Der Zorn. Группа авторов

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die uns ihre apodiktischen Jünger nicht erklären wollen, abwesend waren, würden eine mehrbändige Dokumentation beanspruchen. Wem hier erhebliche Zweifel an der göttlichen Gerechtigkeit kommen, der wird dem christlichen Gott auch den Alleinvertretungsanspruch auf gerechten Zorn absprechen. Ich gehöre zu den Zweiflern.

      Mit oder ohne Gott: Zorn ist allgegenwärtig. Ob wir ihn nun unterdrücken oder zum Ausdruck bringen, er ist ein Bestandteil unserer Existenz. Solange er individuell daherkommt, mag er für die Nächsten eine Plage sein, aber er erschöpft sich im Privaten. Anders verhält es sich mit dem kollektiven Zorn, seine Dynamik hat die Kraft der Rebellion, die nicht unbedingt auf Ausgleich und ein friedliches Ende aus ist. Jede Gesellschaft – die politische Herrschaft ohnehin – bemüht sich um die Zähmung des Volks-Zorns. Riskant wird es für die Mächtigen dort, wo das gemeinsame Erlebnis den Zorn aus dem Käfig der privaten Einsamkeit befreit, wo sich Protest und Parolen verdichten, wo Rufe lauter und Forderungen radikaler werden. Wo Zorn des Einzelnen sich bündelt und zum Zorn der Menge wird – zur Revolte.

      Nicht zu übersehen ist: der Zorn erscheint derzeit wieder verstärkt in der öffentlichen Debatte: etwa in Peter Sloterdijks Zorn und Zeit, der auf die neuen »Zornkollektive der Beleidigten« verweist, die sich in den nordafrikanischen Ländern ebenso formieren, wie in den westlichen Finanzmetropolen in Form der Occupy-Bewegung. Wir selbst müssen einen gerechten Zorn entwickeln – so Sloterdijk – in seiner gewaltig erzählten Zeitanalyse. Auch André Glucksmann spricht in seinem Buch Hass – Die Rückkehr einer elementaren Gewalt vom »monolithischen Zorn«. Die Renaissance des Begriffs »Zorn« geschieht dabei unter gegenwartsdiagnostischen Vorzeichen.

      Meine persönlichen Zornes-Erfahrungen sind die eines stillen, kognitiven Erzürnens über allerlei Zumutungen von Unrecht, Dreistigkeit und Niederträchtigkeit, die uns die politische Klasse, die globalen Finanzjongleure, beseelte Ideologen und religiöse Fundamentalisten täglich bescheren. Es sind die bekannten Gefühle und Gefühlsäußerungen, die sich einstellen, wenn man der Auffassung ist, dass unsere Welt mitunter in Schieflage ist. Es ist mein ganz und gar privater, persönlicher gerechter Zorn. »Wer mit der Welt, ungerecht und unfertig, wie er sie vorfindet, keinen faulen Frieden schließen will, kann nicht zufrieden sein«, schreibt Karl-Markus Gauß in seinem Buch Ruhm am Nachmittag, in dem zu lesen immer anregend und aufregend ist. Dass dieses Gefühl der Unzufriedenheit sich naturgemäß vielfältig Bahn bricht, sollten wir als eine gesunde emotionale Reaktion, ein Gefühlsleben im Augenblick, ein spontanes Verändern wollen der Welt deuten.

      Zahllos sind die Anlässe, die Menschen in Rage versetzen, wütend und zornig machen. Betrachtet man das Gefühlsfeld der Unzufriedenheit auf seine Intensität hin, so reicht es von mildem Ärger über stark lodernde Wut bis hin zu einem Hass, der fest in die Individuen eingefressen ist. Fragt man nach seiner Zeitstruktur, kann Zorn ein punktueller Ausbruch unterdrückter Gefühle bleiben oder sich verstetigen und zur Charaktereigenschaft werden (»ein aggressiver Mensch«). Wie aber entsteht der Zorn? Baut er sich langsam auf oder schlägt er ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel? Wenn er sich langsam aufbaut, wie kann man diesen Prozess beschreiben? Geht dem eigentlichen Zorn zum Beispiel eine milde Form der Verärgerung voraus? Ist Hass Kennzeichen des lang anhaltenden Zorns, wie Thomas von Aquin behauptete? Oder würden wir heute nicht eher sagen, dass Zorn der Affekt und Wut die Leidenschaft sei, also das eine der plötzliche Ausbruch, das andere das langsam Anschwellende, das sich festsetzt? Und wäre dann nicht Hass im Gefolge des Ressentiments das moralisch Negative, während der Zorn mit der Empörung verschwistert ist und damit ein moralisch positives Gefühl?

