Heißes Geld. Jan Eik
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Das Nächste, was Hildegund wahrnahm, waren ein dumpfes Türklappen und der anschließende Schmerzensschrei des Menjoumännchens. Sie drehte sich um. Grinsend stand Sigmar Hünicke neben dem Wagen und blickte unschuldig durch seine Brillengläser. Er hatte die Autotür zugeschlagen und dem Kerl dabei die Finger eingeklemmt. Plötzlich lockerte sich auch der Griff um ihren Arm. Eine vertraute Stimme sagte: «Lass das Mädel los, oder ich polier dir deine schäbige Agentenfresse!»
Ausgerechnet Ratzmann! Den schickte ihr in diesem Augenblick der Himmel. Der von dem Redakteur so höflich Titulierte wandte sich dem unerwarteten Widersacher zu, der ihn um einen halben Kopf überragte. Ratzmann verlieh seinen Worten mit einem kräftigen Faustschlag Nachdruck, traf jedoch nur die Schulter seines Gegners. Immerhin ließ der massige Kerl endlich Hildegunds Arm los – und wollte sich auf Ratzmann stürzen. Hildegund schaffte es gerade noch, ihm einen heftigen Tritt gegen das Schienbein zu versetzen. Manchmal war es doch gut, derbes Schuhwerk zu tragen. Der Schmerz ließ den Mann den Kopf senken, was Ratzmann Gelegenheit zu einem weitausgeholten Haken bot. Sein Gegner taumelte. In diesem Moment spürte Hildegund eine Hand, die nach der ihren griff. «Nischt wie weg hier!», stieß Hünicke halblaut hervor und zerrte sie quer über die Fahrbahn. «Nicht umdrehen! Da drüben ins Gewühl rein!»
An der gegenüberliegenden Ecke drängte sich eine Gruppe von Menschen, denen jemand etwas über den Funkturm erzählte. Hünicke stürzte sich mitten hinein und zog Hildegund hinter sich her, bis der S-Bahn-Eingang sie endlich verschluckte. Auf der Treppe zum Bahnsteig hinunter ließ Hünicke ihr etwas mehr Zeit. «Bist du verletzt?», erkundigte er sich besorgt.
Hildegund schüttelte den Kopf. «Nur ein bisschen am Knie», gab sie dann zu. Die aufgeschürften Handballen bemerkte sie erst jetzt. «Was ist mit Ratzmann?», fragte sie.
Hünicke lachte. «Der kann sich mit seinen Mühlenflügeln selbst wehren.»
Der Südring kam zuerst, und sie stiegen ein. Wie immer um diese Zeit war es voll. Der Mief im Raucherabteil stieg Hildegund unangenehm in die Nase. Dennoch protestierte sie nicht. Auch nicht dagegen, dass Hünicke sie weiterhin ungeniert duzte. «Na, Hildchen, das war aber ’ne heiße Nummer, die wir miteinander abgezogen haben, was?»
Sie lächelte schwach. «Ich weiß überhaupt nicht, was die von mir wollten.»
«Ich schon!», behauptete Hünicke, beließ es jedoch dabei.
Am Westkreuz stiegen sie aus und gingen hinunter zur Stadtbahn. Im Schutz des Aufsichtshäuschens und nachdem er sich umgesehen hatte, setzte Hünicke seine Aufklärung fort. «Die waren von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, der KgU! Todsicher! Die wussten genau, auf wen sie es abgesehen hatten.»
Hildegund erschrak jetzt doch ein bisschen. «Wer bin ich denn, dass die sich für mich interessieren?»
«Eigentlich müsstest du das gleich melden», meinte Hünicke, ohne auf ihre Frage einzugehen.
Abwehrend verzog sie das Gesicht. «Du bist wohl verrückt!» Unwillkürlich duzte sie den Redakteur ebenfalls. Der war ein paar Jahre jünger als sie. Immerhin hatte er ihr rausgeholfen aus dem Schlamassel, dafür musste sie ihm dankbar sein. «Damit ich meinen Namen morgen in allen Zeitungen wiederfinde? Was versprichst du dir davon?»
Das war für Hünicke ein Argument. «Aber Ratze wird sich mit seiner Heldentat brüsten», vermutete er.
Die S-Bahn fuhr ein. «Tu mir den Gefallen und rede ihm das aus!», bat sie beim Einstiegen.
«Ich werd sehen, was sich machen lässt …», meinte er und griente schon wieder dreist, wobei er sich ein bisschen an sie drängte. «Jetzt bringe ich dich erst mal nach Hause zu Mutti.»
Unglücklicherweise sagte Hildegund: «Die ist schon ein paar Jahre tot.»
