NachtTaxi. Thorsten Amrhein
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Читать онлайн книгу NachtTaxi - Thorsten Amrhein страница 6
»Wir müssten dann wohl die Wahrheit sagen: ›Wir sind vergewaltigt worden – aber schön war’s!‹« Beide freuen sich köstlich.
»Wir zahlen dann natürlich keinen Cent. Der Taxifahrer hat ja dafür seinen Spaß gehabt. Eigentlich müssten wir etwas bekommen.«
»Jeder am besten 100 Euro, das wäre wohl angemessen.«
»So lustige Gäste haben Sie nicht jeden Abend, wie?«
»Nur wenn ich getrunken habe fange ich an wie ein Wasserfall zu reden. Sonst bin ich ganz still.«
»Sie können bestimmt ein Buch schreiben von Ihren Erlebnissen. Ich habe schon einen Titel für Sie: Meine Weggefährten. Merken Sie sich den Titel.«
Die Dame hinter mir verabschiedet sich mit einem raffinierten Fluch, der hiermit in Erfüllung gegangenen ist: »Versuchen Sie mich zu vergessen – es wird Ihnen nicht gelingen!«
Filmreife Szene
Eine Menschentraube steht vor einem Chinarestaurant, die Asiaten diskutieren laut miteinander und gestikulieren wild dabei. Ich nähere mich im Schritttempo.
Als eine junge Asiatin mein Taxi sieht, löst sie sich sofort von der Gruppe, kommt zu mir herüber und öffnet die Beifahrertür. Sie bleibt aber draußen stehen und spricht erregt mit den anderen, die ein Stück näher an mein Taxi herangerückt sind. Ich kann kein Wort verstehen, sie sprechen chinesisch für mich. Der Lautstärkepegel nimmt stetig zu, ein heftiger Streit ist im Gange. Zeitweise schreien alle Beteiligten durcheinander. Ich warte mindestens fünf Minuten, doch der Disput scheint kein Ende zu nehmen. Das Mädchen macht keine Anstalten, sich ins Taxi zu setzen, während sie zur Menge gewandt immer verzweifelter spitze Laute hervorstößt.
Plötzlich springt sie blitzartig auf den Sitz, schlägt die Tür zu und sagt aufgeregt: »Bitte schnell, Türen zu machen! Fahren Sie!« Während ihrer Worte kommt es neben meinem Taxi zu einem Tumult, irgendjemand wird von den anderen zurückgehalten. Ich suche nach dem Knopf für die Zentralverriegelung, kann ihn aber nicht finden. Dieses ältere Mercedes-Modell besitzt anscheinend gar keinen.
Als ich anfahre, reißt jemand aus der Menge die Wagentür hinten rechts auf. Meine Beifahrerin schreit laut auf: »Neiiiinnn! Fahren Sie, schnell, schnell!« Die Verzweiflung der jungen Frau veranlasst mich zu einem Kick down, die alte Mercedesautomatik kommt aber nicht in die Gänge. Der junge Mann streckt bereits einen Fuß ins Taxi. Die Angst des Mädchens überträgt sich auf mich. Ich fühle mich plötzlich selbst in Gefahr und gebe ohne Rücksicht auf Verluste weiter Vollgas, ich will ihn abschütteln. Der Mann greift mit einer Hand an die halb geöffnete Tür, mit der anderen klammert er sich an den Türrahmen, eines seiner Beine hat er schon im Auto untergebracht, mit dem anderen hüpft er auf dem Asphalt hinterher. Mit letzter Kraft hechtet er auf die Rückbank. Ich stoppe.
Die anderen Asiaten rücken nach und der Streit geht munter weiter. Das Mädchen schreit nun im Auto mit vermutlich ihrem Freund auf der Rückbank. Sie scheint vor ihm eine panische Angst zu haben. Nach einer Weile fleht sie mich mit weinerlicher Stimme an: »Bitte, helfen Sie mir!«
»Soll ich die Polizei über Funk rufen?«, frage ich.
Die Diskussion setzt sich fort, ohne dass ich eine Antwort bekomme. Erst als ich die Frage zum dritten Mal stelle, ringt sich die junge Asiatin ein »Ja, Polizei« ab.
