Das Schmusekätzchen und andere Geschichten. Manfred Wiedemann
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Nachdem sich Rita einigermaßen gefasst hatte, überlegte sie was sie nun tun könne. Sie wusste sich keinen Rat, nur, dass sie bei der ersten Gelegenheit fortlaufen würde, nahm sie sich fest vor. Die Zeit verging. Es kamen jeden Tag andere Freier und sie musste ihnen zu Willen sein. Sie bettelte jeden an, sie doch mitzunehmen und mancher versprach ihr auch, sie zu befreien. Doch keiner hielt sein Versprechen; sie war den Leuten hoffnungslos ausgeliefert. Da begann sie, sich zu wehren, kratzte und biss ihre „Kunden“, was ihr aber nur Prügel einbrachte. Der Mann, dem sie dies alles verdankte, erklärte ihr, dass aus ihr noch ein braves Schmusekätzchen würde, wenn sie erst begriffen habe, dass dieses Leben für sie nicht das schlechteste sei. Und wenn sie eingesehen habe, dass sie auf diese Weise viel Geld verdienen würde, dürfe sie auch mal in die Stadt gehen, vor ihr hätten das schon viele ihrer „Kolleginnen“ auch eingesehen. Rita hatte nur noch die Hoffnung, dass ihr Franz sie irgendwie finden würde, der würde sie dann schon befreien. Aber wollte der überhaupt noch etwas von ihr wissen, wenn er erfuhr, was mit ihr geschehen war? An ihre Eltern und das Dorf zu Hause wollte sie gar nicht mehr denken. Von Hoffnung und Zweifeln geplagt, lebte sie dahin.
*
Inzwischen war die Nachrichtensperre der Marine längst aufgehoben und Franz schrieb Brief um Brief an seine Rita. Die Antwort blieb aus und es kam auch keiner der Briefe zurück. Franz dachte, dass sie es nun doch aufgegeben habe, auf ihn zu warten und verfluchte die Marine und die Kubakrise. Aber sie hätte ihm doch wenigstens schreiben können, dass es aus sei und dass er nicht mehr auf sie warten solle. Auch er war voller Zweifel. Konnte es denn sein, dass sie ihn einfach vergessen hatte? Er schrieb an ihre Eltern, doch auch die gaben keine Antwort.
Franz, eigentlich ein fröhlicher und immer gut gelaunter Seemann, verrichtete seinen Dienst an Bord gleichmütig und sprach kaum noch mit seinen Kameraden. Aber er ging immer häufiger allein an Land, trank sich immer öfter einen Rausch an und war ein ungemütlicher Zeitgenosse geworden. Einem Kameraden vertraute er schließlich seinen ganzen Kummer an, doch der meinte nur, dass die Weiber es nicht wert wären, dass man sich um sie Sorgen macht, und schließlich gäbe es genügend andere, mit denen man seinen Spaß haben könne. Franz gab ihm zwar recht, aber es hatte ihm nicht wirklich geholfen. Er versuchte wieder der „Alte“ zu sein, war aber launisch und gelegentlich auch streitsüchtig. Seine Kameraden gingen ihm mehr und mehr aus dem Weg. Franz wusste einfach nicht, wie es weitergehen sollte.
Man sagt, die Zeit heile Wunden, und so war es auch bei Franz. Er lernte ein nettes Mädchen kennen und verbrachte viel Freizeit mit ihr, wenn er an Land war, aber er liebte sie nicht. Auch wenn er sich das manchmal einbildete. In seinem Urlaub fuhr er nicht mehr nach Hause. Er verbrachte ihn bei seiner neuen Freundin, die ihn trotz seiner oft launischen Art sehr liebte. Es war manchmal für sie recht schwer an ihn heranzukommen und wenn sie ihn fragte, ob ihn etwas bedrücke, sagte er nur, dass er eben sei, wie er sei. Eines Tages aber erzählte er ihr seine ganze Liebesgeschichte und war danach wie befreit. Er konnte seine Anke jetzt wirklich lieben und bald darauf verlobten sich die beiden.
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In seinem Heimatdorf gab es gab es inzwischen die wildesten Gerüchte. Die Leute erzählten sich, dass Franz mit Rita wohl irgendwo im Ausland sei, dass es ihnen sicher sehr schlecht gehe und dass man darum nichts von ihnen höre. Manche glaubten sogar, dass er sie umgebracht habe und er deshalb im Gefängnis sei, denn sonst würden sie sich doch sicher einmal melden. Denn auch von Franz gab es weder etwas zu sehen, noch zu hören. Auch seine Freunde wussten nichts von ihm. Franz Eltern wussten nur sehr vage, was ihr Sohn trieb, denn er schrieb in den seltenen Briefen nur, dass er nicht mehr heim käme und dass es ihm ansonsten aber gut ginge. Im Dorf aber vermutete man, dass die nichts erzählen würden und wenn doch, sei es sicher nicht die Wahrheit.
