Lobbyland. Marco Bülow

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Lobbyland - Marco Bülow

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Ungleichverteilung des Reichtums in Deutschland erkannt hat und politisch dagegen angeht.

      Ich habe Politikwissenschaften studiert, schaue mir in der Süddeutschen und der FAZ nicht nur die Bilder an und interessiere mich für die politischen Verhältnisse, in denen wir leben. Trotzdem kenne ich viele Zusammenhänge nicht. Wie konnten unter einer rot-grünen Regierung die asozialen Hartz-IV-Gesetze durch den Bundestag gehen? Wie kam es zur ersten deutschen Beteiligung an einem Krieg, nachdem wir den letzten doch recht deutlich verloren hatten? Gibt es wirklich eine realistische Chance auf eine rot-rot-grüne Regierung in Deutschland? Wer macht in diesem Lande eigentlich die Politik? Nach fast 20 Jahren im Bundestag kann Bülow diese Fragen beantworten.

      Wenn es in der SPD mehr Menschen wie Marco Bülow gäbe, hätten wir Die PARTEI niemals gründen müssen.

      Grafik mit freundlicher Genehmigung von Kristina Pohl

      Prolog: Spielregeln

      »Monopoly, Monopoly, wir sind nur die Randfiguren in einem schlechten Spiel …«

      Klaus Lage

      ReichsTag

      »DEM DEUTSCHEN VOLKE« – steht auf einer Länge von 16 Metern in großen Lettern über dem Hauptportal des Reichstagsgebäudes. Schon 1916 wurde diese Inschrift von der Berliner Bronzegießerei S.A. Loevy, einem jüdischen Familienunternehmen, hergestellt und angebracht. Seit 1999 krönt den Bundestag eine große gläserne Kuppel. 3000 Quadratmeter Glas, als Symbol für Transparenz und Offenheit. In der Kuppel stehend blickt die Bevölkerung ihren Abgeordneten symbolisch über die Schulter. Es gibt ein Gefühl von Nähe und Kontrolle. Direkt gegenüber: das Kanzleramt und drum herum ein Bienenschwarm von Menschen. Die Politik ist mittendrin.

      Eine Illusion. Viel Fassade und viel Schein. Es ist eine Glocke, eine abgeschottete Welt. Die Bevölkerung ist nur zu Besuch, so wie man eine entfernte Verwandte mal zum Kaffee einlädt. Der Widerspruch zwischen Darstellung und Handlung in der herrschenden Politik wächst. Einige ihrer Regeln und Strukturen sind so absurd, dass es mich überrascht, wie der Schein der Normalität überhaupt so lange gewahrt werden konnte.

      Risse in der Fassade gibt es. Einige Initiativen, einzelne Politikerinnen und Journalistinnen blicken immer wieder hinter die Kulissen und decken wahre Zustände auf. Aber ernsthafte Argumente und Kritik beeindrucken unter der Kuppel fast niemanden. Die Interessen der zukünftigen Generationen und der weniger privilegierten Menschen spielen hier im hohen Haus und in den Ministerien eine immer unwichtigere Rolle.

      Können Satire, zugespitzte Darstellung, gnadenlose Aufklärung und vor allem Öffentlichkeit im Zusammenspiel die Fassade einreißen und das Fundament freilegen?

      P-Day

      Vor genau dieser Fassade stehe ich an einem grauen Novembertag, mit einem Megafon bewaffnet. Berlin, Ende 2020. Es ist P-Day. Die Treppen führen zum Haupteingang, über sie hinweg blicke ich ganz bewusst zur Kuppel und der 16-Meter-­Bronzeinschrift. Ich habe Verstärkung mitgebracht. Es nieselt, aber niemand hält uns davon ab, eine kurze, bunte Einlage zu zelebrieren. Vielleicht einen weiteren Riss in die Fassade zu ritzen. Ich trage ein Shirt über meiner dicken Jacke. Darauf prangt: Für den Bundestag reicht’s. Darunter steht: Die PARTEI. Was? Warum ausgerechnet dieser Verein? Es ist kein Neustart, aber in einem neuen Team. Zugespitzt in der gemeinsamen Aktion zum Fassadenabriss. Die Bagger sind bestellt. Doch um die milliardenschweren Stützpfeiler der politischen Eliten und Profitlobby einzureißen, brauchen wir neben Gerät und Erkenntnis sehr viel Power.

      Ich spule kurz noch mal zurück. Warum bekommt das politische System es nicht hin? Und kann man die Parteien nicht einfach erneuern? Was ist passiert, wie sieht es hinter der Fassade wirklich aus? Und wie müsste ein Neubau aussehen, von wem sollte er errichtet werden?

