.
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу - страница 6
Imke Liebstöckel, die zu den Eierköppen gehörte, lehnte abseits an der Gebäudewand und reckte ihr Gesicht der Sonne zu. Niccolò sah bewundernd, dass sie zu den Längsten ihrer Klasse gehörte. Selbst wenn er sich auf die Zehenspitzen wippen würde, überragte sie ihn noch um Kopflänge. Imkes Haare waren schulterlang, tiefschwarz gefärbt, dazwischen schienen winzige Sterne zu glitzern. Niccolò zählte dreizehn schwarze Ringe, die ihre Ohrränder und Nasenflügel zierten. Sie hatte immer lange und weite schwarze Kleider und Mäntel an, als wollte sie von sich so wenig wie möglich zu erkennen geben. Andererseits zog sie mit ihrer auffallenden Erscheinung die Blicke auf sich. Wenn sie sich mit ihren schwarzen Turnschuhen durch die Flure der Schule bewegte, sah es aus, als würde sie flach über dem Fußboden dahinschweben.
Imke Liebstöckel hatte die Augen geschlossen, ihr Körper zuckte kaum merklich. Auf ihren Ohren klemmten die Kopfhörer eines CD-Players, der in der Tasche ihres Kleides steckte. Das schöne Mädchen erschien Niccolò unerreichbar weit weg.
Da hörte Niccolò Paulas Lachen, und obwohl man es gewohnt war, schaute jeder unwillkürlich zu ihr hin. Niccolò fand, die Gelegenheit war günstig, seinen Hypnoseversuch erfolgreich zu gestalten.
Paula lehnte mit ihrer Freundin Carola Sanddorn Rücken an Rücken. Die Schöne hatte die Hände im Nacken verschränkt und sah zu zwei Jungen aus der Achten, die einander eine leere Coladose zuköpften. Der eine Junge hieß René Kiekhahn und galt als großes Fußballtalent. Die Herzbrille saß keck auf Paula Klettes murmeliger Nasenspitze, dass sie neugierig über den Brillenrand sehen konnte.
Niccolò spannte seine Muskeln an, sein Blick schleuderte einen Blitz, der sich in Paulas blaue Augen bohrte.
Und jubelte innerlich, als Paula nun nicht mehr René Kiekhahn, sondern ihn ansah. Sie blickte zwar böse, aber das würde sich schnell ändern.
Paula Klette sagte mit ihrer großartig piepsigen Stimme: „Warum schielst du denn so?“
„Ich schiele doch nicht“, sagte Niccolò, der sich ihre ersten an ihn gerichteten Worte ganz anders vorgestellt hatte.
„Und doch schielst du“, beharrte Paula. Sie wischte sich energisch mit dem Ärmel ihres Hemdes über die Nase.
Niccolò blickte zur Seite, dann nach oben und unten, und rollte seine Augen schließlich links- und dann rechtsherum. Dann sah er Paula wieder an.
„Ist es so besser?“
Paula nahm ihre Hände vom Nacken und löste sich von Carola Sanddorns Rücken.
„Was soll denn besser sein?“, sagte sie. „Du schielst, als wolltest du dreimal links um die Ecke sehen.“
Niccolò beauftragte seinen Hypnoseblick, Paula freundlicher zu stimmen. Sie sollte sagen: Das war doch nur Spaß, Niccolò. Wie geht’s denn so?
Doch Paula rief: „Sieh doch mal, Carola. Wie gemein der Rosenbusch schielt!“
„Soll er doch schielen“, sagte Carola Sanddorn gelangweilt. „Alle Jungen sind schwer behindert und schielen. Wusstest du das denn noch nicht?“
„Wusste ich nicht“, sagte Paula Klette. „Ich weiß nur, dass Rosenbusch mächtig schielt.“
An Paula versagte anscheinend die Macht der Hypnose. Niccolò begann am Wahrheitsgehalt des Buches Die Kraft der Gedanken zu zweifeln. Er sagte freundlich: „Es macht mir nichts aus, wenn du sagst, dass ich schiele, Paula. Aber du schielst ja viel mehr. Einfach wunderbar, wie du schielst.“
Paula errötete jäh, für einen Augenblick schienen sogar ihre Igelhaare in Flammen zu stehen. Sie flüsterte krächzend, als hätte sie Niccolò ein Geheimnis mitzuteilen: „Ich schie-le doch ni-cht.“
Niccolò, der sich in den Gefühlen der Mädchen nicht auskannte, meinte, dass eine Freudenwelle Paula überrollt hätte. Also hatte Ole recht, wenn er behauptete: „Die Weiber wollen doch nur Komplimente hören.“
„Ich habe noch nie jemand so schielen sehen wie dich, Paula. Ich finde, du schielst wundervoll.“
Paula wurde von einer zweiten Hitzewelle erfasst, nach der sie jedoch erbleichte. Sie zischelte: „Du spinnst doch wohl dreimal, Rosenbusch! Sag bloß nicht noch einmal, dass ich schielen würde!"
