Der Zorn. Группа авторов

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Gruppe der Bevölkerung bewegt, sprechen wir gern von Volkszorn. Dieser beschäftigt uns spätestens seit der Französischen Revolution und bis auf den heutigen Tag. Die Geschichte lehrt, dass die Gefahr des Umschlags in die Irrationalität bei der Empörung des Volkes besonders groß ist. Totalitäre Regime haben gern den Volkszorn gesät und instrumentalisiert, um politisch gesteuerte Verbrechen zu legitimieren. Die »kochende Volksseele« musste herhalten, um die »Schutzhaft« von politischen Gegnern, d. h. deren Verschleppung in Gestapo-Keller und Konzentrationslager zu rechtfertigen.

      Nicht ohne Grund hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Volkszorn kein Haftgrund ist. Die »Erregung der Bevölkerung«, die es unerträglich finde, wenn ein »Mörder« frei herumlaufe, vermöge die Verhaftung eines Beschuldigten nicht zu rechtfertigen. Nicht nur die Juristen wissen, dass bestimmte Untaten auch heute den Volkszorn entflammen können.

      Gegen die erzürnte Reaktion politischer Gruppen auf ein politisches Tun oder Lassen ist in einer Demokratie nichts einzuwenden. Der kollektive Zorn gibt dem Volk eine Stimme. Auch wenn in der Demokratie jeder Einzelne zählt, sind die Bürgerinnen und Bürger doch nur gemeinsam stark. Auch eine die Allgemeinheit betreffende Aktion eines Wirtschaftsunternehmens muss sich Kritik gefallen lassen. Sind doch gegenwärtig nicht nur die Politiker, sondern auch die Banker und Finanzmanager ein bevorzugtes Ziel des Volkszorns. Widerspruchsgeist und Wehrbereitschaft sind eine demokratische Tugend. Kritikverträglichkeit ist das Mindeste, was die politischen und wirtschaftlichen Eliten eines demokratischen Gemeinwesens üben müssen. Wie hat es Raymond Aaron so treffend gesagt: Die Diktatur organisiert den Beifall, die Demokratie organisiert die Kritik.

      Lassen Sie mich an den von Greenpeace und anderen Institutionen erfolgreich angestifteten Boykott des Shell-Konzerns erinnern. Shell wollte bekanntlich die ausgediente Ölplattform Brent Spar im Meer versenken. Selbst die politischen Eliten schlossen sich dem Boykott an. Die Umsätze von Shell brachen um die Hälfte ein. Der sich im Kaufboykott materialisierende Volkszorn war schließlich von Erfolg gekrönt: Shell lernte.

      Zum respektablen Zorn gehört »die Erkenntnis und Anerkenntnis einer Rechtssphäre«, so treffend Jürgen Werner (S. 62). Gewalttätigkeiten – wie die Verletzung von Polizisten durch Splitterbomben während der Berliner Demonstration gegen das Sparkonzept der schwarz-gelben Koalition – diskreditieren den öffentlichen Protest. Trotz dieser Einsicht ist noch kein Verfahren entwickelt worden, mit dem gewaltbereite Kleingruppen in einem Aufmarsch isoliert werden können. Weniger schärfere Strafen als vielmehr bürgerliche Wachsamkeit und Abwehr jener destruktiven Kräfte verspricht Abhilfe. Das war das Großartige an den Montagsdemonstrationen des Herbstes 1989, dass in diesen das Gebot der Friedfertigkeit bis zum Ende der Diktatur hochgehalten worden ist.

      Die Zukunft gehöre den Sanftmütigen, so hat es einmal ein Bewerber um das Amt des Bundespräsidenten prophezeit. Hier scheint der Wunsch Vater des Gedankens gewesen zu sein. Die Verschiedenheit der Menschen und die Gegensätzlichkeit ihrer Interessen werden auch künftig Konflikte zur Folge haben, die sich nicht mit Sanftmut harmonisieren lassen. Der gerechte – gegen Unrecht und Ungerechtigkeit gerichtete – Zorn wird immer wieder aufflammen. Die Dramatik des Zorns wird nicht auf die Bühne verbannt werden, sondern auch künftig als Energiespender in Gesellschaft und Politik eine Rolle spielen. Gewiss, der Zorn kann Gutes und Übles bewirken. Handelt es sich doch um einen zwiespältigen Gemütszustand: Leicht geneigt, sich ins Maßlose zu steigern, entfaltet der Zorn zerstörerische Kräfte. Moderiert durch die Vernunft und bürgerschaftlich organisiert, kann der Zorn zu einer Kraftquelle werden, die die demokratische Gesellschaft verändert. Die Antriebskraft des Zorns verdient jedoch nur dann Respekt, wenn sie mit dem Verzicht auf Gewalt verbunden ist.

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