Der Zorn. Группа авторов

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Begriff Zorn eher durch seine Abarten – wie Jähzorn und Wut – zu definieren als durch seine Eigenart. Schon der Wutanfall macht deutlich, dass die Wut noch weiter von der Vernunft entfernt ist als der Zorn. Und laut dem Brockhaus Psychologie unterscheidet der Gehalt an rationalen oder normativen Komponenten den Zorn von der Wut. (2. Aufl. 2009, S. 699). Ein Tier, ein Sturm kann wüten, gewiss auch ein Rasender, aber zürnen kann nur ein Mensch, von Gott ganz zu schweigen.

      Zwar können sowohl Zorn als auch Wut eine Antwort auf eine Enttäuschung oder eine Ungerechtigkeit sein. Doch ist sie beim Zorn mit Ernst und Nachdenklichkeit gepaart. Die Wut ist der Zorn der Hilflosen, so lesen wir bei Jürgen Werner, der unter den von mir zu Rate gezogenen Autoren einer der wenigen ist, die sorgfältig zwischen Zorn und Wut unterscheiden. Die Wut besitzt laut ihm kein Ziel, sie schlage deshalb blindwütig um sich, sei maßlos und kreise nur um sich selbst.

      Zorn als positive Antriebskraft

      Ich bin auf der Suche nach einem Zorn, der den Anfechtungen der Maßlosigkeit, der Ziellosigkeit und der Ichbezogenheit widersteht. Die Gratwanderung zwischen Zorn und Wut ist trotz dieser Wegmarken ein schwieriges Unterfangen, weil, was sich analytisch trennen lässt, in der Wirklichkeit in Grauzonen ineinander übergeht. Das gilt umso mehr, als der Zorn trotz seines Bezugs zur Vernunft auch mit Erregung und Aggressivität verbunden sein kann.

      Mein Wunsch, dem Zorn auch etwas Positives abzugewinnen, mag angesichts der Tatsache verwegen erscheinen, dass der Zorn neben der Wollust, dem Neid, Geiz und Hochmut sowie der Völlerei und Trägheit zu den sieben Todsünden gezählt wird. Die Todsünden sollen – niemand weiß genau zu sagen, wann im Laufe der Jahrhunderte – aus den Lasterkatalogen des Paulus herausdestilliert worden sein. Im Mittelalter bis zur Neuzeit haben die sieben Todsünden die künstlerische Phantasie angeregt. Man denke nur an die im Prado in Madrid zu bewundernde Tischplatte zu den sieben Todsünden, geschaffen von Hieronymus Bosch, und das in der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe ausgestellte Bild von Otto Dix. Das von Albrecht Dürer zum Teil illustrierte – ebenfalls in der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe zu bewundernde – Buch von Sebastian Brant Das ­Narrenschiff stand im Mittelpunkt der Opern-Festspiele des Sommers 2010.

      Der Medea gleich beschäftigen uns bis auf den heutigen Tag die Todsünden oder die Hauptlaster. Sind doch die Menschen über die Jahrhunderte um keinen Deut besser geworden. Nicht nur, weil Medea so eindrucksvoll rast und tobt, fasziniert uns noch heute diese tragische Frauengestalt. Auch noch heute töten, wenn auch sehr vereinzelt, Eltern beiderlei Geschlechts die gemeinsamen Kinder, um den sich trennenden Partner aufs Tiefste zu demütigen und dort zu treffen, wo er am verletzlichsten ist. Wir erklären uns dieses unmenschliche Verbrechen häufig mit einer Depression, sprich mit einer Geistes- oder Gemütskrankheit. Vor dem Hintergrund des Mythos und orientiert an den Problemen wie Erkenntnissen der Gegenwart versuchen wir, der vielschichtigen Wirklichkeit dieses Verbrechens auf die Spur zu kommen.

      Schlicht einen Mangel an Vernunft zu konstatieren, reicht uns heute nicht mehr aus. Laut modernen Interpretationen des Sagenstoffs scheitert Medea nicht nur, weil sie eine Frau ist, sie scheitert vor allem, weil sie eine Ausländerin ist. So Aribert Reimann zu seiner an der Wiener Staatsoper im Frühjahr 2010 uraufgeführten Oper Medea. Ihre Fremdheit macht sie einsam. Dass Integration eine wechselseitige Anstrengung voraussetzt, war im alten Griechenland noch weniger bekannt als in unserer Zeit.

