Attentat auf Honecker und andere Besondere Vorkommnisse. Jan Eik

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Attentat auf Honecker und andere Besondere Vorkommnisse - Jan Eik

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stand der Fahrer des Pkw unter starkem Alkoholeinfluss. Eine ärztliche Untersuchung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,5 Promille. Nach schwerer Gefährdung des Straßenverkehrs war der Pkw-Fahrer den Aufforderungen, die Fahrt zu stoppen, nicht gefolgt, sondern beging Fahrerflucht. Als er durch eine Streife der Volkspolizei gestellt wurde, schoß der Volltrunkene aus einer Handfeuerwaffe. Dabei wurde ein Streifenangehöriger der Verkehrspolizei schwer verletzt. Bevor es gelang, den Täter festzunehmen, beging er mit seiner Schußwaffe Selbstmord.“

      Eine derartige Meldung schien geradezu prädestiniert, im täglichen Nachrichtenstrudel unterzugehen. Davon, dass der „Verkehrszwischenfall“ den ersten Mann im Staate betraf, war nichts zu lesen, und gelernte DDR-Bürger stolperten allenfalls darüber, dass einer der ihrigen eine Schußwaffe besessen hatte.

      Dass illegaler Waffenbesitz im Lande unnachsichtig verfolgt und rigide bestraft wurde, wusste jeder. Waffen von Jägern und Sportlern unterlagen strengsten Sicherheitsbestimmungen. Die Russen ballerten hin und wieder illegal herum, doch das galt ohnehin als Tabuthema. Allerdings munkelte man über „personengebundene“ Pistolen von SED-Funktionären bis hinunter zu den Kreisleitungen. Was steckte also hinter der merkwürdigen Meldung?

      Den „Stern“ bekamen seinerzeit nur wenige DDR-Bürger zu sehen. Den meisten entgingen also auch die Fotos, die in der Zeitschrift abgedruckt waren: von der Straße der Roten Armee in Klosterfelde (mit eingeklinkter Kartenskizze), von der aus einem noblen Pelzkragen blickenden Freundin Paul Eßlings und von dessen geschiedener Frau mit den beiden Kindern am Wohnzimmertisch.

      In den Westmedien verschwand die Geschichte recht schnell wieder. Die Konkurrenzblätter wollten offenbar nicht allzu viel Reklame für den „Stern“ machen und beschränkten sich auf kleinere Berichte.

      Das Formelle regelte Botschafter Wolfgang Meyer vom DDR-Außenministerium. Am 14. Januar 1983 bestellte er den Korrespondenten Dieter Bub ein, um ihn wegen der „von der Springer-Presse zur Hetze gegen die DDR ausgeschlachteten Falschmeldung” zu rügen. Dass die Illustrierte „Stern“ mit Springer nichts zu tun hatte, überstieg offenbar die Vorstellungskraft der DDR-Funktionäre, die nur eine zentral gesteuerte Presse kannten.

      Bub gab zu, gegen die Arbeitsordnung für auswärtige Korrespondenten verstoßen und ohne Genehmigung recherchiert zu haben. Das war schließlich sein tägliches Brot. Informationen über das wahre Leben in der DDR aus dem SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ zu gewinnen gelang nicht einmal seinen östlichen Kollegen. Überdies erwähnte er, die Geschichte vom Attentat sei mehreren Medien unmittelbar nach Neujahr gegen Geld angeboten worden.

      Auf dem üblichen Dienstweg informierte Botschafter Meyer das „Große Haus“, und Hausherr Erich Honecker entschied kurzerhand, den unangenehm aufgefallenen Journalisten hinauszuwerfen. Zwei Stunden nach der ersten Unterredung teilte Meyer Bub den Entzug seiner Akkreditierung mit. Er habe die DDR „auf Grund grober Verletzungen der gesetzlichen Bestimmungen, wegen wahrheitswidriger und verleumderischer Berichterstattung” zu verlassen. Das war keine sonderlich dramatische Sanktion, denn Bub war bereits der vierte westdeutsche Korrespondent, den ein solches Verdikt traf.

      Spurensuche in der märkischen Provinz

      Das Holzverarbeitungswerk mit seiner seit Anfang der 1950er-Jahre betriebenen Produktion beliebter Küchenmöbel gibt es schon lange nicht mehr, und auch an die frühere Groß-LPG Pflanzenproduktion mit über 4000 Hektar Land von Schönerlinde bis Zerpenschleuse, Agrochemischem Zentrum und großem Kartoffellagerhaus erinnern sich nur noch die Alten. Klosterfelde ist ein 3000-Seelen-Ort wie hundert andere rund um Berlin. Das alte märkische Angerdorf gehört inzwischen zur Gemeinde Wandlitz.