Während ich drohend meine Hand über die Funktaste halte und auf einen Moment warte, in dem der Funkverkehr etwas nachlässt, beruhigen sich alle Beteiligten etwas. Schließlich sagen alle einmütig: »Doch keine Polizei.«
Das Mädchen spricht mit dem jungen Mann auf der Rückbank. Plötzlich wird es ganz still und der junge Mann bringt leise mit leicht gesenktem Haupt einige Worte mühsam hervor. Nach einer lautstarken Erwiderung des Mädchens wiederholt er noch einmal lauter und deutlicher seine zuvor artikulierten Laute. Ich bin mir sicher, dass sich ihr Partner entschuldigen oder irgendein Versprechen abgeben muss, ohne dass ich auch nur den Sinn eines einzigen Wortes erahnen kann. Dann steigen beide wieder aus. Der Mann hat sein Ziel erreicht.
Auf der Flucht
Aus dem Halbdunkel stürzt ein Mann mit schräg nach oben gestrecktem Arm hervor und läuft fast vor meinen Wagen. Ich mache eine Vollbremsung und komme gerade noch rechtzeitig zum Stehen. Der Mann schlurft um die Kühlerhaube herum und steigt ein.
»Zum Glück habe ich Sie gesehen«, sage ich, »das war ganz schön knapp«. Der Mann zeigt keine Reaktion, aber mir steckt der Schreck noch in den Gliedern.
»Da haben Sie Glück gehabt, dass ich zufällig vorbeigekommen bin. Um diese nachtschlafene Zeit können Sie hier in Buchholz lange auf ein freies Taxi warten, oder haben Sie eines bestellt?«
»Nein, ich habe keines bekommen«, sagt der Mann monoton.
Ich bin irritiert: Was soll das bedeuten? Entweder er hat bestellt oder nicht. Jetzt bemerke ich erst, dass er nur im Pullover unterwegs ist und das bei fünf Grad Außentemperatur. Wir fahren zunächst schweigend Richtung Zentrum.
»Können Sie nicht das Radio anmachen?«, unterbricht mein Beifahrer die Stille. Nun bewegen wir uns mit Musik und weiterhin ohne Gespräch fort.
»Ich bin psychisch krank«, sagt mein Fahrgast plötzlich, »ich bin gerade aus der Medizinischen Hochschule ausgebrochen. Ich habe dort jemanden niedergeschlagen, der wollte mich nicht gehen lassen.« Nach kurzer Pause fügt er noch an: »Manche Leute haben ja was gegen psychisch Kranke!?« Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er mich dabei prüfend anguckt.
»Ich finde nicht, dass sie ausgegrenzt werden sollten«, sage ich sicherheitshalber.
»Ich habe fünf Polizisten auf einmal verprügelt.«
»Wirklich?«, lache ich.
»Glauben Sie mir etwa nicht?«, fragt er mit einem drohenden Unterton.
»Doch, doch«, versuche ich ihn zu beschwichtigen, »ich finde es nur gut. Das würde ich auch manchmal gern machen.«
»Wenn mir niemand etwas will, bin ich ruhig, aber sonst werde ich böse. Ich war früher einmal Boxer.«
Damit gibt er mir unmissverständlich zu verstehen, dass mir ja nicht einfallen sollte, die Polizei zu benachrichtigen. Er spricht mit etwas starrem Blick und steifer Körperhaltung immer nach vorn gewendet. Zwischendurch regt er sich bei seinen Erzählungen etwas stärker auf, woraufhin ich versuche, ihn wieder zu beruhigen.
»Ich kann nur sagen: Das wünsche ich niemandem. Psychisch krank zu sein ist das Schlimmste. Bei mir weiß ich, wodurch die Psychose ausgelöst worden ist. Ich hatte einmal einen schweren Autounfall …«
Ich denke sofort: »Aha, wohl eine körperliche Ursache, bestimmt eine Gehirnverletzung.« Aber ich habe mich getäuscht.
»Bei dem Unfall sind eine Frau und ihr kleines Kind gestorben. Ich habe das jetzt einigermaßen verarbeitet, aber manchmal muss ich noch daran denken.« Sein Gesicht verzerrt sich und er beginnt leise zu schluchzen. »Seit drei Monaten war ich jetzt in der MHH, ich musste einfach raus.«
»Geld haben Sie aber dabei?«, frage ich.
»Natürlich,