Ritas Eltern wussten natürlich noch viel weniger von ihrer Tochter. Eine Freundin von Rita meinte zu wissen, dass sie wohl zu Franz gefahren sei, sie hätte so etwas einmal angedeutet. Genaueres wüsste sie aber auch nicht, denn konkret hätte Rita auch ihr nichts verraten. Am Anfang war natürlich auf dem Hof ihrer Eltern die Hölle los, ihr Vater machte der Mutter Vorwürfe, dass sie ihre Tochter nicht richtig erzogen habe und dass sie viel zu gutmütig mit ihr umgegangen sei. Sie hätte ihr mehr zu arbeiten geben sollen anstatt ihr so viele Freiheiten zu erlauben, dann hätte die auch nichts mit einem Matrosen angefangen; man wüsste ja, was das für Leute seien. Es wäre noch nie gut gewesen, wenn man sich mit solchen Leuten einlasse.
Mit der Zeit aber wurde auf dem Hof gar nicht mehr über Rita gesprochen. Ihr Vater meinte nur, dass er keine Tochter mehr habe, auch wenn sie zurück käme. Ihre Mutter betete und hoffte und hatte Tag und Nacht Tränen in den Augen; sie ging zum Dorfpfarrer, um dort Trost zu finden. Aber der Pfarrer reagierte ähnlich wie ihr Mann und auch er machte ihr Vorwürfe. Sie hätte ihr Kind nicht richtig katholisch erzogen, sonst wäre es nicht soweit gekommen. Sie könne nur noch für ihre missratene Tochter beten. Das Haar der armen Frau war über Nacht grau geworden, sie wurde schwer krank und starb schließlich an ihrem Kummer.
Das Leben im Dorf aber ging weiter und man sprach nur noch selten von der verschwundenen Rita und ihrem Matrosen. Als aber einmal ein vorlauter Bauernbursche Witze über die beiden machte, schlug ihm ein Freund von Franz eine blutige Nase. Seitdem redete man nur noch mit vorgehaltener Hand über die beiden, was aber vor allem gewisse „Kirchenweiber“ nicht lassen konnten. Man kannte ja solche Leute und Ritas Mutter sei nicht umsonst so früh verstorben, denn auch sie habe nicht den richtigen Glauben gehabt. Der Pfarrer selbst habe dies einmal gesagt.
*
Drei Jahre Dienstzeit bei der Marine waren vorbei und Franz ließ sich in Flensburg nieder. Er fand in einer kleinen Möbelfabrik gute Arbeit, machte seine Meisterprüfung und heiratete seine Anke. Die beiden lebten wie andere Ehepaare auch mal mehr und mal weniger glücklich, hatten zwei liebe Kinder und die Jahre gingen vorbei. Gelegentlich dachte Franz noch an Rita, verdrängte diese Gedanken aber schnell wieder. Sie hatte wohl auf Wunsch ihrer Eltern einen reichen Bauernsohn geheiratet und das Leben nahm wohl auch bei ihr seinen gewohnten Gang. Seinen Urlaub verbrachte Franz mit seiner Familie immer in Schweden oder Norwegen. Er weigerte sich, in den Süden zu fahren, auch wenn Anke ihn immer wieder bat, doch in die Alpen zu reisen. Franz meinte nur, in Norwegen gäbe es auch Berge und die seien sogar schöner als die Alpen.
Eine ungewisse Angst hinderte ihn daran, im Süden Urlaub zu machen, denn er fürchtete, dass Anke seinen Heimatort sehen wolle und er wollte auf keinen Fall an die Vergangenheit erinnert werden. Lieber blieb er im Ungewissen um Rita. Zudem waren seine Eltern inzwischen verstorben, was also sollte er dort? Er war zuletzt zur Beerdigung seiner Mutter alleine dort gewesen und die Leute im Dorf sahen ihn dabei an wie ein exotisches Tier, dem man nicht trauen dürfe. Er sprach mit niemanden auch nur ein Wort und fuhr direkt nach dem Begräbnis wieder zurück. Seine Kinder, die jetzt schon zehn und zwölf Jahre alt waren, fragten zwar gelegentlich nach Oma und Opa und wie es in seiner Heimat aussehe, aber Franz antwortete ausweichend und blieb in dieser