Donaumelodien - Totentaufe. Bastian Zach
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»Und warum –«
»Ich habe die Totenbeschau von Michael Jaritz durchgeführt.«
Marx kratzte sich den Backenbart und dachte an die Meldung über jenen Mann, den man vor drei Tagen gefunden hatte – Michael Jaritz, ein einfacher Gehilfe in einem Spezereien- und Delikatessengeschäft in der Karmelitergasse. »Dann hab ich also ihm das Konvolut an Beschreibungen und Mutmaßungen zu verdanken?«
Salomon nahm stolz Haltung an. »Präzision bis ins kleinste Detail kann oftmals entscheiden, ob eine Missetat aufgeklärt wird oder eben nicht.«
»Na, da hat er nicht unrecht«, stimmte Marx versöhnlichere Töne an und sah erneut zu dem Toten. »Was kann er mir aus dem Stegreif über unsere Leiche sagen?«
Salomon machte einen Schritt auf den Toten zu, hob die Brauen und spitzte den Mund, als wollte er einen besonders edlen Wein verkosten. Sein Blick schnellte zwischen den unterschiedlichsten Anhaltspunkten hin und her, als müsste er ein komplexes Muster im Geiste verinnerlichen, um es später nachzeichnen zu können. Schließlich schien er genug gesehen zu haben und wandte sich wieder seinem Vorgesetzten zu.
Der schwieg erwartungsvoll.
»Ein Mann Mitte, Ende vierzig, würde ich aufgrund seines leicht schütteren Haares und dem Zustand seiner Schneidezähne vermuten. Ein Arbeiter, wie sein wuchtiger Körperbau im Allgemeinen und Schwielen und Hornhaut an seinen Händen im Besonderen bezeugen. Unverheiratet, da ihm sowohl ein Ehering fehlt als auch die typische Verjüngung am Ringfinger, hätte er stets einen getragen und man ihn dessen beraubt. Er wurde mit einem harten, stumpfen Gegenstand geschlagen. Und sämtliche Verstümmelungen hat man ihm ante mortem zugefügt, sonst wäre das Blut nicht in alle Richtungen gespritzt.«
Wilhelm Marx wartete einen Augenblick, ob der andere noch etwas hinzuzufügen gedachte. Dann rang er sich ein Lächeln ab. »Rokitansky hat ihn viel gelehrt.«
Salomon schwieg stolz.
»Allerdings ist ihm das eine oder andere entgangen. Den Blutergüssen an den Handgelenken nach zu urteilen war der Mann während seiner Tortur gefesselt, wohl mit Gurten. Ich wette, dass sich an seinen Beinen identische Male finden. Seine grobporige Nase lässt vermuten, dass er dem Wein nicht abgeneigt war, und ich meine in größeren, weniger bekömmlichen Dosen. Und der Mann wurde nicht an diesem Ort ermordet.«
Salomon wirkte verunsichert, suchte nach Schleifspuren oder Ähnlichem. »Bei allem Respekt, woher wollen Sie das wissen?«
»Da braucht es eben jenen Spürsinn, der nicht allen Menschen eigen ist. Oder nur eine klare Sicht.« Marx sah an der Fassade hoch. »Na, das Fenster im dritten Stock über uns ist sperrangelweit offen. Bei dem Gestank, der von hier aufsteigt, lüftet niemand so lange freiwillig seine Behausung.«
Der junge Mann prüfte mit einem schnellen Blick die Richtigkeit der Behauptung, schniefte dann, als wäre er erkältet. »Man kann Ihnen schwer etwas vormachen, Herr Präsident.«
Marx blieb ernst. »Einer wie er mit Sicherheit nicht.«
»Ach, Sie … halten wohl nicht viel von mir?«
»Aber! Wie kommt er denn auf so was?«
»Ist es mein deutscher Akzent? Ich habe durchaus bereits die Erfahrung gemacht, dass dieser in Wien nicht gerade beliebt ist.«
Marx schwieg genüsslich.
