnig herunter.
Ihre Augen blitzten nicht mehr so lebhaft wie einst die ihrer Mutter.
Bedächtig, weil ihr jede hastige Bewegung schwerfiel, obwohl sie im Augenblick gesättigt war, begann Valessa sich anzukleiden. Die Kleider, die im Garderobenschrank hingen, waren alle alt und abgetragen, und sie überlegte, welches wohl noch am hübschesten aussehen würde, wenn man sie früher oder später aus dem Fluß zog.
Am wahrscheinlichsten war, daß spielende Kinder sie als erste entdeckten oder vielleicht ein Landarbeiter auf der Suche nach einem Kaninchen oder Hasen für den Kochtopf.
Valessa hatte ebenfalls versucht, eine Kaninchenfalle im Garten aufzustellen, aber sie hatte kein Glück gehabt. Nur eine Krähe hatte sich in der Schlinge verfangen, und diese schwarzen Vögel bedeuteten bekanntlich Unglück. Deshalb hatte sie das Tier befreit und erleichtert aufgeatmet, als es davongeflattert war.
Später erst überlegte sie, daß sie sich vielleicht eine Mahlzeit von der Krähe hätte bereiten können, bezweifelte jedoch, daß das zähe Fleisch genießbar gewesen wäre.
Seufzend griff sie nach dem besten Kleid, das ihr noch geblieben war. Es hatte ihrer Mutter gehört und war ihr viel zu weit, doch sie würde darin wenigstens nicht so armselig aussehen, wenn sie tot war.
Außer der Garderobe ihrer Mutter hatte sie alle Kleider verkauft und herzlich wenig dafür bekommen. Ihre eigenen Kleider war sie schon deshalb nicht losgeworden, weil niemand so schlank war wie sie.
Das einzige einigermaßen ansehnliche Kleidungsstück, das sie besaß, war ein warmer, weiter Mantel, den sie auf ihrem Weg zum Fluß tragen wollte.
Mehrmals hatte sie mit dem Gedanken gespielt, auch ihn gegen ein Stück Fleisch einzutauschen, doch dann überlegte sie sich, daß es auf dem Weg zum Fluß kalt sein könnte und sie Gefahr lief, unterwegs vor Erschöpfung und Kälte zusammenzubrechen und ihr Ziel nie zu erreichen.
Sie konnte nicht schwimmen, und der Fluß führte nach dem anhaltenden Regen im vergangenen Monat genügend Hochwasser, um kurz vor der Schleuse für ihr Vorhaben tief genug zu sein. Der vollgesogene Mantel würde sie dann auch schneller in die Tiefe ziehen, als es ohne ihn der Fall wäre.
Jemand hatte einmal gesagt, der Tod durch Ertrinken sei eine schnelle und angenehme Todesart.
Valessa hatte auch gehört, daß dabei das Leben kaleidoskopartig an einem vorüberziehe und man sich all seiner Sünden und Verdienste im Leben erinnere.
Wenn sie es sich recht überlegte, glaubte sie nicht, mit irgendwelchen Sünden aufwarten zu können, aber vielleicht gab es da eine Überraschung.
Sie knöpfte das Kleid zu, ordnete vor dem Spiegel ihr Haar und ging dann mit entschlossenen Schritten auf den Schrank zu, um den Mantel herauszuholen.
Mittlerweile war es fast Mittag, und da sie keinen Bissen mehr zu essen hatte, sagte sie sich, daß es höchste Zeit wurde, zum Fluß zu gehen. Je eher sie es hinter sich brachte, desto besser.
Sie nahm gerade den Mantel vom Haken, als sie zu ihrem Erstaunen ein Klopfen an der Haustür vernahm.
Sie überlegte, wer das sein könnte.
In der vergangenen Woche hatte niemand sie besucht, und das einzige Mal, daß sie mit jemandem gesprochen hatte, war bei ihrem Gang durchs Dorf gewesen.
Der kleine Ort war etwa eine Viertelmeile von ihrem Haus entfernt, und das war ihr mittlerweile zu weit und zu beschwerlich geworden.
Gestern hatte sie sich noch einmal aufgerafft, um sich die Eier zu holen, die sie heute morgen verspeist hatte.
Erneut ertönte ein Klopfen an der Haustür. Sie legte den Mantel aufs Bett, lief die Treppe hinunter und durch den Flur zur Haustür, um sie zu öffnen.
Draußen standen drei Gentlemen in Jagdröcken, dahinter drei Pferde und zwei Reitknechte.
Dann sah sie, daß einer der Herren eine Dame in Reitkleidung auf den Armen trug.
»Dürfen wir eintreten?« fragte einer der Fremden. »Lady Barton ist gestürzt und hat sich ziemlich schwer am Arm verletzt. Ihr Haus lag der Unfallstelle am nächsten.«
Valessa machte die Tür weiter auf.
»Ja, selbstverständlich«, sagte sie.
Valessa ging voraus, um den unverhofften Besuchern die Tür Zinn Salon zu öffnen. Erst jetzt sah sie, daß Blut von Lady Bartons Hand auf den Fußboden tropfte.
Im Salon gab es nur noch ein schäbiges Sofa, das sie aus einem der Schuppen hierher gezerrt hatte, nachdem das Zimmer völlig ausgeräumt worden war.
Damit