Trotzki und Trotzkismus - gestern und heute. Herbert Meißner

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Trotzki und Trotzkismus - gestern und heute - Herbert Meißner

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die Leitungstätigkeit zu straffen. Trotzki konnte sich dem nicht anschließen, weil dadurch alte und verdiente Parteikader wie Vera Sassulitsch und Axelrod ausgegrenzt würden und eine nicht wünschenswerte Zentralisation einträte. In mehreren persönlichen Gesprächen bemühte sich Lenin um das Verständnis bei Trotzki, was aber nicht gelang.

      Im weiteren Verlauf verschärften sich die Differenzen zwischen Lenin und Trotzki im Zusammenhang mit Lenins Bestreben, den Parteiaufbau zu präzisieren und die Kriterien der Parteimitgliedschaft exakt zu definieren und im Parteistatut zu verankern. Trotzki und einige andere Führungspersönlichkeiten stimmten gegen Lenins Vorschläge, die dadurch nicht durchkamen. Aber die Mehrheitsverhältnisse änderten sich, weil die Vertreter der Union jüdischer Arbeiter Litauens, Polens und Russlands – generell kurz als Bund bezeichnet – den Kongress verließen, weil ihre Forderung nach Autonomie in der Partei abgelehnt wurde. Dadurch wurde die Leninsche Gruppierung zur Mehrheit, seine Vorschläge wurden angenommen und es entstanden die »Bolschewiki« und die »Menschewiki«. Trotzkis Resolution mit dem Ziel, die alte Redaktion der Iskra beizubehalten und die Leitungstätigkeit breiter zu gestalten, wurde abgelehnt. Von da an gehörte Trotzki zu den Menschewisten und wurde eine zeitlang zu ihrem Sprecher.

      In der heutigen trotzkistischen Literatur ist die Haltung des damals Vierundzwanzigjährigen umstritten. Aber mehrheitlich wird Trotzkis Position in den damaligen Auseinandersetzungen als grober politischer Fehler eingeschätzt, den er erst 1917 korrigierte. [9]

      Zunächst setzte Trotzki diesen gegen Lenin gerichteten Kurs fort. Auf der ersten Versammlung der Menschewiki nach dem Parteitag veranlasste Trotzki, die weiter unter der Leitung von Plechanow und Lenin stehende Iskra zu boykottieren. Er beschuldigte Lenin des Jakobinertums. Im August 1904 veröffentlichte Trotzki eine Schrift mit dem Titel: »Unsere politischen Aufgaben«. [10] Er analysiert die Entwicklung der Partei und kommt im Zusammenhang mit der Entstehung der Fraktionen von Bolschewiki und Menschewiki zu äußerst scharfen Formulierungen gegen Lenin. Er macht diesen verantwortlich für die Parteispaltung und bezichtigt ihn der »hemmungslosen Demagogie« [11], des »Zynismus« [12], des »Rückzugs vom Felde des Marxismus« [13] und dass Lenin die Dialektik auf den »Rang der Sophistik« herabsetze [14]. Pierre Broué bemerkt dazu: »Diese unglaublich maßlose Schmähschrift gegen Lenin … stellte später für einen Trotzki, der sich 1917 den Organisationsprinzipien Lenins angeschlossen hatte, ein schrecklich peinliches Dokument dar, zu dem er für den Rest seines Lebens eine große Diskretion bewahrt hat«. [15]

      Ungeachtet dieser »Kampfschrift gegen Lenin« [16] versuchte Trotzki in der Folgezeit, die beiden Gruppierungen wieder zu vereinen. Das wurde natürlich durch die oben genannte Schrift behindert und kam auch nicht zustande. Damit hat sich Trotzki von beiden Fraktionen entfernt und nahm lange Zeit eine versöhnlerische Position zwischen ihnen ein.

      Aber die Positionen der Bolschewiki und der Menschewiki präzisierten sich immer deutlicher. Es ging nicht mehr um Parteiaufbau, Parteistatut oder Zentralismus, sondern um die Frage, ob in den bevorstehenden revolutionären Ereignissen die Partei die Bourgeoisie unterstützen solle oder auf die Hegemonie des Proletariats hinzuarbeiten sei. Da Trotzki den letzteren Standpunkt einnahm, entfernte er sich zunehmend von den Menschewiki.

      Das wurde besonders deutlich, als zu Beginn des I. Weltkrieges die II. Internationale zusammenbrach. Nur eine Handvoll marxistischer Politiker blieben dem Internationalismus treu. An der Seite von Lenin, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und anderen stand Trotzki. Auf der von den Kriegsgegnern 1905 organisierten Konferenz in Zimmerwald nahm Trotzki nicht nur teil, sondern schrieb im Auftrag der Konferenzteilnehmer ein Manifest, das von allen Delegierten einstimmig angenommen wurde. Im Verlaufe dieser Entwicklungen näherte sich Trotzki den bolschewistischen Positionen wieder und immer stärker.

