Leben statt Angst. Felix R. Paturi

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Leben statt Angst - Felix R. Paturi

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Das Gehirn spezialisiert sich.

      So kommt beispielsweise so gut wie jedes Baby mit dem perfekten Gehör auf die Welt. Die meisten Erwachsenen in unserem Kulturkreis haben diese Fähigkeit unwiederbringlich verloren, denn spätestens mit Schulbeginn werden unsere Wahrnehmungen weitgehend auf den logischen Informationsgehalt von Geräuschen (etwa der Sprache) gelenkt und nicht auf musikalisches Kolorit und den Wohl- oder Missklang von Tonintervallen. Wird dasselbe Kind in einer Musikerfamilie groß oder in einem Land wie China, dem die Tonhöhe ein und desselben gesprochenen Wortes wesentliche Informationen liefert, dann bleibt sein absolutes Gehör nicht nur erhalten, es wird verfeinert.

      Ähnlich ist es mit dem Kehlkopf und den Stimmbändern. Die Anatomie eines Babys erlaubt es, sämtliche sprachlichen Geräusche aller Idiome der Welt zu erlernen. Aber schon das Kleinkind, das vorwiegend durch Nachahmen lernt, übt fortwährend nur die Sprachgebungen, die es von seinen Eltern und Geschwistern hört, und dazu gehören etwa in Deutschland nicht gerade die gutturalen Klangbilder, die zum Beispiel ein Araber beim Sprechen erzeugt. Jedes Kleinkind kann etwa bis zum zweiten oder dritten Lebensjahr die Klangfarben aller Sprachen der Welt erlernen, danach geht das nicht mehr, denn dann ist bereits das Gehirn, das schließlich auch die Stimmbänder steuert, in dieser Hinsicht irreversibel programmiert.

      Das geht so weit, dass zum Beispiel die erwachsenen Europäer in der linken Großhirnhälfte logische Prozesse verarbeiten und in der rechten Hälfte emotionale Eindrücke auswerten, während sich das bei einem Japaner genau umgekehrt verhält. Diese Gehirnregionen-Belegung ist nicht etwa durch die Rasse bedingt, also genetisch festgelegt, sondern wird in den ersten Lebensjahren durch Gehirnstrukturierung „hardware-programmiert“. Die Sprache und ihre Lautformung spielen dabei eine äußerst wichtige Rolle. Dieses Programmieren geschieht durch Abbau – beziehungsweise Nichttrainieren – von im eigenen Kulturkreis Überflüssigem.

      So kommt zum Beispiel auch jedes Kind mit einem angeborenen umfassenden sprachlichen Grammatikgefühl zur Welt. das spezielle Gefühl für die Grammatik der Muttersprache, das sich bis etwa zum 15. Lebensjahr daraus entwickelt, erfolgt nicht durch aufbauendes Lernen, sondern durch Reduktion der angeborenen einfachen Universalgrammatik auf die landesspezifischen Feinheiten. Alles Überflüssige wird nicht geübt, sondern fortgelassen und schließlich gründlich vergessen.

      Die Fähigkeit zur Angst ist angeboren

      Genauso verhält es sich mit Grundängsten. Jedes Baby bekommt mit der Geburt eine umfassende Palette von potenziellen Ängsten mit, trainiert aber in seiner spezifischen Umgebung nur jene, die ihm dafür hilfreich sind, rechtzeitig Gefahren zu erkennen. Ein Kind, das seine Eltern ohne körperliche Gewalt erziehen, ist nicht ständig von der Gefahr bedroht, sich eine Portion Prügel oder eine Ohrfeige einzufangen, und seine entsprechenden Angstgefühle werden verkümmern. Stattdessen wächst Vertrauen in ihm. Es wäre aber sinnlos, das Spiel zu übertreiben. Eltern, die ihren Kindern eine generell gewaltfreie Welt vorspielen und sie beispielsweise bis weit in die Pubertät von den Gräuelmeldungen der alltäglichen TV-Nachrichten fernhalten, ermöglichen den heranwachsenden Menschen nicht, so etwas wie ein psychisches Immunsystem zu entwickeln. Ich werde auf diesen wichtigen Punkt noch später zurückkommen.

      Wie schwer sich unser Kulturkreis damit tut, Kindern zu helfen, mit ihrem angeborenen Angstpotenzial sinnvoll umzugehen, zeigt sich nicht zuletzt an den in unseren Landen besonders verbreiteten Alpträumen bis ins Erwachsenenalter hinein. Die meisten Stammesvölker lehren ihre Kinder, an Angstträumen zu reifen und sie schließlich ganz zu verlieren.

      Wie wenig unser Kulturkreis es versteht, sinnvoll mit den angeborenen Urängsten unserer Kinder umzugehen, und welche schwer wiedergutzumachende Schäden dadurch entstehen, wird uns im nächsten Kapitel ausgiebig beschäftigen müssen.

