Ich sag's mit Sax!. Kathrin Eipert
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Trotz beruflicher Anspannung investierten sie sehr viel Zeit in mich. Wir lasen in Kinderbüchern, sangen Lieder und unterhielten uns sehr viel über Dinge, die wichtig sind für einen kleinen Menschen. Ich meine solche Sachen wie Ehrlichkeit, Anstand, Respekt und Mut zum Gefühlezeigen. Musikalisch waren meine Eltern glücklicherweise auch. Als ich aus dem Schrei- und Rasselklapperalter raus war, hatte ich plötzlich ein Akkordeon um! Nach gefühlten zehn Wochen, vielleicht waren es tief in meiner Seele auch nur zehn Minuten, beschloss ich: DAS Instrument hasse ich. Meine Standpunkte verteidigte ich schon damals recht konsequent. Ich zeigte kurzzeitig Kompromissbereitschaft, aber immer gekoppelt mit allen falschen Tönen, die ich dem Ding entlocken konnte. War auch nicht schwer. Ich tat einfach so, als würde ich üben. Den monotonen Klang des Akkordeons blendete ich durch konsequentes Weghören aus.
Man kann mit gewissen Ton-Kombinationen schon akustische Umweltverschmutzung betreiben und damit elterliche Nerven extrem auf die Probe stellen.
Und genau das war der Plan. (… Mut zum Gefühlezeigen!) Der Sound des Akkordeons war für mich persönlich der grausamste Sound meines Lebens. Und mein Blick war nie auf den Noten, sondern immer auf Papas faszinierendem SAXOPHON! Nach kurzer Zeit hielt ich es das erste Mal allein in den Händen.
Das Saxophon fühlte sich grandios an, fast so, als wäre es extra für mich gebaut worden. Es sah umwerfend aus, mit all seiner Eleganz und Persönlichkeit.
Ich erinnere mich noch heute, dass in diesem Augenblick ein Lichtstrahl auf die goldig glänzenden Klappen fiel.
Was für ein magischer Moment! Ich entlockte dem Sax einen ersten Ton und hatte sofort das Gefühl: DIESES Instrument »lebt«.
Ab diesem Zeitpunkt waren meine Puppen langweilig. Als Papa mir dann noch eine Melodie vorspielte, die ich Wochen vorher auf dem Akkordeon üben musste und akustisch der direkte Vergleich stand, war es um mich geschehen.
Halleluja, genau das war es, was ich wollte.
Liebe auf den ersten Ton.
Als Kind im Urlaub … die entspannteste Zeit überhaupt.
Arco war einer der ersten Männer in meinem Leben.
Saxophon- und Klavierlehrer
In elterlicher Obhut begann also meine Musikausbildung. Papa legte meine Finger auf die Klappen des Saxophons und zeigte mir, wie man ihm Töne entlockt. Mama schulte mein Gehör durch Klavierbegleitung. Wir musizierten zu dritt. Es machte riesigen Spaß. Allerdings passierten mir doch einige falsche Töne (in Wirklichkeit war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Ton richtig). Wie bei jeder Ausbildung gehörten demzufolge auch Korrekturen dazu.
In meinem kindlichen Kopf war das allerdings ein unerträglicher Zustand. ICH sollte Fehler machen? Niemals! Das sagten sie doch nur, weil mein Kinderzimmer nicht wirklich einem sterilen OP-Saal glich! Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Mein Zimmer mutierte hin und wieder schon zum Chaos. Teilweise musste man echt sportlich sein, um so große Schritte machen zu können, dass man unfallfrei von der Tür zum Schrank kam. Aber Saxophon üben war einfach wichtiger, als aufzuräumen. Und diese Prioritäten setzte ich verdammt konsequent.
Um die häusliche Harmonie zu retten, bekam ich einen fremden Lehrer, Gerhard Jahn. Ich fuhr nun einmal wöchentlich von meiner kleinen Heimatstadt Brehna mit dem Zug nach Halle zur Musikschule. Gerhard Jahn war klasse, aber auch autoritär.