      Verallgemeinernd ist also festzustellen, dass Trotzki von 1904 bis 1917 eine Periode von Irrungen und Wirrungen durchlebt hat, die aber 1917 endgültig vorbei war. Dies festzustellen und historisch deutlich einzuordnen ist wichtig, weil Stalin nach Lenins Tod diese Fragen gemäß seinen machtpolitischen Zwecken instrumentalisiert und verfälscht hat.

      4 Trotzki und der Rote Oktober

      Lenin war beim Ausbruch der Februarrevolution in der Schweiz, Trotzki in New York. Beide nahmen sofort zu den Ereignissen Stellung. Dabei kamen beide zu den gleichen Schlüssen im Hinblick auf die entscheidenden Fragen der Revolution, und zwar Trotzki in seinem Artikel in »Nowy Mir« und Lenin in seinen »Briefe aus der Ferne«. Als Trotzki im Mai 1917 in Petrograd ankam, nahmen Lenin und Sinowjew an der Willkommenszeremonie teil. Raskolnikow erinnerte sich: »Lew Dawidowitsch war zu jener Zeit formell kein Mitglied unserer Partei, aber tatsächlich arbeitete er in ihr ununterbrochen von dem Tage seiner Ankunft aus Amerika an. Jedenfalls betrachteten wir alle ihn nach seiner ersten Rede im Sowjet als einen unserer Parteiführer«. [17]

      Trotzki stimmte nach seiner Rückkehr nach Russland sofort vorbehaltlos mit Lenins berühmten April-Thesen überein und unterstützte sie in der praktischen Politik. Auf Grund seiner rednerischen Begabung und seiner schriftstellerischen Aktivitäten wurde er schnell zu einer der führenden Persönlichkeiten der bolschewistischen Partei und nach seinem Eintritt in diese zum Mitglied ihres Zentralkomitees gewählt.

      Selten ist die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte für ihren Verlauf so deutlich hervorgetreten, wie in der Oktoberrevolution. Es ist bekannt, dass bei der Vorbereitung der Revolution Kamenjew und Sinowjew gegen Lenin opponierten. Aber auch in der Arbeiterschaft Petrograds gab es Schwankungen und Irritationen. In dieser schwierigen Periode hing die Entwicklung der Revolution von zwei Männern ab: Lenin und Trotzki. Trotzki verteidigte Lenins revolutionäre Linie gegen alle Schwankungen im Führungszirkel der Partei und in der Öffentlichkeit. Als im September 1917 die Bolschewiki die Mehrheit im Petrograder Sowjet errangen, wurde Trotzki zu seinem Vorsitzenden gewählt. Er leitete das Revolutionäre Militärkomitee, das für die Organisation des Aufstandes und vor allem für den Übergang der Soldaten der Petrograder Garnison auf die Seite der Aufständischen die entscheidende Rolle spielte. Das war auch bedeutsam dafür, dass die Mitglieder der Regierung Kerenski ohne Blutvergießen verhaftet werden konnten und im Oktober der Allrussische Sowjetkongress mit bolschewistischer Mehrheit die Macht übernehmen konnte.

      Ohne hier auf alle Einzelheiten dieser komplizierten Entwicklung eingehen zu können, sei nochmals hervorgehoben, dass Trotzki bei der unmittelbaren Vorbereitung, der Auslösung des Aufstandes und seiner revolutionären Weiterführung stets konsequent an Lenins Seite stand.

      Auf Trotzkis Empfehlung fasste das Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets am 12. Oktober 1917 den Beschluss, ein Revolutionäres Militärkomitee zu bilden und Trotzki den Vorsitz zu übertragen. Dieses RMK übernahm das Kommando über die Garnison der Hauptstadt, über andere Truppenteile und über die militärischen Einheiten der Partei und der Milizen. Damit wurde er zu einer Art militärischer Oberbefehlshaber, was den Ausgangspunkt für die nachfolgende Gründung und Entwicklung der Roten Armee darstellte.

      Über Trotzkis Rolle und Arbeitsweise berichten Zeitzeugen in unzähligen Publikationen das, was Suchanow – eigentlich ein Widersacher Trotzkis – in seinem Buch über das Jahr 1917 wie folgt zusammenfasste: »Trotzki riss sich von der Arbeit im revolutionären Hauptquartier los und stürzte sich in eigener Person von der Obochowski-Fabrik in die Trubochni-Fabrik, von den Putilow-Werken zu den Baltischen Werken, von der Kavallerieschule zu den Kasernen; er schien an allen Plätzen zugleich zu sprechen… Sein Einfluss, sowohl auf die Massen als auch im Stab, war erdrückend. Er war die zentrale Persönlichkeit dieser Tage und der Hauptheld dieser so wunderbaren Seite der Geschichte.« [18]

      Am Rande sei erwähnt, dass zu dieser Zeit der Name Stalin im Inland kaum und im Ausland überhaupt nicht bekannt war. Als Beleg dafür mag dienen, dass dem berühmten Buch von John Reed »Zehn Tage, die die Welt erschütterten« [19] ein Personenregister angefügt ist, in welchem Lenin 63mal, Trotzki 53mal, Kamenjew 8mal, Sinowjew 7mal, Bucharin und Stalin

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