Mitternachtsnotar. Bettina Kerwien
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Sie liest. »Damit kommst du heute? Das ist morgen, Mann, morgen!« Sie schüttelt den Kopf.
»Ich kann da nicht allein hin«, murmel ich und denk: Hilf mir, Selma!
»Ganz ruhig, Libby.« Selma schiebt eine Packung Kleenex über den Tisch. »Wir machen das schon. Ich helfe dir. Niemand muss zu einer polizeilichen Vernehmung erscheinen. Und die können dich auch nicht zwangsweise vorführen lassen. Jetzt putz dir die Nase und erzähl erst mal alles. Von Anfang an.«
Selmas Souveränität versetzt mir einen Stich. Einerseits lieb ich sie dafür. Andererseits könnt ich auf ihrer Seite des Schreibtischs sitzen, wenn ich das Studium nicht geschmissen hätt. »Gib noch ’n Kaffee aus.« Ich schlag die Beine über. »Und übrigens muss ich leider gleich mal mit einem Geständnis anfangen, betreffs meiner Rechtsschutzversicherung.«
Familiengeheimnisse
Der frühe Abend eines sonnenlosen Maitags. In Konrad Trasseurs Kanzlei ist es kaum heller als auf der Straße. Die Wände sind mit afrikanischen Masken gepflastert. Es riecht dumpf nach staubigem Holz, wie im Ethnologischen Museum.
Trasseurs Bürofenster geht direkt auf den Lietzensee. Über dem Wasser hängt der allgegenwärtige träge Frühlingsregen. Trasseurs Assistentin reicht Sanders mit lasziver Gleichgültigkeit ein Glas. Die transparente Seide ihrer Bluse knistert, als sie seinen Arm berührt. Ihre Lippen schimmern mit ihrem Lacklederrock um die Wette.
Trasseur lächelt ihrem Hinterteil hinterher. »Ich habe meinen Asbach Uralt früher gern mit Champagner getrunken.« Sein Gesicht ist feist und braun wie das eines Großwildjägers. Seine Augen sind viel zu klein und viel zu schwarz, um Vertrauen zu erwecken.
Sanders kennt Trasseurs Gesicht bereits aus der Bunten, die er im Warteraum durchgeblättert hat. Dort ist Konrad Trasseur mit seiner Frau Waltraud abgebildet – sie tanzen auf dem Investorenball in Saint-Tropez mit dem Geldadel aus aller Welt in den Morgen. Mit ihrer Brathähnchenbräune und ihrer goldenen Robe erinnert ihn Waltraud Trasseur an ein halbgegessenes Ferrero Rocher. Dabei hat sie das Geld, nicht der Notar. Liebe macht dumm, denkt Sanders. Das ist eine universelle Wahrheit, und Trasseur ist nicht der einzige Mann auf der Welt, der sich auf dieser Grundlage ein schönes Leben macht.
»Es ist eine verrückte Zeit, Herr Sanders.« Der Notar nippt mit seinen Teewurstlippen am Glas. »Ich kenne Ihren Vater schon so viele Jahre. Er hat nie erwähnt, dass er einen erwachsenen Sohn hat.«
Sanders riecht am Asbach. Wenn einem so viel Gutes widerfährt … »Sie haben meinem Vater ein Direktinvestment empfohlen«, sagt er, »Am Rabennest. Klingelt da was?«
»Wenn ich gewusst hätte, dass Rainhard so einen smarten Sohn hat, hätte ich Sie ja schon längst mal zu unseren Incentives für Interessenten eingeladen. Sicher machen Sie auf dem Golfplatz eine hervorragende Figur.«
»Bitte beantworten Sie einfach nur meine Frage.«
Trasseur lacht. »Nehmen Sie’s nicht so schwer, Junge. Mit der Familie geht es mir nicht anders als Ihrem Vater. Ich habe Millionen von Euros auf der Bank und halte mehr Immobilienanteile als Donald Trump. Aber ich habe keine Ahnung, was meine Familie so macht.«
»Ich mag es nicht, wenn man mich anlügt.« Sanders legt das Prospekt der Am Rabennest Sanierungsgesellschaft auf den Tisch.