      Neben diesen allgemeinen menschlichen Urängsten gibt es genetisch festgelegte, aber individuell spezifische Ängste. Die Erbmasse bestimmt zu einem hohen Maße, ob ein Mensch eine grundsätzlich ängstliche Natur besitzt, oder ob er den Charakter eines weitgehend furchtlosen Draufgängers hat. Auch bestimmte Phobien sind wahrscheinlich angeboren.

      „Seelenverlust“

      Wer einen geliebten Menschen sehr fest an sich bindet und ihm keinen Freiraum lässt, sich selbst seelisch zu entfalten, programmiert damit Verlustängste bei sich selbst und bei seinem Partner, sofern sich dieser die enge Bindung gefallen lässt.

      Von den angeborenen Ängsten sind erworbene Ängste zu unterscheiden. Sie sind meist mit dem gleichzusetzen, was der Schamane unter „Seelenverlust“ versteht. Dafür kann es zahllose verschiedene Ursachen geben. Ein Grund für Seelenverlust liegt zum Beispiel in traumatischen Ereignissen. Jede siebte erwachsene Frau in unserem Kulturkreis wurde als Kind oder junges Mädchen sexuell missbraucht – und das meistens innerhalb der eigenen Familie oder Verwandtschaft. Rund jedem zehnten erwachsenen Mann widerfuhr als Kind Gleiches.

      Andere Traumata können Unfälle, schwere Verletzungen, größere Operationen in Vollnarkose, der Verlust nahestehender Menschen, die Beobachtung von Katastrophen und so weiter sein. Seelenverlust kann auch ein ungeliebter Beruf mit sich bringen („Mein Vater bestand darauf, dass ich seine Anwaltskanzlei übernehme.“), eine den Willen brechende militärische Ausbildung oder auch ganz einfach jahrelange, stumpfsinnige Routine.

      Es gibt „Seelendiebe“, die anderen Menschen aus reiner Bosheit, aus Neid und Konkurrenzdenken (Mobbing) oder anderen niederen Gefühlen Seelenteile klauen, indem sie ihre Opfer psychisch ruinieren. Und es gibt Menschen, die ihren Kindern oder Lebenspartnern Seelenteile aus falsch verstandener Liebe stehlen. Manche Eltern sorgen sich derart intensiv um ihre lieben Kleinen, dass denen buchstäblich keine Luft zum Atmen bleibt. Sie wollen sie vor allen möglichen Gefahren schützen und ihnen jeden Weg ebnen und begreifen dabei nicht, dass ein Kind eben nur aus eigenen Fehlern und aus objektiven Gefahren heraus lernen und sich zu einer selbstständigen Persönlichkeit entwickeln kann. Ein Ehemann oder eine verheiratete Frau versucht, ihren Partner durch rasende Eifersucht an sich zu binden, oder umsorgt das „geliebte Wesen“ so rund um die Uhr, dass diesem auch der letzte seelische Freiraum genommen wird.

      Und schließlich kann man „sein Herz auch bedingungslos verschenken“. Dies ist genauso dumm. Nicht selten kommt es nach einer scheinbar glücklichen und harmonischen Ehe vor, dass einer der Partner stirbt und gleichsam ein Seelenteil, das ihm der andere „geschenkt“ hat, mit ins Grab nimmt. Wenige Monate später ist dann auch der Hinterbliebene schwer krank, depressiv und stirbt wenig später selbst.

      All diese Seelenverluste sind unweigerlich mit Ängsten verbunden.

      Auch psychische Dauerüberforderung erzeugt Angst

      Angst kann man aber auch noch auf eine weitere Art und Weise erwerben; dann nämlich, wenn man ständig im Übermaß objektiven Bedrohungen und Gefahren ausgesetzt ist, wie etwa ein unterdurchschnittlich begabter Schüler, den seine Eltern zwingen, das Gymnasium zu besuchen. In der Schule hat er täglich aufs Neue Angst, abgefragt zu werden, und nach Hause traut er sich mit seinen schlechten Noten schon gar nicht, weil es dann Schelte hagelt. Nicht viel anders ergeht es einem US-Soldaten im Irakeinsatz oder bei einem ähnlich sinnlosen militärischen Unterfangen. Und auch die einheimische Bevölkerung im Kriegsgebiet, die sich nicht mehr auf die Straße wagt, weil sie täglich Gefahr läuft, von einem ihrer „Befreier“, der irgendwo als Heckenschütze lauert, erschossen zu werden, wird so lange von ständiger Angst gequält, bis diese zur zweiten Natur wird.

      Welche Arten von Angst gibt es überhaupt?

      Nach dieser

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