Du bist an meiner Seite. Reinhold Ruthe

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Du bist an meiner Seite - Reinhold Ruthe

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die Kraft, jede Schuldverschiebung auf andere ehrlich und gründlich zu überprüfen.

       Da fragte der Herr ihn: »Wo ist dein Bruder Abel?«–»Was weiß ich?«,

       antwortete Kain. »Soll ich ständig auf meinen Bruder aufpassen?«

      1. MOSE 4, 10

      Bin ich das Kindermädchen für meine Mitmenschen? Oder haben wir uns vielleicht zu heillosen Egoisten entwickelt?

      Wie oft bin ich stumm gewesen, wo ich eigentlich hätte reden müssen?

      Wie oft habe ich geschwiegen, wo ich eigentlich hätte schreien müssen?

      In seinem Buch »Wer gesehen hat, muss schreien« erzählt Lindolf Weingärtner von einer alten Brücke, die eines Tages einstürzte und viele Menschen mit sich in die Tiefe riss. Nach dem Unglück geschah Folgendes: Menschen sammelten sich an beiden Ufern des Flusses. Und dann erzählte plötzlich einer mit wichtiger Miene, dass er gewusst habe, was passieren würde. Vor drei Wochen war er nämlich am Mittelpfeiler getaucht, weil sich ein Außenbordmotor seines Bootes gelöst hatte und bei der Brücke im Fluss versunken war. Dabei hatte er festgestellt, dass der Pfeiler völlig unterspült war und nicht mehr lange tragen würde.

      »Und du hast nicht geschrien, Mann?«, fragte ihn ein anderer. »Hättest du nicht schreien müssen – auf der Straße? Bei der Behörde? Auf dem Bauamt?«

      »Ich bin doch kein Fachmann!«, antwortete der Mann. »Mir hätte doch niemand geglaubt. Außerdem war es doch nicht meine Aufgabe, ich bin doch nur ein einfacher Bürger.«

      Durch sein Schweigen waren viele Menschen zu Tode gekommen.

      Auch ich habe manches Mal geschwiegen, weil ich dachte: »Misch dich nicht ein, wenn du nicht gefragt bist!«

      Auch ich habe meine Vernunft sprechen lassen: »Der Mensch ist alt genug. Er muss wissen, was er tut!«

      Auch ich habe mich entschuldigt: »Wenn du deine Hilfe aufdrängst, wirst du als Helfertyp abqualifiziert.«

      Kennen Sie das auch? Kennen Sie auch diese Ausflüchte und Entschuldigungen? Dann machen Sie sich klar: Der Mitmensch ist mein Bruder, und Gott erwartet, dass ich mich um ihn kümmere.

       Quält euch nicht mit Gedanken an morgen.

       Der morgige Tag wird für sich selber sorgen.

       Ihr habt genug zu tragen an der Last von heute.

      MATTHÄUS 6, 34

      Viele Ängste bestehen aus unsinnigen Befürchtungen. Wir denken drei Meilen im Voraus. Hinter jedem Busch sehen wir einen Räuber. Aus Mücken machen wir Elefanten. Viele Menschen sind ausgesprochene Befürchtertypen. Überall lauern für sie Gefahren, überall gibt es Sackgassen, überall geht für sie etwas schief, überall wittern sie Unfälle. Wie wahr ist das: »Ein Pessimist ist ein Mensch, dem nicht wohl ist, wenn es ihm gut geht, weil er Angst davor hat, es könnte ihm schlechter gehen, wenn es ihm besser ginge.«

      Werden Pessimisten so geboren? Nein. Kommen Menschen schon mit Befürchtungen zur Welt? Nein. Pastor Wolfram Kopfermann hat recht, wenn er im Vorwort eines Buches schreibt: »Wir sind nicht hilflose Opfer unserer Vergangenheit, vielmehr stabilisieren wir unser seelisches Leiden durch die unwahren Dinge, die wir uns heute sagen … Der Wandlungsprozess, den Menschen mit psychischen Problemen benötigen, rechnet mit der erneuernden Macht des Heiligen Geistes und ist daher ohne Gebet undenkbar.«

      Viele Christen sind Meister darin, das Unglück an die Wand zu malen. Sie schauen auf den dunklen Horizont statt auf die Macht Gottes.

