Mitternachtsnotar. Bettina Kerwien
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Читать онлайн книгу Mitternachtsnotar - Bettina Kerwien страница 8
Der Zeigefinger des Vaters fällt auf die Zeitung wie ein Scharfrichterbeil. »Eine Spielzeugpuppe«, zischt er. »Pubertär. Wie kannst du nur?«
»Ich hatte sie für einen Fall als Lockvogel engagiert«, sagt Sanders. »Mit sexy Skandalfotos Politiker gefügig machen – ich dachte, das ist der Job. Aber mein Auftraggeber wollte mehr: die Konkurrenz ausschalten und uns den Mord in die Schuhe schieben. Ohne Liberty wäre ich jetzt tot. Trotzdem. Wir sind nur Freunde, weiter nichts.« Er wünscht sie sich hierher. Ein fremdartiger, warmer Gedanke.
»Mach dir nichts vor, Martin. Das sind billige Reize. Ein Mann von Format ist für so etwas nicht empfänglich.«
»Für mich«, erwidert er, »ist sie eine sehr schöne Frau.«
Sein Vater schüttelt den Kopf. »Schönheit vergeht, Sohn.«
»Ich spreche nicht von Äußerlichkeiten, Vater.« Er atmet flach. Keine Bitterkeit. Dieser Mensch hier wird ihn nicht vergiften.
Rainhard Sanders legt die Fingerspitzen aneinander. »Eine Frau, die sich verkauft. Ich frage mich, wieso du ihr vertraust.«
»Ich kann dich wirklich vollkommen beruhigen, Vater.« Martin Sanders lehnt sich zurück. »Diese Frau interessiert sich kein Stück für mich als Mann. Möchtest du ihre Telefonnummer? Wolltest du mich deshalb sprechen?«
Die Nasenflügel seines Vaters weiten sich. Er schiebt den Schreibtischstuhl zurück, steckt die Hände in die Taschen seiner Anzughose und mustert ihn schweigend. Nicht mal einen Kaffee hat er mir angeboten, fällt Martin Sanders auf.
»Martin. Junge. Wir sollten uns wirklich besser kennenlernen.«
»Sentimentalität steht dir nicht, Vater.«
»Ich will ehrlich zu dir sein. Du findest meinen Beruf anrüchig, ich finde deinen – obskur. Vorsichtig ausgedrückt. Das heißt nicht, dass wir unsere jeweiligen Jobs schlechtmachen, nicht wahr?«
Sein Vater hält ihn für dumm. Der Sohn aus gutem Hause, der auf seine exzellenten Aussichten pfeift. Aber Martin Sanders hat einen Instinkt für die Emotionen anderer Leute. Er ist schon so oft in seinem Leben um Hilfe gebeten worden, dass er eine Bitte sogar erkennt, wenn sie so verquast daherkommt wie die seines Vaters. »Was kann ich für dich tun?«, fragt er.
Die Augen seines Vaters verengen sich, als würde er auf ihn anlegen. Kimme und Korn. »Ich hätte es mir nicht träumen lassen, dass ich für deine Profession jemals eines sinnstiftenden Anwendungsfalls gewärtig werden würde«, sinniert er. »Und doch ist es so.«
»Mach dich nicht lächerlich.«
Sein Vater wischt den Hohn weg. Lehnt sich vor. »Ich habe da ein Immobilieninvestment in Reinickendorf. Die Am Rabennest Sanierungsgesellschaft. Läuft etwas unglücklich. In den Zeitungen steht, die geplanten Luxusumbauten treiben 85-jährige Bestandsmieterinnen dazu, am Gashahn zu manipulieren.«
»Skrupel?«
»Sagen wir, es wird mir zu persönlich.« Rainhard Sanders holt einen gepolsterten Umschlag aus dem Schreibtisch. »Das hier nennt man wohl gemeinhin einen Drohbrief.«
Martin Sanders nimmt den Umschlag entgegen. Darin ist ein weißes DIN-A4-Blatt, bedruckt mit dicker schwarzer Computerschrift. Sanierungsstopp, steht da. Nur ein einziges Wort. Aber es ist noch etwas anderes in dem Umschlag: eine Kinderbrille. Ein Bügel verbogen, ein Glas fehlt, das andere ist gesprungen. Der Schriftzug auf dem kaputten Bügel lautet: Star Wars Eyewear. »Die Brille deines Sohnes«, schlussfolgert Martin Sanders.