      Schon das Verhältnis zwischen Empörung und Zorn ist eindeutig schwer zu bestimmen. Beide Gefühle sind eng benachbart und können ineinander greifen. Christoph Demmerling und Hilge Landweer, die sich in ihrem Buch Philosophie der Gefühle mit dem Zorn und anderen Aggressionsaffekten beschäftigen, nennen einige hilfreiche Kriterien zur Differenzierung. »Das Gefühl des Zorns muss ein personales Objekt besitzen, es muss jemanden geben, dem gezürnt wird. Sodann sind es im Fall des Zorns häufig der Zürnende selbst oder zumindest ihm Nahestehende, die durch das Unrecht geschädigt wurden, um derentwillen Zorn empfunden wird. Beide Bedingungen gelten für Empörung nicht unbedingt. Empörung kann abstrakt bleiben und ist damit stärker als der Zorn anfällig für Gerechtigkeitsvisionen, die von konkreten Konflikt lagen losgelöst sind.« Während also Empörung noch vage sein kann in der Zuschreibung von Verantwortung und kausaler Zuständigkeit, übertroffen nur noch von einer diffusen »Betroffenheit«, muss im Zorn – so die Autoren – der Gegner bereits identifiziert sein. »Gezürnt werden kann nur jemandem«.

      Was aber die Empörung auslöst, die Wut aufkommen lässt und den Zorn mobilisiert, das wiederum scheint auch mit unseren jeweilig gesellschaftlich geprägten Erfahrungen von Moral verbunden zu sein. Und die Moral, das wissen wir, ist eine prekäre Angelegenheit. Sicher: jeder Begriff von Norm setzt bereits eine Generalisierung voraus, aber für den Einzelnen können diese ganz unterschiedliche Autorität besitzen. Voraussetzung ist die subjektive Handlungsfreiheit, die Fähigkeit eines Menschen, zu erkennen, zu beurteilen, ob etwas seinen Moralvorstellungen zufolge richtig ist, und entsprechend zu handeln. Es ist die Fähigkeit, Nein zu sagen.

      Die subjektiven Gefühle und Handlungsmaximen freilich sind kaum zu vereinheitlichen: Wo der eine augenblicklich in Wut gerät, ein anderer sich öffentlich lauthals empört, zeigt sich bei einem Weiteren nichts als kühler Zorn. Wütend darf der Mensch sein, aber das Recht zum großen Zorn kommt – das haben wir bereits festgestellt – allenfalls den Göttern, niemals aber dem Menschen zu. Denn Wut, darauf weist auch Wolfgang Sofsky hin, mag ungestüm, laut und maßlos sein, aber sie verpufft oder verraucht auch rasch. »Wut ist ein Ereignis, eine Eruption. Sie reißt mit großer Geste alles um, schlägt blind um sich, behilft sich notfalls auch mit Ersatzobjekten.« Wut ist wie ein heftiger innerer Überfall.

      Anders der Zorn. Er hat einen langen Atem. »Die Zeit des Zorns beginnt mit einer Verärgerung, die sich nach und nach zu einer grundlegenden Missstimmung ausweitet. Die Kraft der Gedanken wird zum Werkzeug des Zorns. Er behält sein Ziel im Auge, verfolgt es bis zum bitteren Ende.« Sofkys scharfsinnige Betrachtungen bescheinigen dem Zorn eine zähe Destruktivität. »Im Gegensatz zur Wut, die sich selbst erschöpft, hat der Zorn einen definitiven Schlusspunkt. Er ist erreicht, wenn der Bösewicht bestraft, der Feind für immer geschlagen ist. Zorn erstrebt kein friedliches Ende und keinen gütlichen Ausgleich.« Man mag Sofsky hier gerne widersprechen, denn die Bewertung des Zorns hat historisch und kulturell stets variiert. In unserem Kulturkreis ist durchaus eine klare Zuordnung erkennbar: Hass gilt »fast immer als schlecht, Wut als unbeherrscht, Zorn dagegen kann ›gerecht‹ sein«. Im allgemeinen Werteempfinden wird dieser individuelle »gerechte Zorn« durchaus akzeptiert.

      Bei Sloterdijk ist Zorn etwas Positives: etwas »Gebendes«. Man schenkt jemanden seine Aufmerksamkeit – also das Gegenteil von Destruktion und Ignoranz. Die Austreibung des produktiven Zorns aus Gesellschaft und Kultur ist für ihn lähmend. Den politischen Wissenschaften wirft er vor, sie litten substantiell unter der Verleugnung des Zorns. Und Sloterdijk identifiziert im Menschen neben der Libido eine weitere, bislang völlig verdrängte Art von Energien, die er in Anlehnung ans Griechische die thymotischen nennt. Thymos war in der Antike ein Sammelbegriff aus Zorn, Stolz, Scham, Ehrgeiz, Geltungswillen und Rechtsempfinden. Dementsprechend fordert Sloterdijk auch eine neue Theorie des Stolz-Ensembles. Seine Kritiker monieren, damit habe er die genuin politische und soziale Dimension des Themas zugunsten einer tiefenpsychologischen geopfert.

      In der Tat ist die »Wut in den Städten« zu einer der beherrschenden Phänomene der Gegenwart geworden. Ob New York, Barcelona oder Berlin: in der weltweiten Occupy-Bewegung findet sich eine neue Art von Volkszorn, die von Exponenten der politischen und wirtschaftlichen Eliten gerne als zerstörerische Energien junger Männer missverstanden – oder denunziert? – wird. Wer aber den Protest- Bewegungen das Politische und das Soziale abspricht und auf eine tiefenpsychologische

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