Donaumelodien - Totentaufe. Bastian Zach
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Читать онлайн книгу Donaumelodien - Totentaufe - Bastian Zach страница 8
Hieronymus nickte und wollte gerade Anstalten machen, sich ebenfalls vorzustellen, als der andere bereits wieder sprach. »In welcher Angelegenheit suchen S’ ihn?«
»In einer, die eine gewisse Form der Diskretion erfordert«, antwortete Hieronymus mit Blick auf die vier Schreiberlinge im Raum.
»Folgen S’ mir.«
Nachdem die beiden Männer mehrere Räume durchschritten hatten, die völlig ident wirkten, kamen sie schließlich in ein kleines Zimmer, in dem dicke Bücher in Regalen bis zur Decke gestapelt waren, alle am Rücken mit handschriftlichen Kürzeln versehen. Feigl wies seinem Gast einen Stuhl zu und suchte dann die Regale ab. Irgendwann zog er einen Wälzer heraus, setzte sich an seinen Sekretär und überflog die Seiten darin.
»Svoboda, Svoboda … ah! Hier ist er. Leoš Svoboda, fein säuberlich gelistet im Beschäftigtenverzeichnis. Hat bei uns als Sandler angefangen.« Er blätterte mehrmals vor und zurück, überflog die Spalten voll handschriftlicher Eintragungen. »Mhm … mhm.«
Feigl runzelte die Stirn. Wortlos stand er auf und verließ den Raum.
Hieronymus nahm das Monokel ab und versuchte zu lesen, was die Einträge besagten, konnte aber nicht viel erkennen.
Gleich darauf kam Feigl zurück, ein kleines Buch in der Hand.
»Sie sind mir noch eine Antwort schuldig«, sagte er, während er wieder beim Sekretär Platz nahm. »Was wollen Sie von unserem Arbeiter?«
Hieronymus klemmte sich das Monokel wieder vor das Auge. »Zunächst einmal: Mein Name ist Vojtěch von Martinic, meines Zeichens Genealoge und Nachlassverwalter derer von Rosenberg. Fürst Zdeněk von Rosenberg, Gott möge seiner Seele gnädig sein, ist erst vor Kurzem von uns gegangen. Die Syphilis kannte leider kein Erbarmen. Da er selbst keine Nachkommen hatte, obliegt es nun mir, etwaige Berechtigte bezüglich einer Erbschaft ausfindig zu machen. Und da tauchte, via mütterliche Linie, Leoš Svobodas Name auf.«
Hieronymus machte ein feierliches Gesicht, als hätte er die Bundeslade entdeckt.
Feigl teilte zwar nicht die Begeisterung des anderen, jedoch schien er die Geschichte zu glauben. »Ich wünschte, ich könnte nun sagen, dass ich mich für den Herrn Svoboda freue –« Er machte eine unnötig lange Pause. »Aber das wäre schlicht gelogen.«
Er schlug das mitgebrachte Buch auf, blätterte wieder darin. »Das ist das Arbeitsbuch des besagten Herrn. Hier wird auch jedwedes Vergehen penibel dokumentiert. Und meiner Seel’, das sind derer viele.«
Hieronymus versuchte, überrascht zu wirken, auch wenn er es nicht war.
»Ein Raufbold war er und ein Trangler9.« Feigl schüttelte verständnislos den Kopf. »Manchmal sogar ein Aufrührer.«
»Er war?«
Der Angestellte nickte und las den Eintrag, während er sprach. »Am Ersten des letzten Monats haben wir uns von ihm getrennt. Er war zum wiederholten Male dermaßen trunken, dass er seine Scheibtruhe10 samt Ziegel umkippen ließ, wobei viele der Werkstücke zu Bruch gingen. Ein solches Verhalten ist unentschuldbar.«
Innerlich seufzte Hieronymus tief und schwer. Etwas in der Art hatte er bereits befürchtet. Und nachdem Leoš nicht zu seiner Frau zurückgekehrt war, konnte er Gott weiß wo sein. Äußerlich jedoch war er um Räson bemüht.