Hünicke grinste noch breiter. «Umso besser!», sagte er.
LUFTDRUCK GEGEN STALIN
ALS HERMANN KAPPE an diesem kühlen Maiabend nach Hause kam, erwartete ihn statt eines schmackhaften Abendessens in einem friedlichen Heim seine aufgebrachte Frau Klara, die sich erst nach dringender Mahnung dazu herbeiließ, ein paar Spiegeleier in die Pfanne zu schlagen. Auch wenn er im Präsidium einen relativ ruhigen Tag verbracht hatte, hasste Kappe es, zum Feierabend mit nichtigen, oder schlimmer noch, unabänderlichen Angelegenheiten behelligt zu werden. Genau das hatte Klara jedoch vor.
«Was sagst du dazu, dass wir künftig für die Zone einen Passierschein benötigen?», erkundigte sie sich erregt. «Der soll auch noch Geld kosten! In unserer Währung!»
«Umsonst ist der Tod», äußerte Kappe unbedacht. Es war natürlich die falsche Antwort. Seit er vor vierzehn Tagen ohne Klaras angebliche Lieblingseinkaufstasche samt Thermosflasche aus Uraltbesitz und erst vor zwei Jahren angeschafftem Regencape aus der Waldbühne zurückgekehrt war, hing der Haussegen in der Wartburgstraße schief. Da kam es auf eine unbedachte Bemerkung mehr nicht an.
«Dich scheint das ja nicht zu erschüttern!», keifte Klara. «Verstehst du nicht, was das bedeutet? Die Kommunisten wollen dich daran hindern, deine eigene Verwandtschaft in Wendisch Rietz zu besuchen! Willst du dir das gefallen lassen?»
Allein ihr Ton reizte zum Widerspruch. Kappe knurrte: «Erwartest du, dass ich mir ein Luftdruckgewehr kaufe und gegen Stalin und Ulbricht in den Krieg ziehe?»
Ihn regten die Zonenmaßnahmen genauso auf wie seine Frau. Nur nützte das absolut nichts. Und was seinen Geburtsort Wendisch Rietz anging, so war ihm die Fahrt dorthin offiziell schon länger verwehrt. Als Polizist und Beamter hatte er im Osten, wo die Gefahr einer Verhaftung lauerte, nichts zu suchen. Er war kein ängstlicher Mensch, verspürte aber wenig Neigung, der dortigen Polizei, möglicherweise ehemaligen Kollegen, oder gar den Russen in die Hände zu fallen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, nach dem Krieg in der zerstörten und gespaltenen Hauptstadt auszuharren, statt sich irgendwo in Süd- oder Westdeutschland ein sicheres Plätzchen zu suchen, wie es etliche von den oberen Rängen bei der Polizei längst getan hatten. Ein Gedanke, der so schnell verging, wie er gekommen war. Kappe hing nun mal mit Haut und Haaren an seiner Arbeit, und die konnte er sich an keinem anderen Ort vorstellen als in Berlin, wenigstens in den übriggebliebenen drei Fünfteln. Leben wollte er erst recht nirgendwo anders. Und Klara sicher auch nicht.
«Das Schönste kommt erst noch!», sagte Klara, ohne seine rhetorische Frage zu beachten. «Man kann nicht einmal mehr in den Osten telefonieren! Sie haben die Leitungen unterbrochen. Das kam am Vormittag in den Nachrichten.»
Auch das wusste Kappe bereits und fand es empörend. Die Stadt wurde immer weiter auseinandergerissen. Dennoch erkundigte er sich mit ruhiger Stimme: «Wen willst du denn im Osten anrufen?» Dabei kannte er die Antwort. Immerhin wohnte ihr Kronprinz, der älteste Sohn Hartmut, in Ost-Berlin. Der hatte sich ausbedungen, weder zu Hause noch etwa über seinen Dienstapparat angerufen zu werden. Kappe hielt sich daran, so schwer es ihm auch fiel. Klara hingegen und Hartmuts Frau Inge hatten längst einen Dreh gefunden, das Verbot zu umgehen. Der Tankstellenbesitzer, der unter Hartmuts Familie im gleichen Aufgang wohnte, besaß einen der in Ost-Berlin seltenen privaten Telefonanschlüsse. Über den ließ sich Inge erreichen, und von dort konnte diese wiederum ihre Schwiegermutter anrufen, wenn etwas Dringendes anlag. Bis gestern jedenfalls.
Kappe hatte zu den Telefonaten geschwiegen, wie zu so vielem. Innerlich seufzte er tief, wenn er an die beiden Söhne dachte: Karl-Heinz, der