»Oder …« Salomon zögerte verunsichert. »Womöglich stört es Sie, dass ich Jude bin?«
»Ein Jud! Na, da irrt er sich gewaltig«, sagte Marx und wandte sich ab. »Ich mag einfach generell die Menschen nicht.«
IV
Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als der Schindelwagen die Residenzstadt hinter sich ließ. Vorbei an den k.k. Stallungen und der k.k. Infanteriekaserne war er durch die Mariahilfer Straße gezogen, auf die Gürtelstraße abgebogen und erreichte nun die Vorstadt, deren Behausungen sich im Schatten der Metropole schuldbewusst zu ducken schienen.
So auch jenes schiefwinkelige Haus, in dem Hieronymus und Franz seit mehr als einem halben Jahr Quartier bezogen hatten. Das Grundstück war von einem niedrigen Zaun umgeben, in der Mitte des Vorplatzes stand ein Brunnen.
Im Hof angekommen hielt Hieronymus den Wagen an und spannte Roswitha ab, während Franz die sechs Kinder der Quartiergeberin begrüßte, die ihn, wie jeden Tag, laut krakeelend empfingen. Von ihrer Mutter jedoch fehlte jede Spur.
Hieronymus kam auf Franz zu, der gerade Jaroslav, den Zweitjüngsten der Rasselbande, in die Luft warf und wieder auffing. »Warum werden wir heute von Anezka gar nicht angefäult6, weil wir den Wagen drei Fuß zu weit von was auch immer abstellen?« Er sah zu Tereza, der Ältesten. »Ist deine Mutter nicht hier?«
Die nickte und runzelte die Stirn. Dann deutete sie hinters Haus.
Hieronymus und Franz warfen sich einen besorgten Blick zu und machten sich in die gewiesene Richtung auf.
»Holt uns doch bittschön einen Kübel frisches Wasser und stellt ihn in die Stube«, rief Franz den Kindern zu, die sogleich zum Brunnen liefen.
Hinter dem Haus hockte eine Frau, das Haupt gesenkt, der Blick starr. Ihre braunen Haare bildeten einen geflochtenen Knoten, ihr Kittel wies eine Vielzahl von Flicken auf. Als sich Hieronymus und Franz näherten, zeigte sie keine Regung.
»Anezka?«, begann Franz und kniete sich ungelenk zu ihr. »Was bekümmert dich?« Er legte ihr die rechte Hand auf die Schulter, was wirkte, als würde ein Riese ein Kind tätscheln.
Sie schüttelte wortlos den Kopf.
»Na komm«, versuchte er es noch einmal, als sein Blick auf die halbleere Flasche Sliwowitz fiel, die neben der Frau an der Bretterwand lehnte.
»Leoš«, flüsterte Anezka schließlich mit hartem böhmischem Akzent. »Leoš ist weg.«
Hieronymus runzelte die Stirn. »Was heißt das: Er ist weg?«
Die Frau funkelte ihn wütend an. »Wie soll Anezka wissen, was das heißt? Seit vier Wochen hat uns Leoš nicht mehr besucht.« Sie wischte sich Tränen aus den Augen. »Und Geld hat er uns auch keines mehr gebracht. Kein Leoš. Kein Geld. Rozumíš?«
Franz schüttelte den Kopf. »Nein, wir verstehen nicht.« Er legte seine Hand auf ihre. »Vielleicht … hat er sich nur wieder einmal versoffen? Du weißt, wie er sein kann.«
»Vier Wochen lang versoffen?« Sie entzog ihm ihre Hand. »Anezka ist kein dummes Weib. Wenn ein Mann so lange nicht mehr in sein Zuhause kommt, sich nicht um seine Kinder schert, hat er entweder eine andere, oder er ist tot.«
Franz sah mit sorgenvollem Blick zu Hieronymus hoch, der nur mit den Schultern zuckte.
Anezka griff sich die Flasche, nahm einen tiefen Schluck daraus. »Wenn Leoš tot ist, dann sei der Herrgott seiner Seele gnädig. Wenn er eine andere hat, ist er so gut wie tot.«
»Wir könnten zu den Ziegelwerken fahren und nach Leoš fragen«, schlug Franz vor und sah erneut zu Hieronymus. Der schien unschlüssig zu sein. »Wir kriegen raus, wo der Kerl geblieben