Du bist an meiner Seite. Reinhold Ruthe
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Noch ist uns der Blick aus dem Raum der Ewigkeit verwehrt. Und doch machen wir die Erfahrung: Er ist unser Leben.
28. JANUAR
Als Johannes am nächsten Tag sah, dass Jesus auf
ihn zukam, sagte er: »Dieser ist das Opferlamm Gottes,
das die Schuld der ganzen Welt wegnimmt.«
JOHANNES 1, 29
Gott kann Schuld nicht einfach ignorieren. Seine Gerechtigkeit fordert Wiedergutmachung. Der amerikanische Prediger Josh McDowell veranschaulicht diese Gerechtigkeit Gottes anhand einer Begebenheit, die sich in Kalifornien zugetragen hat: Eine junge Frau wurde wegen eines Verkehrsdeliktes vor Gericht geladen. Der Richter verlas die Anklageschrift und fragte: »Erklären Sie sich schuldig oder nicht schuldig?« Die Frau bekannte sich schuldig. Der Richter fällte das Urteil. Es lautete auf hundert Dollar Geldstrafe, ersatzweise zehn Tage Haft. Doch dann geschah etwas Überraschendes. Der Richter erhob sich, legte seine Amtstracht ab, verließ seinen Platz, zog seine Brieftasche hervor und zahlte die Strafe. Wie lässt sich das erklären? Ganz einfach: Der Richter war der Vater der Verurteilten. Er liebte seine Tochter, war aber auch ein gerechter Richter. Seine Tochter hatte das Gesetz übertreten, und er konnte nicht einfach zu ihr sagen: »Weil ich dich liebe, verurteile ich dich nicht. Du kannst gehen.« Dann wäre er kein gerechter Richter gewesen, hätte sogar selbst das Gesetz gebrochen.
Die Bibel macht deutlich, dass wir alle gesündigt haben. Die Strafe für unsere Sünde ist der Tod, und Gott muss das Todesurteil verkünden. Aber seine Liebe zu uns ist so unvorstellbar groß, dass er seinen Sohn als Opferlamm ausgewählt hat, um die Sünde der Welt zu sühnen.
Der Ausdruck »Lamm Gottes« ist so wunderbar, dass er zu einem der kostbarsten Titel Jesu Christi wurde. In diesem einen Ausdruck ist alle Liebe, das ganze Opfer, das gesamte Leiden und der großartige Sieg Jesu Christi zusammengefasst.
29. JANUAR
Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt
mich nicht aufgenommen.
MATTHÄUS 25, 43
Eine fremde Stimme oder eine fremde Hautfarbe erscheinen vielen Menschen verdächtig. Sie haben das Gefühl, Fremde stehen ihnen im Weg und nehmen ihnen die Arbeit weg, weshalb sie sie ablehnen.
Die Dichterin Elisabeth Langgässer erzählte einmal eine Begebenheit. Am Eingang eines schönen Bergdorfes wollten Arbeiter einen Pfahl aufstellen, an dessen Spitze ein großes Schild genagelt werden sollte. Sie suchten sorgfältig nach dem günstigsten Platz, um ihr Schild anzubringen, denn es sollte »gewissermaßen als Gruß, den die Ortschaft jedem Fremden entgegenschickte«, dienen. Nach langem Suchen stellten sie ihr Schild unmittelbar neben ein Wegkreuz mit dem gekreuzigten Christus. Das schien ihnen der beste Platz zu sein, denn hier konnte jeder die Inschrift lesen. Und sie hatten recht, viele Menschen kamen vorbei und lasen, was auf dem Schild geschrieben stand. Langgässer schreibt: »Auch der sterbende Christus, dessen blasses, blutüberronnenes Haupt im Tod nach der rechten Seite geneigt war, schien sich mit letzter Kraft zu bemühen, die Inschrift aufzunehmen, sie ging ihn gleichfalls an … « Und wie lautete die Inschrift? »In diesem Kurort sind Juden unerwünscht.«
Für Fremde ist hier kein Zuhause. Damals waren es die Juden, heute sind es Türken, Afrikaner, Übersiedler, Asylbewerber … Menschen, die eine andere Religion, andere Sitten und Gebräuche, andere Eigenarten haben. Aber gerade in ihnen begegnet uns Jesus, in den Fremden, den Heimatlosen, den Vertriebenen, den Verfolgten. Jesus hat sich immer für Ausgestoßene und Abgelehnte stark gemacht. Wer sie antastet, tastet auch ihn an. Wie schrieb der katholische Theologe Romano Guardini: »Das ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn, dass einer dem anderen Rast gebe auf dem Weg nach dem ewigen Zuhause.«
30. JANUAR
Denk an deinen Schöpfer in der Jugend, ehe die bösen
Tage kommen und die Jahre sich nahen, da du wirst sagen:
»Sie gefallen mir nicht.«
PREDIGER 12, 1
»Altwerden ist das schwerste Examen, das Gott uns zumutet«, hat ein weiser alter Mensch geschrieben.