      Bücher über die Todsünden und Lasterkataloge haben heutzutage Konjunktur. Die inkriminierten Laster werden immer zahlreicher. Das Buch der Laster von Wolfgang Sofsky nennt noch die Gleichgültigkeit und Vulgarität, das Selbstmitleid und die Unterwürfigkeit, um nur einige der jüngsten Zutaten zu erwähnen. Man könnte ja stattdessen Tugendbücher verfassen, und dartun, welche Charaktereigenschaften den vollkommenen und mündigen Staatsbürger von heute auszeichnen sollten. Aber es schreibt sich einfach unterhaltsamer über Todsünden und Laster. Eine kleine Lesefrucht aus dem Buch der Laster, mit der das Kapitel Zorn eingeleitet wird, mag das illustrieren:

      Grimm fasst ihn und zerreißt ihm die Brust. Teigige Blässe überzieht sein Gesicht, die Hand ballt sich zur Faust, finster starrt er dem Widersacher entgegen. Auf einmal ist jede Müdigkeit verflogen. Die Augenbrauen ziehen sich zusammen, ein scharfer Zug nagt an den Lippen. Es ist, als springe das Gesicht zum Angriff nach vorn. Jeder Nervenstrang ist gespannt, kurze Atemstöße fahren aus der Lunge, Schweiß überzieht die Stirn. Untrüglich sind die Zeichen des Zorns. Ein jeder kennt sie, und jeder fürchtet sie. Der Körper kocht. Ohne Zustimmung des Geistes bricht der Zorn los. Er kennt kein Vergeben, keine Versöhnung. Sein Schrei zerfetzt jeden anderen Laut. Zerstörung ist sein einziges Ziel, Vernichtung seine wahre Erfüllung. (Sofsky, S. 221)

      Ein gleichermaßen starker Text zu Sanftmut lässt sich kaum ver­fassen!

      Was bei den ohne Zweifel lesenswerten Texten zu den Tod­sünden und Lastern auffällt, ist, wie fließend die Übergänge zwischen Zorn und Wut selbst bei jenen Autoren sind, die zwischen beiden Phänomenen unterscheiden. Besser spräche man in all diesen Texten – wie die Übersetzerin des Seneca-Buches De ira – von »Wut« statt von »Zorn«. Jedenfalls dann, wenn man sich solcher ­Zerrbilder bedient, die das Gesicht des Zornigen zur grimmigen Fratze entstellen.

      Wer dem Zorn eine positive Lesart im Sinne einer Kraftquelle abgewinnen will, ist nicht notwendig religiös unmusikalisch. Diese ermutigende Einsicht wurde mir auf dem Rückweg von einem Theaterbesuch auf einer Berliner U-Bahn-Station zuteil. Auf einem großen Plakat von Misereor, das eine schwarze Frau mit einer Traglast auf dem erhobenen Haupt zeigte, las ich die Losung:

      Mit Zorn und Zärtlichkeit an der Seite der Armen.

      Misereor will mit den Gegensätzen »Zorn« und »Zärtlichkeit« das Spannungsfeld beschreiben, in dem sich die Arbeit des Entwicklungswerks bewegt. Stehe auf der einen Seite der Zorn über die ungerechten Verhältnisse, so stehe auf der anderen das Mitgefühl mit dem Nächsten. Hier sollen aber nicht gegensätzliche Gefühle mobilisiert werden. Die zornige Einsicht in die Not des Schwarzen Kontinents soll die Nächstenliebe mit Nachdruck beflügeln. Auf den Spuren der Erkenntnis von Gregor dem Großen, dass sich die Vernunft mit größerer Wucht dem Bösen entgegen stellt, »wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht«.

      Zornig werden, heißt, beteiligt sein. So hat es John Osborne im Vorwort zu seinem Theaterstück Blick zurück im Zorn treffend gesagt. Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit können wir Europa uns schon deswegen nicht gestatten, weil wir an der afrikanischen Misere nicht unschuldig sind.

      Auch können wir nicht über ein Menschenrecht auf Nahrung und Obdach räsonieren, wenn wir nicht die Menschen Afrikas tatkräftig darin unterstützen, ihre Lebensgrundlagen eigenständig zu erarbeiten.

      Bei Misereor hat man offenbar Thomas von Aquin und Josef Pieper, den Ghostwriter des Papstes, gelesen. Beide verwahren sich dagegen, dass der Zorn gern als ein Beispiel für Maßlosigkeit herhalten muss, wenn es darum geht, die vierte Kardinaltugend, die temperantia, durch negative Verhaltensweisen zu veranschaulichen. Der Heilige Thomas, bekanntermaßen ein sinnesfreudiger Mann, verwahrte sich gegen das – nicht nur unter Christen – gepflegte Vorurteil, dass alles Zürnen böse sei. Zwar tadelt auch er den maßlosen, den unbeherrschten Zorn, schon wegen seiner zerstörerischen Kraft als Untugend. Andererseits zählt er den Zorn zu den Urkräften des menschlichen Wesens. Sanftmut, die dem Zorn gern entgegen gestellt wird, bewirke nur, dass der zürnende Mensch seiner selbst mächtig bleibe. Sanftmut zivilisiere den Zorn, aber schwäche ihn nicht ab. Denn, so Josef Pieper, jene »blassgesichtige Harmlosigkeit, die sich leider oft mit Erfolg für Sanftmut ausgibt, soll doch niemand für eine christliche Tugend halten«! (S. 270)

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