      Aus der dort gelegenen und streng bewachten „Waldsiedlung“ rauschten früher die beiden großen Citroën CX Prestige auf der F 109 durch Klosterfelde, wenn Erich Honecker in die Schorfheide zur Jagd fuhr. Der SED-Chef hatte dieses „Spitzenerzeugnis der französischen Industrie“ – so der zufriedene Nutzer drei Wochen, nachdem die DDR am 8. Juli 1978 mit Frankreich ihr bis dahin größtes Joint Venture über den Bau eines Pkw-Gelenkwellenwerks in Mosel abgeschlossen hatte – von Citroën-Generaldirektor Raymond Ravenel geschenkt bekommen. Seine Politbüro-Genossen fuhren derweil jene Volvo 264 TE (Top Executive), die die DDR-Staatsführung bei dem Turiner Autohersteller Bertone mit einem um siebzig Zentimeter verlängerten Radstand erworben hatte. Auch das Stasi-Begleitkommando nutzte – wenn auch in kleinerer Ausführung – die kantigen Autos aus Schweden.

      Derartige Nobelkarossen sind heute auf der Straße durch Klosterfelde nicht mehr zu bestaunen. Daran, dass auch damals dafür nie viel Zeit blieb, erinnert sich ein ehemaliger Volkspolizist: „Die sind hier immer nur durchgerast. Wir hatten da nichts zu melden.“ Und auch, dass eines der auf der Ostseite der Bahnlinie nach Berlin stehenden bungalowartigen Wochenend- und Wohnhäuser mal jenem Mann gehört hatte, der am Silvester 1982 starb, wissen nur noch wenige.

      In einem der ältesten und dürftigsten Häuser an der Dorfstraße wohnte die Mutter des angeblichen Attentäters Paul Eßling. Dessen hinterbliebener Sohn Ralf lebte auf dem weitläufigen väterlichen Anwesen. Man unternahm damals keinen Versuch, den anfangs nicht einmal Volljährigen von dort zu vertreiben. Lange noch fuhr er das zur Straftat benutzte Kraftfahrzeug, das man ihm mit zersplitterter Türscheibe und ohne den Schonbezug des Fahrersitzes zurückgegeben hatte.

      Die meisten der Zeugen, die die Stasi am Silvesterabend 1982 und in den Tagen danach vernommen hatte, wohnten auch nach dem Ende der DDR noch am Ort. Dasselbe gilt für den Arzt, der den Tod des Ofenbaumeisters Paul Eßling festgestellt hatte. Der Mediziner, der gut über seinen Nachbarn informiert war, wurde in einem „Operativen Vorgang“ unter dem Decknamen „Landarzt” überwacht. Informationen über ihn sammelte unter anderem der inoffizielle Mitarbeiter (IM) „Hans Berger”, der überdies CDU und Kirche im Ort bespitzelte.

      Paul Eßling, ein Vierteljahr vor seinem 43. Geburtstag auf so schreckliche Weise ums Leben gekommen, galt als ehrgeiziger Eigenbrötler. Aufgewachsen war er auf dem großväterlichen Grundstück im Ort. Seinen Vater lernte er erst kennen, als der aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte. Da war Paul schon fast neun Jahre alt. Die Ehe der Eltern wurde geschieden, und der Junge geriet vollständig unter den Einfluss von Vater und Großvater. Beide waren Handwerksmeister alter Schule, hart zu Untergebenen, Frauen und Kindern, dabei arbeitsam und trinkfest. Paul wurde wie sie.

      Als Paul Eßlings eigene Ehe im Herbst 1981 geschieden wurde, zog die Frau mit den beiden Töchtern nach Berlin. Der 15-jährige Ralf blieb beim Vater, der zunehmend in eine tiefe Lebenskrise geriet, aus der er keinen Ausweg fand.

      Paul Eßlings Urne ruht heute auf dem kleinen Friedhof an der Dorfkirche. Die von der Mutter geforderte Erdbestattung war damals nicht zugelassen worden. „Sie haben mir den Jungen erschossen!“ Das blieb ihre feste Überzeugung über all die Jahre, in denen man nur hinter vorgehaltener Hand über den Tod von Paul Eßling sprach. Niemand sagte ihr eindeutig, was wirklich geschehen war.

      Zur Urnenbeisetzung Anfang Februar 1983 durfte nicht einmal eine Traueranzeige erscheinen. Keinerlei Aufsehen erregen, lautete Mielkes eindeutiger Befehl. Davon hatte es in den westlichen Medien schon mehr als genug gegeben. So blieben nur die Gerüchte – wie jenes, in der Asche Paul Eßlings läge noch die Kugel, als hätte nicht einmal eine Obduktion stattgefunden.

      Dabei waren schon damals, 1983, alle an den Untersuchungen Beteiligten der Ansicht, dass jede Geheimniskrämerei in dieser Sache völlig unnötig, ja schädlich wäre. Schließlich seien alle Ermittlungen unter strenger Beachtung der gesetzlichen Vorschriften durchgeführt worden. Ein Sektionsprotokoll wurde angefertigt, es gab die Vernehmungsprotokolle der Zeugen und die Tatortuntersuchungen. Nur eine Anklage wurde nie erhoben. Denn der Beschuldigte war tot.

      Die „Repräsentantenfahrt“

      Sieben Jahre später neigte sich die

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