Der Schriftsteller Edgar Allan Poe ist für seine spannenden, oft gruseligen Geschichten bekannt. Eine handelt von einem Gefangenen, der in einer Zelle sitzt und das unbarmherzige Gefühl hat, dass sich die vier Wände langsam, aber unaufhaltsam auf ihn zubewegen. Der Häftling muss erkennen, dass sein Lebensraum von Stunde zu Stunde kleiner wird und ihm allmählich die Luft ausgeht. Schließlich kann er die Tage berechnen, die ihm noch bis zum Ende verbleiben, bevor ihn die Wände grausam zermalmen werden. Er sieht keinen Ausweg, es gibt keine Tür, kein Fenster, keine andere Öffnung.
Solche Panikattacken können auch uns befallen, wenn unsere Erwartungen auf diese Weltzeit beschränkt bleiben. Ich denke zum Beispiel an einen Mann, der von Selbstmordgedanken geplagt wurde, weil er im Leben keinen Ausweg mehr sah. Auch für ihn gab es keinen Lichtblick, kein Schlupfloch, seine Welt war »mit Brettern zugenagelt«, wie wir zu sagen pflegen, wenn wir es mit Menschen ohne Hoffnung und ohne Zukunft zu tun haben.
Der Prediger hat recht: »Denk an deinen Schöpfer in der Jugend, ehe die bösen Tage kommen.« Das Alter wird gern mit den Jahreszeiten Herbst und Winter verglichen. Die Kraft der Sonne hat dann nachgelassen. Die klare Luft ist mit weiter Fernsicht verbunden. Das Reifen der Früchte und die Beeren an den Sträuchern sind eine letzte wunderbare Hymne an den lebendigen Gott. Aber Resignation und Verzweiflung müssen nicht das letzte Wort behalten, denn das Leben hat kein schreckliches Ende. Vielmehr heißt das Ziel Ewigkeit bei Gott. Wer aber von diesem irdischen Leben alles erwartet, der wird »böse Tage« doppelt schmerzlich empfinden.
31. JANUAR
Noch im Greisenalter gedeihen sie, sind saftvoll und grün.
PSALM 92, 1 – 5
Von den Alten ist hier die Rede. »Sie werden sprossen wie Palmen und Zedern. Sie werden grünen in den Vorhöfen unseres Gottes.« So heißt es im Textzusammenhang.
Albert Schweitzer, der bekannte Arzt und universelle Denker, hat wunderbare Sätze über den alternden Menschen geschrieben: »Niemand wird alt, weil er eine Anzahl Jahre hinter sich gebracht hat. Man wird nur alt, wenn man seinen Idealen Lebewohl sagt. Mit den Jahren runzelt die Haut, mit dem Verzicht auf Begeisterung aber runzelt die Seele. Sorgen, Zweifel, Mangel an Selbstvertrauen, Angst und Hoffnungslosigkeit, das sind die langen, langen Jahre, die das Haupt zur Erde ziehen und den aufrechten Geist in den Staub beugen. Ob siebzig oder siebzehn, im Herzen eines jeden Menschen wohnt die Sehnsucht nach dem Wunderbaren. Du bist so jung wie deine Hoffnung, so alt wie deine Verzagtheit. Solange die Botschaften der Schönheit, Freude, Kühnheit, Größe, Macht von der Erde, den Menschen und dem Unendlichen dein Herz erreichen, solange bist du jung. Erst wenn die Flügel nach unten hängen und das Innere deines