Sein Vater nickt. »Ich weiß nicht, wie sie da drangekommen sind. Berend spricht nicht darüber.«
»Kam der Brief mit der Post?«
»Nein, der Umschlag lag einfach im Briefkasten. Und es ist nicht das erste Mal, dass uns so etwas zugestellt wurde. Vor ein paar Wochen kam das hier.«
Er greift unter den Tisch und fördert einen Gummistampfer zutage. Eine von diesen Saugglocken, mit denen Klempner Abflussverstopfungen beseitigen. Martin Sanders weiß nicht genau, wie die Dinger heißen. »Ein Pömpel?«, fragt er.
Rainhard Sanders stellt den Pömpel auf den Schreibtisch. »Lag vor der Haustür. Das ist ein Symbol. Die Rabennest-Bestandsmieter sind allesamt prekäre, randständige Existenzen. Da ist ein Querulant dabei, Jürgen Schrödter, so eine Art Rädelsführer. Ein Rentner, der sich die Zeit damit vertreibt, den Widerstand gegen die Sanierungsgesellschaft zu organisieren. Gewerkschaft, SPD und Linksautonome unterstützen ihn im Bezirk. Im Internet gibt es einen sogenannten Protestblog. Für jeden Tag der Woche melden die eine Demo an, seit dreihundert Tagen. Sitzen im Vorgarten, essen Kuchen und tragen Plakate durch die Siedlung. Der Presse konnte ich entnehmen, dass einer dabei so eine Saugglocke geschwungen hat. Ein Polizist in voller Kampfmontur hat ihn mit erhobenen Händen an die Wand gestellt, gefilzt und ihm das Ding abgenommen. Davon kursiert ein Video im Internet.«
»Lauter Alte, die Krawall machen?« Martin Sanders muss schmunzeln. »Warum setzt du nicht einen deiner angestellten Rechtsanwälte darauf an? Der Brief mit der Brille reicht für eine Strafanzeige.«
»Ich will kein Aufsehen. Mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt habe ich schon gesprochen. Ich kenne ihn vom Fortune Club. Aber ohne Strafanzeige sind ihm die Hände gebunden. Und das ganze Spektakel will ich nicht. Ich will Diskretion. Dazu habe ich dich erzogen.«
Richtig. Der Vater hat ihn zum Schweigen erzogen. Dafür schuldet er ihm nichts. »Siebzig Euro die Stunde, netto, plus Spesen«, sagt Martin Sanders, der sonst nie mehr als fünfzig Euro verlangt.
»Respekt, Martin. Du hast Geschäftssinn«, lobt ihn der Mann, der ihn sonst nie gelobt hat.
Martin Sanders zieht ein Diktiergerät aus der Jackentasche, schaltet es ein, legt es über Libbys nackten Körper wie einen schwarzen Balken. »Erzähl mir alles, von Anfang an«, fordert er seinen Vater auf. »Gibt es hier auf dem Grundstück eine Überwachungskamera?«
»Nein, so etwas hatten wir noch nie nötig.«
»Ich rate dir dazu. Woher hast du den Kontakt für das Investment?«
Rainhard Sanders’ Augen glitzern wie der Friedrichstadtpalast im Winter. »Du stellst die richtigen Fragen. Vielleicht lernen wir uns ja durch diese Zusammenarbeit auch persönlich wieder mehr schätzen.«
»Nur die Fakten bitte – Vater.«
Vorgeladen
Als ich das nächste Mal wach werd, ist es wieder ein paar Männer und ein paar Tage später, wieder nachmittags. Mein Gesicht fühlt sich an wie ’ne Tüte Marshmallows.
Ich geh ins Bad, und dabei fällt mir ein, ich brauch ein Ziel. Ein anderes Ziel, als Wanja hängenzulassen. Etwas mit mehr Triumphpotenzial. Ich brauch zum Beispiel Haarextentions. Oder das neue Buch von Terézia Mora, Alle Tage, das habe ich geliebt. Schon den ersten Satz: Nennen wir die Zeit jetzt, nennen wir den Ort hier. Der Gedanke bringt mich in Schwung. Berlin ist ja berühmt für das Hier und Jetzt.
In einem Glückskeks vom Thai-Imbiss hab ich neulich den Spruch Morgen wird besser als heute gefunden. Nur leider ist ja immer wieder direkt heute. Es ist schwer, die Tage abzuleben.