Kaltfront. Petra Gabriel

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Kaltfront - Petra Gabriel

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der das Geräusch gekommen war. Durchs Küchenfenster, das im böig-scharfen Wind auf und zu schlug, sah Otto eine schwarze, dick vermummte Gestalt in Richtung Admiralsbrücke davoneilen. «Verdammt, warum steht hier niemand unter dem Fenster?» Dann schrie er: «Halt, Polizei! Stehen bleiben!» Und noch einmal: «Stehen bleiben, Polizei! Nehmen Sie die Hände hoch, und bleiben Sie sofort stehen!»

      Die Gestalt hielt kurz inne, griff in die Tasche und hastete weiter.

      «Stehen bleiben, Hände hoch, lassen Sie die Waffe fallen!», donnerte Otto Kappe, hechtete aus dem Küchenfenster und spurtete hinterher.

      Er hörte nicht mehr, wie Kollege Jürgen Rückert sagte: «Hier ist nichts. Keine Druckplatten, kein Papier. Nichts. Die Wohnung ist bis auf die Möbel komplett leer. Auf den ersten Blick wirkt sie, als wäre sie unbewohnt. Keine Photos, keine persönlichen Gegenstände. Der Kohleherd ist allerdings noch lauwarm. Aber schaut mal, kaum noch Glut. Da ist seit gestern Abend nicht mehr nachgelegt worden. Der Kohleeimer ist auch leer. Jemand hat uns aufs Glatteis geführt.»

      Rückert blickte sich um. Die Fensterscheiben begannen bereits zu vereisen. In der Küche stand nur das Nötigste. Der Kohleherd, daneben die Spüle. Der Spalt dazwischen war durch ein fünfzig Zentimeter breites grobes Holzbrett abgedeckt, an dem mit Reißzwecken ein nilgrüner löchriger Fetzen Stoff befestigt war. Solche Arrangements hatte Rückert schon öfter gesehen, dahinter befand sich meist der Mülleimer. Auf einem Wandregal über der Spüle standen drei Teller, zwei Unterteller und zwei Tassen sowie vier leere Einmachgläser. Daneben lag Besteck für zwei Personen: Messer, Gabel, Teelöffel. Ein Kochlöffel, ein Schieber, dazu ein Topf und eine Pfanne stapelten sich ebenfalls auf dem Regal. Ein ordentlich gebügeltes Handtuch ergänzte das Stilleben.

      Rückert beschloss, sich in den anderen Räumen umzusehen. Er lehnte das Küchenfenster an, damit es in der Wohnung nicht noch kälter wurde. Ganz schließen wollte er es nicht, damit der Kollege Kappe wieder hereinkam.

      Im Flur fanden sich nur einige Kleiderhaken an der Wand. Eigentlich waren es nur lange Nägel. An einem hing ein einsamer Kleiderbügel. Die Stube war ähnlich spartanisch eingerichtet. Ein Tisch mit gelacktem Furnier, vier Stühle, an einem war ein Bein gesplittert und mit Paketschnur unbeholfen wieder zusammengebunden worden. Dazu ein Webteppich, der wohl Wohnlichkeit verbreiten sollte, aber kläglich versagte, weil er nicht viel größer als ein Handtuch war.

      Im Schlafzimmer fand Rückert ein unbezogenes Bett. Die Matratze sah fleckig und durchgelegen aus. Der Schrank, Kirsche furniert mit dreitürigem Unterschrank auf dünnen Beinen sowie zwei wuchtigen Türen links und rechts, war ursprünglich wohl eher für ein Wohnzimmer gedacht. Rückert versuchte sich an einer der Türen. Sie klemmte. Er fluchte sehr unvornehm.

      Da fiel ein Schuss. Dann noch einer und noch einer.

      Rückert rannte zurück in die Küche und schaute aus dem Fenster. Die Kollegen schlossen alarmiert zu ihm auf.

      Otto Kappe hatte sich neben eine dunkle, reglos daliegende Gestalt gekniet und wedelte wild mit den Armen.

      «Verdammt! Ick jeh Hilfe holn!», rief einer der Schutzpolizisten. Kurz darauf konnte Rückert hören, wie er die Wohnungen im Haus durchklingelte, um einen Fernsprechapparat zu finden. Die anderen Kollegen sahen sich noch einmal um und marschierten dann, ebenfalls fluchend, in Richtung Wohnungstür.

