Der Bergfrauendoktor. Thomas Schmidt
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Читать онлайн книгу Der Bergfrauendoktor - Thomas Schmidt страница 4
„Ich tarne meinen Schatz.“, sagt Rohrbisler und er zeigt auf die schwarze Tür in seinem Rücken. „Wollen Sie mal einen Blick werfen? Ich brauche Ihre Hilfe.“
Stürzel nippt an seinem Bier. Er überlegt. In der Geisterbahn war er lange nicht.
„Nach Ihnen, Herr Rohrbisler.“
Sie betreten einen Raum, an dessen Decke sich eine Discokugel dreht und psychedelische Lichtbälle an die Wände wirft.
„Die ist immer in Betrieb.“, sagt Rohrbisler.
Es riecht nach Apotheke, nach Schlachthausapotheke. Etliche Ketten, im Raum verteilt wie Spielzeug, achtlos liegen gelassen. Eine Matratze ohne Bettbezug. An den Wänden Poster ausgepeitschter Hintern – ausschließlich haariger Natur. Ein kleiner Fernseher. Die vier männlichen Schaufensterpuppen, die dastehen, als warteten sie auf den FKK-Bus, weisen Brandspuren auf.
Ein bizarrer Wunschkasten, eine eingefrorene Fantasie.
Der Boden ist mit Folie abgedeckt.
Stürzel schüttelt es. Das Dorf hat ein Hinterzimmer.
„Ich träume von Männern, die ihre schweren Gummistiefel auf dem Bett ablegen – und sich selbst.“, sinniert Rohrbisler.
„So Träume hat man halt.“, sagt Stürzel. „Und wo ist jetzt das Problem, das Technische?“
Stürzel hat es plötzlich eilig. In einer Ecke steht etwas, unter einer Decke.
„Hier, sehen Sie …“, sagt Rohrbisler und zieht theatralisch die Decke weg. „Mein elektrischer Erotikstuhl!“
Jetzt gibt es einen kleinen Rundgang mit Erläuterung. Der Rohrbisler lässt kein Detail aus: „Hinten sind Rüssel und Rückenlehne, inklusive Brustwarzenzwickarmen mit optionalem Elektroschock. Dazu zwei rostige Klemmzangen, in Hodennähe angebracht, die nach Bedarf erhitzbar oder unter Strom zu stellen sind. Unterhalb dreht sich eine Anuspresse, Größe L, unterstützt von einem Prostatapürierstab mit Rückwärtsgang. Ein Mono-Darmwickler rundet diesen Teilbereich ab. An der rechten Seite, auf Kopfhöhe, ist ein ausfahrbarer Puppenarm installiert, der einen Leckstein aus getrocknetem Pferdehoden hält. Linkerhand sehen Sie eine bewegliche Gelenkstange, aggressiv programmiert, die fortwährend und mit Hilfe einer schwarz lackierten Aubergine, an deren Ende Schamhaare geklebt sind, den Mund zu penetrieren versucht. Dabei kommen sich Pferdehoden und Aubergine ständig in die Quere. Konstruktionsfehler, sehr bedauerlich. Unter dem Bodensatz ist eine Einschlauch-Melkmaschine installiert, die batteriebetrieben ist, einen starken Unterdruck erzeugt und sich erst abschaltet, wenn eine bestimmte ‚Füllmenge‘ erreicht ist. Nebenbei dient die Maschine zur Produktion von Eierlikör aus eigenem Anbau. Capiche?“
Stürzel räuspert sich.
„Nun …“
„Ich brauche einen Testkandidaten.“
„Wiederschaun, Herr Rohrbisler.“
S/M ist ein Erweiterungspaket und wird auch im zwischenmenschlichen Bereich angewandt. Oder allein im stillen Kämmerchen. Draußen Oberstudienrat, privat Kellermeister, Sklave, Windelträger. Man verschleudert auf Teilzeitbasis Amt und Würde, man taucht ab und ein in eine Mischung aus Urin und Sperma. Mit einem Haken: Im Himmel, nach dem Abgang, wenn man durch das Licht geschwommen ist und den großen Feuerkreis erreicht hat, der einem entflammten Anus ähnlich sieht, wird keiner warten, weil alle tief enttäuscht sind.