      Wir quälen uns mit Gedanken an morgen, wir machen uns verrückt, wir produzieren Befürchtungen, und wir zermartern unser Hirn mit unberechenbaren Selbsteinreden. Gottes Heiliger Geist krempelt unser Gehirn um, er erneuert unser Denken und verscheucht unsere zerstörerischen Befürchtungen.

       Auch dich lockt er aus dem Rachen der Angst

       in weiten Raum, da keine Bedrängnis mehr ist.

      HIOB 36, 16

      Wie Angst emotional erlebt wird, deutet bereits die Wortbedeutung Angst an. Angst kommt von dem lateinischen Wort »angustiae«, was Einengung bedeutet. Darüber hinaus enthält Angst aber auch das Gefühl, in die Enge getrieben zu werden, das Gefühl der Unsicherheit, der Beunruhigung, des Verlassen- und Ausgeliefertseins verbunden mit Sorgen und Gewissensqualen. Der Mensch ist gespannt und unruhig, erregt bis zur Flucht, sogar bis zur wilden sinnlosen Panik.

      Einer der Freunde Hiobs, Elihu, sagt das oben genannte Wort. Das Bild ist treffend. Im Rachen, in der Enge, im Eingeschnürtsein wird die Angst zur grenzenlosen Bedrohung. Es sieht so aus, als gäbe es nur den Rachen eines Raubtieres und kein Entrinnen. Das Raubtier Angst ist existenzbedrohend. Wer im Rachen steckt, scheint rettungslos verloren. Gegen die fressende und vernichtende Angst steht Gottes Aber. Einen Vers vorher heißt es bei Hiob: »Aber den Elenden wird er erretten … « Aus der Enge in die Weite, aus dem Gefängnis in die Befreiung. Er lenkt uns und reißt uns aus dem Rachen der Angst und schenkt uns befreiende Weite.

      Wie schrieb der Philosoph Nietzsche: »Liebe richtet den Blick nach vorne, Hass blickt zurück, Angst hat den ganzen Kopf voller Augen.« Nietzsche hat recht: Der überängstliche Mensch besteht nur aus Augen der Angst.

      Übergroße Angst kann verrückt machen. Sie hat vorn und hinten Augen und fühlt sich rettungslos im Rachen eines Raubtieres. Sehen wir auf Jesus, dann hat die Angst ihren Schrecken verloren.

       Ich bin gewiss, dass uns nichts von dieser Liebe trennen kann:

       weder Tod noch Leben, weder Engel noch andere Mächte,

       w eder Gegenwärtiges noch Zukünftiges.

      RÖMER 8, 38

      Eine Form der Angst ist die Sterbeangst. Der Arzt und Psychotherapeut Professor Horst-Eberhard Richter schreibt: »Das allgemeine Angstthema, das wir in der Psychotherapie dominierend vorfinden, ist die Sterbeangst. Das ist nur zu verständlich in einer Gesellschaft, der Größe, Stärke, ewige Fitness und Jugendlichkeit alles bedeuten. Da ist der Tod das unerträgliche Verhängnis schlechthin. Nichts bestätigt die Richtigkeit der These vom unbewussten Unendlichkeitswahn beziehungsweise dem Gotteskomplex unserer Gesellschaft so überzeugend wie diese Beobachtung, dass kaum jemand mehr sterben oder anderen zu sterben wirklich helfen kann und dass auch die Medizin das Sterben nicht eigentlich zu akzeptieren vermag. Die latente Unmenschlichkeit unserer heutigen Medizin besteht darin, dass sie den Tod pausenlos als Feind diffamiert, in dessen Verhütung sie hauptsächlich ihren Sinn sieht. Im Vorfeld der Sterbeangst findet sich die Angst vor Schwäche, Kleinheit, Gebrechlichkeit. Nur wenn der Mann groß ist, wenn er aufsteigt, wenn er andere unter sich hat, kann er anscheinend mit sich zufrieden sein. Jede Blöße, jede Schwachstelle bedeutet ein bedrohliches Ausgeliefertsein.«

      Er hat recht: Der Mensch unserer Tage erlebt ein bedrohliches Ausgeliefertsein. Ohne Gott

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