Wir wurden schnell richtig gute Freunde. Ich widersprach fast nie und übte verdammt fleißig all diese Etüden. Derartige Übungen dienen unter anderem der Fingerfertigkeit und klingen meist unterirdisch langweilig. Oft ging eine Etüde mindestens über eine A4-Seite. Ich mochte sie trotzdem und spielte aus Spaß mit mir selbst um die Wette. Jeden Tag notierte ich mein erreichtes Tempo und freute mich wie ein Schneekönig, wenn ich wieder schneller geworden war. Einige davon kann ich noch heute auswendig. Aber ich wollte mehr, moderne Lieder, schöne Melodien, Solostücke und so etwas! Herr Jahn erfüllte mir diese Wünsche hin und wieder, achtete aber stets auf korrekte Ausführung der parallel aufgegebenen Etüden. Später baute er musikalische Ausflüge in die Klassik ein. Beethoven, Mozart, Händel, Vivaldi! Sie alle erforderten flotte Fingerfertigkeit und ich verstand den Sinn der Etüden am praktischen Beispiel. Sobald wir ein melodisches Stück behandelt hatten, standen wieder zehn Wochen Etüden im Programm.
Eines Tages meinte Herr Jahn, dass ich zusätzlich Klavierunterricht brauche. Okay! Er empfahl mir meinen zukünftigen Klavierlehrer mit den Worten: »Kathrin, der ist gaaaanz witzig, ihr werdet jede Menge Spaß haben.« Meine Liebe galt dem Sax, das stand fest für die Ewigkeit, aber nach der Tragik mit dem Akkordeon beschloss ich, den schwarz-weißen Tasten noch eine Chance zu geben. Ich vertraute ja auf die Ankündigung »witzige und spaßige Person« und ging mit genau diesem Gedanken zur ersten Klavierstunde.
Herbert Benasse begrüßte mich: »G-g-guten T-t-Tag K-k-kathrin, sp-p-piel mir d-d-doch mal w-w-was vor!«
Super, dachte ich, er macht gleich am Anfang einen Witz! Nun wollte ich die Fröhlichkeit seinerseits knackig fortführen und antwortete: »G-g-guten T-t-Tag Herr B-b-benasse! K-k-klar d-ddoch!« Da war er – dieser Moment – schockierte LKW-Reifengroße Augen sahen mich an. »Scheiße!«, schoss es mir durch den Kopf und ich begriff in diesem Augenblick, dass die Begrüßung gar nicht witzig sein sollte. Herr Benasse stotterte wirklich! In diesem Moment wäre ich am liebsten in den Erdboden versunken.
Natürlich wurde ich röter als mein extra neu gekaufter Pullover, ich bekam Schweißausbrüche und meine Finger wurden beim Vorspiel noch steifer, als sie eh schon waren. Dieser fürchterliche Fauxpas war mir Jahre später noch schrecklich peinlich. Die nächsten sechs Jahre Klavierunterricht wurden alles andere als witzig und meine Liebe zum Saxophon wurde manifestiert.
Immerhin – er brachte mir ne Menge bei, war immer fair und ließ mich durch keine Prüfung rauschen. Eine halbwegs gute Pianistin konnte er aus mir trotz aller Kraftanstrengung nicht machen.
Die erste Band
Irgendwann fragten mich meine Musik-Lehrer tatsächlich, ob ich Lust hätte, in ihrer Band zu spielen. So durfte ich noch als Schülerin neben meinen Lehrern Gerhard Jahn und Herbert Benasse in der größten Halleschen Tanzband aufschlagen.
Ab jetzt war ich Saxophonistin in der Wolfgang Kudritzki Band!
Es war die beste Schule, die mir passieren konnte. Neben Profis als blutiger Anfänger (wobei ich das zu diesem Zeitpunkt keineswegs so sah!) lernte ich, die Theorie in der Praxis anzuwenden. Blattspiel zum Beispiel … das heißt, man bekommt ohne Probe irgendein fremdes Notenblatt vorgelegt und schon geht’s los … 1-2-3-4 und ab die Post! Das war wörtlich zu nehmen, die Männer waren schneller als die Polizei erlaubt, und bis ich es begriff, waren die Herren bereits im Refrain. Das Prozedere wiederholte sich tragischerweise regelmäßig.
Wir begleiteten auch Artisten – die mitgebrachten