Der Bergfrauendoktor. Thomas Schmidt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Bergfrauendoktor - Thomas Schmidt страница 3
Wir trafen uns im kleinen Park Ich fragte: Lust auf Mäusejagd? Sie reichte mir die Tatze Und fragte: Lust auf Katze?
Das Telefon schrillt nun seit zehn Minuten. Das ist sehr lang. Stürzel seufzt. Es ist ein beinahe endloses Seufzen.
‚Das Grauen ist Routine geworden.‘, sagt er zu sich selbst.
Er stolpert durch ein Leben, gegen das Hiob seines nicht tauschen würde.
„Stürzel hier. Was gibt’s, wo drückt der Schuh?“
„Herr Doktor … Es stirbt.“
„Herr Huber,“, sagt Stürzel, „es stirbt nicht.“
„Ich kann es nicht mehr fühlen. Da muss sich etwas entzündet haben. Vielleicht ein bisschen Salbe drauf …“
„Herr Huber, wie oft soll ich es Ihnen noch sagen. Ich behandle Sie nicht. Ich bin Bergfrauendoktor.“
„Was gegen das Jucken …“
Herr Huber leidet an einer gefestigten Weibsbildanomalie. Er redet sich ein, eine junge Lolita zu sein.
Eines Tages war Huber aufgewacht und seine Lust auf Frauen war wie verschluckt. Noch besser: Er hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, selbst Frau zu sein und als solche begehrt.
Ob er den Roman gelesen habe, wollte Stürzel einmal wissen – aber der Huber kann gar nicht lesen. Zumindest keine Bücher. Den Himmel, den ja, da weiß der Huber immer wo es herkommt, das verfluchte Sauwetter. Nämlich von Grönland. Da wird der Wind, wenn er über die schneidigen Wipfel schrammt, so grausam runter gekühlt, dass es manchmal gefrorene Gänse regnet.
Herr Huber hat eine Frau.
„Sexuell geht schon lang nichts mehr.“, sagt der Huber.
Früher, da hat er sich manchmal von hinten an sie ran geschlichen, wenn sie gerade im Stall ausgemistet hat. Und dann hat er ihr unter den Kittel gegriffen.
„Da war aber nichts was man greifen konnte.“, sagt der Huber. „Irgendetwas war da, aber es war nicht von dieser Welt.“
Ein Prickeln von oben nach unten – die erste Nacht als Lolita. Er zieht sich ein altes Kleid über, schlüpft in die gelben Gummistiefel. Er kichert – ein Kichern wie chronischer Husten. In Hubers Ohren ist es ein glockenhelles Kichern, lasziv und frühweiblich. Er beginnt den Stall auszumisten, wobei ihm immer wieder das Kleid hochrutscht beim Bücken. Und er muss sich oft bücken, weil die imaginären Lockenwickler einfach nicht halten wollen.
Reib mich am Menschen An seinem Bein Reib mich an Bäumen Im Sonnenschein.
Träume sind ja so eine Sache. Jeder macht dahingehend seine eigenen Erfahrungen und wenn es daran geht, einen Traum zu beschreiben, fällt einem meist nichts Gescheites ein.
‚Wirres Zeug.‘, sagt man oder: ‚Ich bin geflogen und es war recht schön.‘
Weil man ja nicht fliegen kann im regulären Alltag – nur im Flieger oder von der Schule. Das genießt er dann, der Mensch. So eine Sache, das könnte man öfter haben.
Was jeder kennt, eine Berühmtheit unter den Träumen, ist der Sturz vom Fahrrad. So im Halbschlaf, wenn es einen hineindrückt in die Traumwelt, wenn man noch nicht ganz im Traum drin ist, aber bereits mit den Füßen. Man schreckt dann regelrecht hoch und macht eine seltsame Verrenkung im Bett. Kann man sich wehtun, wenn der Kopf sich zu nah an der Wand befindet. Die Nase brechen zum Beispiel. Alles schon da gewesen.
Stürzels Träume tun allein vom Hörensagen weh. Zum Beispiel letzte Nacht. Da ist ihm wieder einer untergekommen. Eine Abart von einem Traum.
Stürzel hockt auf einem Traktor, obwohl er kein Traktorfahrer ist – muss er ja auch nicht als Gynäkologe. Die Berge ringsum sind unscharf gezeichnet und zittern als zeige ein Alkoholiker die Postkarte einer Bergkette vor. Unter ihm eine Art Feldweg, aber eher von der Sorte Daumenkino. Jedes Bild für sich und man weiß nie, ob es sich ausgeht mit dem Tempo und dem Effekt. Wände werden verschoben, weit hinten steigt etwas und kurz wird alles durcheinander gemischt: Farbstrudel, aber ein kalter.
Stürzel rattert über Wiesen und Felder.
Plötzlich: Katharina die Große. Neben ihm auf dem Traktor. Wie eine Marionette, die ihren Auftritt hat. Aus dem Himmel springt ein schwarzer Hengst, streift die Kaiserin seitlich, lässt ihr Kleid flattern.
„Untersuchens mich, Herr Doktor!“
Ihre Lippen bewegen sich nicht.
Stürzel steht über die Königin gebeugt.
„Greifens mich an!“
Die Kaiserin hebt das mächtige Gewand.
Zwischen ihren Beinen liegt das Dorf. Und als Stürzel genauer hinschaut, kann er sich selbst sehen als kleines Männchen, wie er eine Scheune anzündet.
Und damit ist Stürzel aufgewacht.
„Stürzel hier. Was gibt’s, wo drückt der Schuh?“
„Rohrbisler hier!“, flötet es.
„Ah, der Herr Rohrbisler.“
„Herr Doktor,“, säuselt die Stimme, „ich brauche Ihre Hilfe. Eine technische Sache. Wo Sie doch so ein technischer Hochgeist sind. Man sieht es an Ihrem Stuhl.“
Franz Rohrbisler ist in etwa so alt wie Stürzel, aber viel kleiner und gedrungener: ein hochgewachsener Zwerg mit einer kreisrunden Glatze, seitlich von schwarz gefärbten Einzelhaaren umzäunt.
Stürzel überlegt kurz, ihm fällt auf die Schnelle keine Ausrede ein.
„Um was geht es denn?“
„Sehen Sie selbst, schauen Sie nach. Keine Angst, ich werde Sie nicht verschleppen. Sie sind doch der Doktor, der große, kräftige Doktor … Was kann ich schon gegen Sie …“
Der Rohrbisler klingt wie Graf Dracula, wenn er zu wenig Blut getrunken hat.
„Ich komme rüber, Herr Rohrbisler.“
Die Tür steht offen. Drinnen ist es dunkel. Muffig. Die Vorhänge zugezogen, aber alle Stühle auf Bereitschaft.
Stürzel zuckt zusammen – ein Schatten rechts. Jemand sitzt an einem der Tische, über ein Bier gebeugt.
„Das ist Hugo.“, sagt Rohrbisler, der hinter dem Tresen steht und Stürzel von oben nach unten genauestens inspiziert. „Sag ‚Guten Tag‘ zum Herrn Doktor ...“
Die Schaufensterpuppe schweigt.
„Warum kommt denn keiner? Das muss doch deprimierend sein …“
„Das