      Es geht dabei nicht um mich, ich bin eher ein Verkehrsmittel, sagen wir das Rad, welches durch diese Geschichte fährt. Meine ungewöhnliche Tour hat mich eine längere Zeit mitten durch die politischen Machtzentren geführt. Meine hier geteilten Erfahrungen sollen einen offenen Blick hinter die Kulissen ermöglichen. Eigentlich sollte es diese Einsicht in vielen Facetten und vielfältig geben. Tatsache ist aber, dass sich quer durch die Parteien fast alle einig sind, nur das nach außen zu tragen, was man auch gern vermitteln möchte.

      Da ist er wieder, der Schein. Alles andere darf die Berliner Glocke nicht verlassen. Jede, die dagegen verstößt, ist eine Nestbeschmutzerin und muss das Nest verlassen. Dabei sollte der Bundestag der transparenteste Ort der ganzen Republik sein und nicht nur eine gläserne Kuppel haben. Wir sind kein Unternehmen, keine Familie, wo wir uns auch mal schützen müssen. Wir werden von der Bevölkerung gewählt und dafür bezahlt, dass wir sie vertreten. Deshalb möchte ich auch mit neuem Team, weiter »multiparteiisch« sein, übergreifend arbeiten, ohne die Scheuklappen der Parteitaktik. Denn: Die Bevölkerung ist die Chefin – nicht eine Partei- oder Fraktionsvorsitzende oder gar die Kanzlerin oder die Konzernchefin.

      BundesTag

      Im September 2002 werde ich von 57,8 Prozent der Wähler in meinem Dortmunder Wahlkreis direkt in den Bundestag gewählt. Da stehe ich zum ersten Mal nicht nur vor, sondern auch im hohen Haus. Schon mit Hochachtung. Gerade 30 Jahre alt geworden, bin ich einer der jüngsten Abgeordneten überhaupt, vor allem unter denen, die ihr Mandat direkt gewonnen haben. Ich bin zu sehr von mir überzeugt, denke, ich kann die Welt nun aus den Angeln heben. Rot-Grün hat eine Mehrheit, und ich gehöre der Regierungspartei an.

      Ich bin in einem Brennpunktstadtteil auf eine Dortmunder Gesamtschule gegangen, habe so einiges mitbekommen vom Leben, auch fernab der Sonnenseite. Die meisten meiner späteren Kolleginnen, selbst die der SPD, werden wohlbehütet als Akademikerkinder groß.

      Dagegen habe ich eine für das Ruhrgebiet typische Biografie. Mein Großvater hat unter Tage und dann als Stahl­arbeiter gearbeitet, meine Eltern waren in der Pflege tätig. Ich bin derjenige, der von den Bildungsreformen und erpressten sozialen Zugeständnissen der siebziger und noch achtziger Jahre profitiert hat. So konnte ich mein Abi machen, durfte sogar studieren, auch wenn ich immer gejobbt habe. Über die Uni kam ich zu den Jusos und dann auch zur SPD. Unmöglich eigentlich, so jung in einem Wahlkreis aufgestellt zu werden, vor allem in einem, der für die Partei als einer der sichersten galt. Zufälle, eine große Parteireform vor Ort, die Sehnsucht der Basis, mal was Neues auszuprobieren, und meine Leidenschaft haben mir wohl die Chance ermöglicht.

      Nach 18 Jahren im Bundestag habe ich zwar noch immer Respekt vor der Aufgabe, aber verliere immer mehr die Achtung vor den Abläufen, den selbstgegebenen Regeln, den bestimmenden Personen. Dabei fängt es so gut an. Ich sitze neben Vorbildern wie Hermann Scheer und Ernst Ulrich von Weizsäcker, deren Bücher und Reden ich als Jugendlicher gelesen und gehört, deren Inhalte ich gepredigt hatte. Ich komme in den Umweltausschuss, werde Berichterstatter für erneuerbare Energien und für Energieeffizienz sowie Co-­Berichterstatter für Klimaschutz. Genau das, was ich machen wollte.

      Ich stürze mich in die Arbeit und werde gleich zugebombt von Terminen mit Lobbyistinnen. Schnell merke ich, wie wenig Zeit mir bleibt, inhaltlich die Themen zu überblicken. Noch weniger wird es möglich, alle anderen Politikfelder und die zu treffenden Entscheidungen zu überblicken. Der erste gut Rat ist da natürlich hilfreich: Halte dich an die Fraktion und die Regierung, folge ihnen einfach. Ergibt Sinn, wir teilen unter uns 249 SPD-Abgeordneten die Themen auf, und alles läuft in der Fraktion zusammen. Oder in der Regierung?

      Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sind mir nicht nur wegen meiner Herkunft wichtig, aber ein Experte bin ich nicht. Ich versuche auch da, stärker beteiligt zu werden. Rot-Grün, Schröder und Fischer haben die Agendapolitik auf die Schiene

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