Niccolò wurde stutzig, irgend etwas stimmte da nicht. Er wollte sich vorsichtshalber entschuldigen, da sagte Ole: „Niccolò hat schwer recht. Na klar, du schielst umwerfend, Klette.“
„Halt du dich da raus, Grabow!“
„Ich sage dir, du schielst wie das Schielmonster im Gruselschocker Wenn der Tod eine schwarze Brille trägt.“
Paula schnappte nach Luft, ihr Mund stand weit offen, ihre Zahnspange blitzte im Sonnenlicht. Sie wollte etwas sagen, aber es war nur ein rabenähnliches „Krrchz, krrchz“ zu hören.
„Halt den Mund, Ole“, befahl Niccolò seinem Freund. Er konnte nicht mit ansehen, wie Paula Klette litt. Er sagte tröstend zur ihr: „Vielleicht schielst du ja auch gar nicht, Paula. Du schielst sogar kein bisschen.“
„Sie schielt aber doch“, beharrte Ole. „Mit dem Blick kannst du gleichzeitig nach oben und unten und nach rechts und links gucken.“
„Krrchz! Krrchz!“
Paula verschluckte sich, sie hustete und stieß Carola Sanddorn weg, die ihr auf die Schultern klopfen wollte. Dann spuckte sie aus, wischte sich mit dem Ärmel kreuz und quer übers Gesicht, rückte die Herzbrille zurecht, dass ihre Augen wieder hinter den getönten Gläsern verborgen waren. Sie sagte mit abgrundtiefer Verachtung: „Du bist ein saublöder, hundsgemeiner, ochsendummer Kerl, Rosenbusch. Und quatsche mich nur nie wieder an. Sonst haue ich dir auch noch dein anderes Auge blau.“
Für einen Augenblick verlor Niccolò sein Gleichgewicht, er musste sich an Oles Schulter festhalten. Er hörte sich stottern: „A – aber, aber ich wo – wollte dir doch nur sa – sagen ...“
„Dass du schielst, Klette“, ergänzte Ole ungerührt.
Da gab es einen Knall, Niccolò sah in ein Feuerwerk und schwankte. Als er endlich wieder klar sehen konnte, erklärte Ole ihm, dass Paula ihm eine einwandfreie Ohrfeige versetzt hätte.
5.
Auf dem Nachhauseweg schwiegen die beiden Freunde. Niccolò stand noch immer unter Schock. Ole fühlte sich anscheinend auch nicht gut. Er wurde schweigsamer, je näher er seinem Zuhause kam.
Niccolò ging mit Ole, obwohl das ein Umweg für ihn war. Der Freund wohnte mit seinen Eltern am anderen Ende der Siedlung, in der „Gammel- Bude“, wie Ole das heruntergekommene Einfamilienhaus nannte, das in einem großen verwilderten Garten stand. Das Grundstück wurde von einem Bahndamm begrenzt, hinter dem die Züge vorbeipfiffen. Wenige Meter entfernt führte eine neue gebaute Bundesstraße zur Autobahn und zum nahegelegenen Flugplatz.
Sie standen vor dem wackeligen Holzzaun und schwiegen. Ole lauschte zum Haus hin. Hastig trug er dem Freund eines seiner vielen Mathe-Rätsel vor, als wollte er verhindern, dass der ihn allein ließ.
„Hör doch mal zu, Alter, welche Nuss der gute Onkel