Trasseur steht auf. Mit seinen aufgeschwemmten Hedonistenhänden zündet er sich eine Zigarette an. »Was wissen Sie über meine Familie?«
»Was in der Zeitung steht. Sie haben Ihr Geld früh geheiratet. Eine lächerliche Ehe. Ihre Frau hat sich vor ein paar Jahren in den Serpentinen oberhalb von Monte Carlo fast totgefahren. Sie haben einen Sohn, Oliver, der auch in Immobilien macht. Verlobt ist er mit Saskia Schwarz. Beide blond und beide nichts wert.«
»Ich mag Zyniker«, sagt Trasseur. »Aber Sie haben recht. In der Familie Trasseur kennt niemand den Unterschied zwischen einer Kreditkarte und, sagen wir …«
»Einer Arschkarte?«
»Die üblichen Laster der oberen Zehntausend, Herr Sanders.«
»Hatten Sie auch einen Toilettenpömpel im Briefkasten, Herr Trasseur?«
Trasseurs Augen werden schmal und hart wie Münzgeldschlitze.
»Sagen Sie Ihrem Vater, er muss sich keine Sorgen machen.«
»Oh, das tut er jetzt bereits nicht mehr. Er vertraut voll und ganz darauf, dass wir beide das Problem für ihn lösen.«
Trasseur inhaliert tief. Rauch steigt ihm aus Mund und Nase, als er sagt: »Finger weg von meinen Geschäften, junger Mann.«
»Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt.« Sanders steht auf, nimmt eine besonders scheußliche Maske von der Wand, dreht sie hin und her. »Behandeln Sie die Rabennest-Mieter fair. Dann sehen Sie mich nie wieder. Andernfalls …« Er hält sich die Maske vors Gesicht.
Trasseurs Wohlstandsgesicht wird blass, der ganze Mann schwillt an. »Sie drohen mir? Das ist schlechter Stil. Und außerdem eine Nummer zu groß für Sie.« Seine Nasenflügel blähen sich wie die Schallblasen eines paarungsbereiten Frosches. »In Ihrem eigenen Interesse, lassen Sie mich das machen. Meine Familie hat Verbindungen. Wir hängen das nicht gern so hoch, aber wir haben Einfluss.«
Sanders legt die Maske neben das Brandweinglas auf den Schreibtisch. »Unter diesen Umständen bin ich überzeugt, dass Sie Richtig von Falsch unterscheiden können, Herr Trasseur.«
Der Notar hat genug Klasse, um die Kurve zu kriegen. »Ein Mann macht oft jede Menge Quatsch für Geld, wissen Sie«, sagt er.
Sanders kennt diesen sentimentalen Tonfall, der meist ein Geständnis einleitet. »Dafür sind wir beide das beste Beispiel«, entgegnet er.
»Männer sind nichts gegen Frauen.« Trasseur grinst wie der Erleuchtete. »Sie machen sich keine Vorstellungen, was meine Frau alles für Geld tun würde, Junge. Sie kennen Waltraud nicht. Gegen Waltraud bin ich sanft wie ein Lamm.«
»Ihre Familiengeheimnisse sind bei mir in den besten Händen.«
Comeback
Es muss ja irgendwann sein. Hartes Licht, keine Wolke am Himmel, es ist ein Sommertag mitten im Frühling. Ich bin wach, ich hab mein Modelkleid reinigen lassen, ich hab mir die Nasenhaare mit dem Milchaufschäumer epiliert.
Ich hab Wanja den Raben von Poe erklärt. Hoff ich zumindest. Statt mich zur Belohnung Unter den Linden ins Café Einstein zu setzen, geh ich zur Studienberatung für Rechtswissenschaftler in die Dahlemer Van’t-Hoff-Straße. Das ist eine Villengegend, in der sich in den letzten zehn Jahren bis auf ein paar Neubauten für die Freie Universität nicht viel getan hat. Die Unigebäude haben allerdings nicht mehr den graffitibekritzelten Sponticharme der Jahre nach der Wiedervereinigung. Stattdessen Glas und Beton, und auch in der Studentenschaft ist mehr Zug drin.
Bei der Beratung sitzt mir nicht der vor zehn Jahren noch übliche picklige Asta-Vertreter gegenüber, sondern eine perfekt geschminkte Frau Anfang zwanzig im Kostüm und mit Kopftuch, aber ohne Akzent. »Hast du denn die Zwischenprüfung bestanden?«, fragt die Perfekte sehr freundlich.