      Jürgen Rückert nahm sich nicht die Zeit, den offiziellen Weg durchs Treppenhaus zu gehen, sondern kletterte wie vorhin Otto Kappe aus dem Küchenfenster und rannte zu seinem Kollegen.

      Otto Kappe schaute zu ihm auf, in seinen Augen stand Fassungslosigkeit. «Warum ist sie nicht stehen geblieben? Warum ist sie bloß nicht stehen geblieben? Und dann hat sie auch noch eine Waffe aus ihrer Tasche geholt. Was hätte ich denn tun sollen, Rückert? Ich hatte doch keine andere Wahl!»

      «Sie sagten ‹sie›?»

      «Ja, das ist ’ne Frau.»

      «Verfluchte Scheiße, auch das noch!» Jürgen Rückert schaute genauer hin. Tatsächlich, da lag eine Frau. Schmal, bleich, mit geschlossenen Augen und ohne Bewusstsein. Sie hat das Gesicht eines Engels, dachte er. Wie alt sie wohl sein mochte? Es war schwer zu sagen, so um die 35 vielleicht. Wegen der dunklen Wollmütze waren ihre Haare nicht zu erkennen. Unter ihrem Kopf breitete sich eine Blutlache aus.

      «Wir müssen was tun, sie verblutet uns!», sagte Otto Kappe verzweifelt. Dann zog er seine Jacke aus und legte sie über die Reglose. «Sie erfriert noch. Warum kommt denn niemand?»

      «Verdammter Mist!», knurrte Rückert. Er war froh, dass er nicht in der Haut seines Kollegen steckte. Dessen bleiches Gesicht zeigte, wie sehr ihm die Angelegenheit unter die Haut ging. Rückert schaute sich um. «Ich seh keine Waffe», rutschte es ihm heraus.

      «Da muss aber eine sein! Ich hab sie doch genau gesehen», stammelte Otto Kappe.

      Rückert legte dem Kollegen beruhigend die Hand auf die Schulter. «Ist wahrscheinlich weggeschleudert worden, als die Frau fiel. Wir werden sie schon finden.»

      Endlich kam der Sanka. Die Sanitäter luden die Frau ein und rasten unter viel Tatütata mit Blaulicht davon. Otto Kappe schaute dem Gefährt mit unglücklichem Blick nach.

      «Wird schon. Wird alles nicht so heiß gegessen wie gekocht», versuchte Rückert den Kollegen zu trösten.

      Das schmale Mädchen mit den kurzen Haaren und den Klamotten eines Jungen, das sich in den Spalt zwischen dem Kohleherd und der Spüle gekauert hatte, schob den nilgrünen Vorhang zur Seite, schlich sich ans Fenster und spähte vorsichtig hinaus. Es sah zwei Männer, die dem davonjagenden Saniwagen nachschauten, und hatte alle Mühe, ein entsetztes Wimmern zu unterdrücken.

      KAPITEL ZWEI

       in dem Hermann Kappe von seinem Neffen um Hilfe gebeten wird

      «HERMANN, nu komm schon, los, raus! Du kannst doch nicht ewig hier herumsitzen!», drängte Klara Kappe den Angetrauten.

      «Doch, ich kann, ich bin Rentner», brummte der. «Wieso willst du ausgerechnet heute auf den Wochenmarkt am Rathaus Steglitz? Bei dieser Saukälte!»

      «Hermann, es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt bloß falsche Kleidung. Nu komm schon!»

      «Hast du denn nicht Radio gehört? Es soll noch kälter werden!»

      «In Steglitz gibt es die besten Bücklinge. Du magst doch Bücklinge. Also komm! Und natürlich hab ich Radio gehört. Auf der Eisbahn an der Ecke Innstraße und Sonnenallee herrscht Hochbetrieb, haben sie in den Nachrichten gesagt. Außerdem hat bei Wertheim in der Schloßstraße der Schlussverkauf angefangen. Da gibt es Preisnachlass. Wir müssen uns beeilen, sonst finden wir nichts mehr, weil die guten Sachen alle schon weg sind. Ich brauche dringend neue Handschuhe und du einen Pullover.»

      «Im Radio haben sie aber auch gesagt, dass es wegen der Kälte schon den ersten Verkehrstoten gegeben hat», erwiderte Kappe anklagend. «Einen Pensionär.»

      «Einen stinkbesoffenen Pensionär. Ich weiß nicht mehr, wie er hieß. Er kam aus Charlottenburg, erinnere ich mich nur.»

      «Gustav Kuckulei.»

      «Wie bitte?»

      «Gustav Kuckulei hieß er.»

      «Ach

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