»Sie wissen nicht, wo ich den Herrn Svoboda finden könnte?«
Feigl blätterte das Arbeitsbuch durch, schlug es schließlich zu. »Laut eigener Angabe ist er verheiratet, jedoch wohnt seine Familie nicht am Werksgelände. Fragen S’ in der Werkskantine nach. Mehr fällt mir dazu nicht ein.«
Hieronymus erhob sich. »Verbindlichsten Dank, Herr Feigl. Wenn Sie mir das Buch aushändigen könnten, dann –«
»Ist Werkseigentum«, knurrte der Angestellte und gab damit zu verstehen, dass sein Entgegenkommen hier endete.
»Dann danke ich für Ihre Zeit und empfehle mich.« Hieronymus schritt zur Tür, hoffend, dass dem anderen nicht noch die eine oder andere tiefschürfende Frage einfiel.
Die stickige Luft der Werkskantine raubte Hieronymus und Franz beinahe den Atem. Ein Gemisch aus Schweiß und Moder, aus abgestandenem Wein und Ausdünstungen jeglicher Art paarte sich mit dem Brandgeruch aus den Brennöfen. Die Lehmarbeiter, die in der Kantine mehr herumlungerten denn saßen oder standen, wirkten wie Schatten ihrer selbst – ausgelaugt, müde und bar jeder Hoffnung. Ihre Arbeitskleidung, blaue Hose und Janker, schienen sie im Frühjahr angezogen und seither nicht mehr ausgezogen zu haben.
Franz seufzte. »Du bleibst besser draußen. Ich denke nicht, dass auch nur eine Seele hier mit einem Frackträger wie dir sprechen will.«
Hieronymus machte einen Schritt zurück. »Dann werde ich zu Anna Rebiczek fahren, das Foto ihrer Lucie machen.«
»Jessas, Lucie, was für ein Name! Was ist aus einer schönen Adelheid geworden? Einer anmutigen Brunhild?«
Hieronymus klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Die sind alle im Mittelalter geblieben und lassen dich herzlich grüßen. Bis später.«
»Ja, bis später«, sagte Franz, in Gedanken längst woanders. Er fuhr fort, mehr zu sich selbst. »Nun heißt es, mit Bedacht vorgehen, sonst gibt’s noch ein Bahöl. Mir deucht, die Männer sind nicht hier, um sich an irgendetwas aus ihrem Leben zu erinnern. Die Männer sind hier, um alles zu vergessen.«
8 Kerl.
9 Säufer.
10 Schubkarren.
VI
»Herr Hieronymus!« Anna Rebiczek empfing ihren Gast wie einen alten Freund, den sie lange nicht mehr gesehen hatte. »Kommen S’ bitte herein.«
Der Fotograf nahm den Hut vom Kopf, packte die Griffe beider Koffer, in die er seine Ausrüstung verstaut hatte, und betrat die Wohnung, die ob ihrer Größe wie ein Palais wirkte. Die Kassettendecken waren mit allegorischen Bildern bemalt, die Wände mit edlen gemusterten Stoffen bezogen. Auf sämtlichen Kommoden, Tischchen und Regalen tummelten sich Plastiken aus Bronze und Keramik in Form von Pferden, stehend, liegend, zum Sprung ansetzend. Selbst die vielen silbernen Etageren waren bis auf das letzte Fleckchen mit Pferdefiguren dekoriert – oder vollgestopft, kam Hieronymus in den Sinn.
»Ich liebe Pferde«, erklärte sich Anna mit leicht verlegenem Lächeln, wohl um Hieronymus’ noch nicht gestellter Frage zuvorzukommen.
»Anmutige Wesen«, konstatierte dieser und verkniff sich ein »und wohlschmeckend«, während er an den Pepihacker11 dachte, bei dem er so gerne Pferdewurst einkaufte.
»Mein Gemahl teilt meine Leidenschaft zwar nicht, aber er lässt mich gewähren.«
»Ein wohlfeiler Gemahl, den