So stellt Stürzel sich das so vor.
Den Katzenschwanz in die Luft gereckt wird an der warmen Milch geschleckt. Welch‘ Katze macht sich dabei schon Gedanken zu der Produktion?
Ein paar Häuser weiter. Heinz Oberlechner zieht sich den Eisenbahnerkittel über, verschließt bedächtig die blauen Knöpfe und macht sich daran, in den Keller zu steigen. Man kann sich das so vorstellen: Eine Lok, die schon viel zu lang durch einen Tunnel düst und der Ausgang ist nur ein kleiner Lichtfleck, nicht größer als ein Staubkorn. Wobei Herr Oberlechner betont langsam nach unten steigt. Das Knarren der Stufen dehnt sich und wird in seinem Schädel zu einer Sinfonie. Durch eine Tür, durch einen schmalen Gang in einen Raum und wenn man es nicht besser wüsste: Hobbykeller.
Auf einer Spanplatte steht das originalgetreue Modell einer Bergkette. Im Maßstab 1:3500. Pappmaché, Puderzucker, Eierschalen, Haferflocken und Griebenschmalz. Eine sanfte Steigung, grün gezuckert, vereinzelt stehen Plastiktannen. Darüber, aus einem Steinhang heraus, erheben sich drei schroffe, ineinander verzahnte Bergmassive. Eine wunderschöne, liebevoll gestaltete Landschaft. Landschaft Nummer Zehn. Bestehend aus Henkerkamm, Galgenspitze und Waisenwipfel.
Herr Oberlechner sieht sich um, betrachtet die aufgestellten Schaukästen, die in den Regalen stehen. Darin: zersprengtes Papier, geschmolzene Bäume. Die Überreste des Höllensteins. Daneben die des Teufelsjochs und der Schnitterbergklamm.
Herr Oberlechner denkt an den Reporter, der ihn heimgesucht hat. Von dem er meint, dass er ihn heimgesucht hat. Das müsste vor ein paar Tagen gewesen sein. Vielleicht auch vor Wochen. Irgendwann in dieser Zeit. Herr Oberlechner untersucht das nicht näher.
Der Reporter wollte gehört haben, dass Herr Oberlechner ein Spezialist für Bergtopographie sei und sicher etwas zu den ständigen Murenabgängen sagen könne. Aber das Interview ist dann sozusagen selbst zu einer Mure geworden.
Er hat den Mann vom Radio in den Keller geführt und ihm seine Modelle gezeigt.
„Modelle der Wirklichkeit.“
„Beeindruckend, Herr Oberlechner!“
Der Reporter hat sogleich das Aufnahmegerät eingeschaltet. Und ist direkt eingestiegen in das Interview: „Herr Oberlechner. Sie können anhand Ihrer Modelle Murenabgänge vorhersagen ...“
Anstatt aber etwas Gescheites zu antworten, hat der Oberlechner die Faust gehoben. Ungewöhnlich langsam. Und am höchsten Punkt hat er die Faust geschüttelt wie wenn man einem Lausbub hinterher schimpft, der einem die Schnürsenkel zusammengebunden hat. Und dann ist die Faust brutal im Teufelsjoch eingeschlagen.
Der Reporter ist direkt weggezuckt und hat mit zitternder Stimme in sein Gerät hineindiktiert: „Gleich kommt die Mure.“
Plötzlich hat der Oberlechner eine Axt gehabt. Und der Reporter ist aus der einen Deckung in die nächste hinein.
„Jetzt zeig ich dir mal einen Murenabgang. Und zwar einen, der sich gewaschen hat!“
Mit einem asiatischen Kampfgruß hat der Oberlechner sich den Kittel vom Körper gerissen. Die Knöpfe sind gegen die Wände. Der Reporter hat das Aufnahmegerät wieder abgeschaltet.
„Elendiger! Elendiger!“
Oberlechners Stimme hat sich regelrecht überschlagen. Mehrfach. Speichel ist gespritzt. Volle Ladung auf den Reporter und das Aufnahmegerät.
„Abbrechen?“, hat der Reporter gefragt.
„Abbrechen!“, hat der Oberlechner